In der Führungs- und Managementwelt hat sich in den letzten Jahren viel getan. Vor ein paar Jahren war uns noch nicht klar, dass wir in einer VUCA-Welt leben oder dass Agilität eine Lösung ist (und was das überhaupt bringen und bedeuten soll). New Work war nur eingefleischten Frithjof Bergmann Fans ein Begriff und die klassische Organisationswelt war zwar nicht perfekt, funktionierte aber noch ausreichend gut.

Heute sind die Digitalisierung, Komplexität und ein Virus, das die Arbeit in vielfacher Hinsicht verändert hat, Dauerthemen. Was vor Jahren undenkbar war, ist heute Alltag. Von (fast) dauerhafter Kurzarbeit über neue Arbeitszeit, -ort und Be-/Entlohnungsmodelle, bis zu verordneten, temporären (und daraus resultierend auch dauerhaften) Geschäftsschließungen. Die Arbeitswelt hat massiv an Stabilität und Sicherheit verloren.

Lösungen sind in Sicht – und greifen zu kurz

Die Rufe nach mehr Innovation, offeneren Strukturen, weniger Bürokratie, flacheren Hierarchien sind schon lange laut und berechtigt. Klar ist, dass es immer schwieriger wird in dem veränderten Umfeld mit den bisherigen Ansätzen zu punkten. Andererseits ist das Risiko groß, in der sich zuspitzenden Krise noch mehr einzubüßen. Risiken wo immer möglich zu vermeiden, ist in kritischen Zeiten eine Pflichtübung für jeden erfahrenen Manager. Vor allem, wenn die Risiken nicht nur Folgen für die Organisation haben, sondern auch der eigene Job auf dem Spiel steht. Ohne sichtbaren Zwang das Gefahrenpotenzial zu erhöhen, kommt in der Öffentlichkeit selten gut an. 

Früher wurde in solchen Situationen Rettung bei einschlägigen Beratungen mit einem möglichst guten Namen gesucht. Heute gibt es zweieinhalb weitere Optionen, die so gut dokumentiert sind, dass gerne versucht wird, sie mit erweiterten Bordmitteln zu implementieren. Die „vollwertigen“ Optionen sind „Agilität“ und/oder „New work“, die „halbe“ die Einführung von mehr Lockerheit im Unternehmen. Das Autorität egalisierende „Du“, das Tragen von Turnschuhen auf der Vorstandsetage und der Verzicht auf die Pflicht zum Tragen einer Krawatte. Doch diesem Versuch eines Kulturwandels durch die (gut sichtbare) Hintertür haftet der Makel an, als nicht ehrlich und substanziell wahrgenommen zu werden. Und ohne von weiteren Maßnahmen flankiert zu sein, ohne aktiv Autoritäten, Machtgefüge oder Partizipation zu verändern, führt er in nur sehr begrenztem Umfang zu einem entspannteren arbeiten. Der alte Kern, die alte Kultur bleibt: Entscheidungen beruhen weiter auf langjährig bewährtem Wissen und die altbekannten Bürokratien, Werkzeuge, Methoden und Modelle werden weiter unreflektiert genutzt. Das Credo bleibt Arbeit effizient zu gestalten. Der Zugang zur „arbeitenden Hand“ das wesentliche Ziel. 

New Work verfolgt einen anderen Ansatz. Eine 4 Tage- oder 25 Stundenwoche, neue Be-/Entlohnungsvarianten einzuführen oder mehr aktive Beteiligung und Verantwortungsübernahme zu ermöglichen soll vor allem dazu führen, dass Mitarbeiter sich besser verstanden, wertgeschätzter und zufriedener fühlen. Eine bessere Arbeitsatmosphäre und aus Mitarbeiter:innen:sicht „bedarfsgerechtere“ Arbeitssituationen (in Bezug auf Ort, Zeit, Werkzeuge/Geräte und Bezahlung) führen nachweislich zu einer höheren Leistungsbereitschaft. Das verstärkte Eingehen auf Emotionen und Bedürfnisse führt fast zwangsläufig zu einer besseren Employer Brand und einem besseren Zugang zu neuen Talenten. Und sogar Querdenken (im alten Sinn des Wortes) wird gerne gesehen, um mit neuen Ideen im Markt besser dazustehen.

New Work schafft es vor allem, dass Arbeit als angenehmer wahrgenommen wird und der Arbeitgeber sich den Zugang zum gesunden Menschengefühl des Mitarbeiters sichert. 

Agilität schließlich setzt auf Anpassungsfähigkeit und Kundenzentrierung. Nahe am Bedarf und den Wünschen der Kunden zu sein, schnell reagieren zu können, dabei den Mitarbeiter:inne:n den Raum zu geben, um selbständig, selbstverantwortlich und manchmal selbstorganisiert zu entscheiden, all das steht im Fokus. Dazu werden neue Strukturen geschaffen, neue Entscheidungsprinzipen etabliert und die Kommunikation auf fachlicher Ebene sichergestellt. Die Nutzung des gemeinsamen Denk- und Handlungsvermögens rückt ins Zentrum. Das Individuum wird zum relevanten Teil des Teams, um maximale Emergenz zu ermöglichen. Doch, und das ist eine der großen Herausforderungen, dazu braucht es in den etablierten Denkmustern und Organisationsstrukturen einen Wandel im Menschenbild. Fehler und Irrtümer, misslungene Experimente oder riskante Innovationsideen widersprechen zu sehr einem auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Wirtschaftsdenken.

Bei Agilität steht der Zugang zum gemeinsam genutzten ‚Wissen der Vielen‘ im Mittelpunkt. Arbeit soll effektiv gestaltet sein, indem die Chance genutzt wird, den gesunden und fachlich kompetenten Menschenverstand für das Unternehmen erreichbar zu machen. 

Irgendwo zwischen diesen drei Fokuspunkten stehen die Führungskräfte – oft alleingelassen und ohne klare Linie. Gerade dort, wo Dinge neu ausprobiert werden, es aber noch nicht absehbar ist, wohin die Reise geht und welche Ansätze, Modelle und Methoden sich am Ende als optimal herausstellen, sollen die Führungskräfte die Energien der Mitarbeiter in wohlgeordneten Bahnen lenken. ‚Leadership‘ statt top-down Führung ist das Zauberwort. Der Leader soll zugleich vermitteln, welchen Frei- und Denkraum Mitarbeiter:innen nutzen können, wie auch die zu weit geöffnen Räume ausfüllen, Ankerpunkt sein und maximalen Zusammenhalt schaffen. Sie sollen Zusammenarbeitsraum öffnen. Es soll ihnen irgendwie gelingen Arbeit, mindestens, interessant zu gestalten.

Gefangen im Wechselspiel der Impulse

Manche Organisation befindet sich mitten im Wechselspiel zwischen Hand, Herz und Kopf ohne zu realisieren, dass es am Ende um den ganzen Mensch geht, gehen muss! 

Den meisten Unternehmen würde aber gerade das Zusammenspiel von Effizienz, Emotionen und Effektivität guttun – nicht nur der Fokus auf einen dieser Bereiche. Effizienz bei notwendigen Standardvorgängen, Emotionen wo immer Menschen beteiligt sind und Effektivität bei allen Versuchen das Unternehmen in Richtung Zukunft stärker und besser zu machen, das macht erfolgreiche Unternehmen heute aus. Die Literatur ist voll von Unternehmen, die so agieren – nicht weil sie so exotisch sind, sondern weil sie aufzeigen, das arbeiten mit dem Fokus auf den ganzen Menschen besser funktioniert. Zu diesen gehören bekannte Namen wie W.L.Gore, 3M, Netflix, IDEO und Haier, aber auch kleinere Unternehmen wie Atlassian, Basecamp, Bridgewater Investments oder Premium Cola und teils im wesentlichen unbekannte wie DaVita, Freitag, Jordan’s funiture. Ich führe inzwischen über 200 auf meiner kleinen Liste. 

Was heute als „Menschenzentrierte Führung“ en vogue ist, ist wiederum nur die halbe Miete. Es braucht auch „Menschenzentriertes Management“, das die organisationalen Grundlagen dazu schafft. Mein Netzwerkpartner Lukas Michel hat unlängst dazu ein neues Buch (Peoplecentric Management) veröffentlicht, in dem er vier Hebel aufzeigt, die es erlauben und erleichtern, die wahren Potenziale der Mitarbeiter:innen zu aktivieren. Diese vier Hebel: “Know with Clarity“ (etwa „bewusstes Wissen“), „Move in one Direction“ („sich gemeinsam in eine Richtung bewegen“), „Mobilize the Energie“ („die Energie freisetzen“) und „Maintain the Fokus“ („den Fokus bewahren“) schaffen einen organisationalen Rahmen, der in der Lage ist Hand, Herz und Kopf zu verbinden. 

Wie es um diesen Rahmen im eigenen Unternehmen bestellt ist lässt sich im ersten Schritt leicht feststellen. Entweder – ganz einfach – mit der ehrlichen Beantwortung einiger Reflexionsfragen (wozu ich jedem nur raten kann) oder mit einer etwas weitergehenden Diagnostik (zugegeben nur etwas für Menschen an der Unternehmensspitze).

Geeignete Reflexionsimpulse sind etwa (hier zum Themenbereich „Leadership“):

  • Unsere Mitarbeiter:innen sind sehr gut mit dem übergreifenden Ziel und den Marktgegebenheiten unseres Unternehmens vertraut. 
  • Wir teilen alle relevanten Informationen offen mit unseren Mitarbeiter:inne:n.
  • Wir verbinden mit Feedback auch immer Hinweise auf neue persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Gegenseitiges Vertrauen ist ein wichtiger Faktor in unserer Zusammenarbeit.
  • Wir ermutigen unsere Mitarbeiter:innen sich für den gemeinsamen Erfolg zu engagieren.

Da sich selten ein klares Ja/Nein ergibt, können die Fragen auch auf einer Skale von 0 bis 10 beantwortet werden. Wichtig ist, sie sich die Fragen bewusst zu stellen.)  

(Weitere Fragen zu den Bereichen „Power & Performance“, „People Relations“, Organizing System“, „Culture“ finden sich auch www.guidobosbach.com. Die Kostprobe einer tiefergehenden Diagnostik ist hier zu finden: https://www.guidobosbach.com/gratis-diagnostik/)

Fazit

Kaum ein Unternehmen wird es sich leisten können, das eigene Führungs- und Managementsystem nicht mindestens intensiv zu durchdenken und zu überprüfen. Die aktuellen und kommenden Veränderungen sind zu gewaltig, um hier blind auf das Altbewährte vertrauen zu können. Die inzwischen bekannten Lösungsansätze schaffen teilweise Linderung, zielen aber nur in jeweils eine spezifische Richtung (was aber besser ist als zu verharren). Über kurz oder lang wird es notwendig sein, einen umfassenderen Ansatz zu starten. „Peoplecentric Management“ (oder „NextManagement“ als umfassenderes Modell mit dezidierten Ansatzpunkten) ist aus meiner Sicht dazu (mindestens sehr gut) geeignet. 

Ich kann jedem nur empfehlen in die (gemeinsame) Selbstreflexion zum Status Quo des Unternehmens bezüglich der Entwicklungen und Optionen einzusteigen. Es ist der notwendige Einstieg in die Diskussion konkreter Wege. Gerade in den kommenden Wochen sollte dazu Gelegenheit sein. 

P.S.:

Zu meiner großen Freude wurde ich gestern (wieder) als XING TopMind 2020ausgezeichnet (https://www.xing.com/news/insiders/articles/das-sind-die-xing-top-minds-2020-3642951). (Auch) aus diesem Anlass verlose ich bis Weihnachten insgesamt 5 Exemplare des oben angesprochenen Buchs von Lukas Michel „Peoplecentric Management“. Wie die Teilnahme an der Verlosung funktioniert, steht auf www.guidobosbach.com