… und was es braucht, damit Spitzenleistung zur neuen Selbstverständlichkeit wird.

Wie sehr wir alten Selbstverständlichkeiten überdenken und ihnen teilweise den Rücken zudrehen müssen und wie wichtig es ist neue Selbstverständlichkeiten zu entwickeln, hat das letzte Jahr uns in einer Art gezeigt, wie wenige zuvor. Vieles ändert sich schneller als uns lieb ist. Selten gelingt es, in der gleichen Taktrate das Vertrauen und Verständnis dafür aufzubringen, dass zahlreiche Veränderungen derzeit richtig, einige auch langfristig gut und weitere zudem noch längst überfällig waren. Egal, ob dies unsere Gesundheit, das Klima oder die Art betrifft, wie wir zusammen arbeiten.

Gerade im Arbeitsleben gibt es so manches, was wir als natürlich, „gottgegeben“ und eben als ganz selbstverständlich ansehen und das jetzt „plötzlich“ ganz anders ist. Für viele (Führungskräfte) war es kaum vorstellbar, dass neue, remote Zusammenarbeitsformen möglich sind, oft stellt sich nun heraus, dass sie sogar bessere Ergebnisse liefern, dass Mitarbeiter:innen im Home Office mehr Leistung bringen können, dass Dienst“reisen“ virtuell vereinfacht, beschleunigt und kostengünstiger sind. 

Es ist damit an der Zeit, sich die Frage zu stellen, was Unternehmen tun können, welche Eigenschaften und Fähigkeiten sie brauchen, damit diese neuen Selbstverständlichkeiten ihren Weg in die Organisationen finden und wie zugleich veraltete, teilweise hinderliche, manchmal gefährliche Selbstverständlichkeiten entlernt werden können. Das ist umso wichtiger, je mehr sie Spitzenleitung im Weg stehen. Und Spitzenleistung ist das, was viele Unternehmen brauchen werden, um die Zeit zu überstehen und anschließend durchstarten zu können. 

Eine erste Antwort ist banal: Der Weg beginnt damit Selbstverständliches eben nicht mehr als selbst & verständlich zu begreifen. Denn vieles ist eben genau das nicht mehr, „ohne weiteres verständlich“ und „sich aus dem Zusammenhang ergebend“, zumindest nicht, wenn man beginnt die, oftmals neuen, Zusammenhänge bewusst zu betrachten. Eine zunehmend dynamischere und komplexere Welt lässt so manches, was früher „normal“ war heute fast schon exotisch anmuten. 

Gerade in ‚harten Zeiten’ setzen viele unbewusst auf Tradition, um nicht noch mehr Unsicherheit zu erzeugen: Sie nutzen ganz selbstverständlich weiter alte Routinen und Regeln, von denen allerdings immer mehr, die bei bewusster Betrachtung, längst aus der Zeit gefallen sind. Wie einst Catweazle erfreuen sie sich an „der Magie“ des Lichtschalters und der leuchtenden Glühbirne, ohne zu erkennen, dass die neuen LED-Birnen längst über WLAN geschaltet und gedimmt werden. Ähnlich haben sich viele Zusammenhänge von Märkten, Kundenströmen, Partnerschaften usw. Teils fundamental verändert.
Das Festhalten an tradiertem Denken und an alten Gewohnheiten und Selbstverständnissen reicht entsprechend heute nicht mehr aus, um Erfolg und das Überleben abzusichern. Im Gegenteil, es birgt immer mehr Gefahren. Neuer Denkraum, neue Blickwinkel und neue Arbeitskulturen sind gefordert und, um Quick-wins zu ermöglichen, auch das schnelle und radikale Einreißen alter Mauern und Blockaden. 

Das trifft diejenigen besonders schwer, die vor allem in der Verantwortung stehen, diese Schritte einzuleiten, die zurzeit ohnehin gebeutelten Top-Führungskräfte. Sie sind gefordert, besser zu sein, als einst Baron Münchhausen und sich am Schopf aus dem Morast zu ziehen, um es dem Unternehmen, dass sie verantworten zu ermöglichen, auf Höhe der Zeit zu agieren. Doch anders als Baron Münchhausen können sie heute auf Unterstützung aus der Organisation hoffen, was die Erfolgswahrscheinlichkeit enorm erhöht.

Hilfreich ist, dabei einen weiterhin gültiger Indikator für Unternehmenserfolg im Blick zu halten: Spitzenleistung. Anders als noch vor wenigen Jahren mutiert sie immer weiter von einem Ergebnis individueller Top-Performance zu einem Resultat gemeinsamer Arbeitsleistung. Damit können die Bereiche, in denen Spitzenleistung gelingt, die, je nach den Erfordernissen des Geschäftsmodells effizient und/oder effektiv handeln, die Innovationen entwickeln oder „Null-Fehler“ umsetzen können als Gradmesser dienen, um zu erkennen, welche Selbstverständlichkeiten diese unterstützen oder eher behindern.


Bei dieser Betrachtung ist es wichtig Fake-Performance von echter Performance zu unterscheiden, um nicht falsche, kulturelle Normen zu etablieren und im Team engagierte Mitarbeiter:innen aktiv zu demotivieren.
Fake-Performance hängt eng mit organisationaler Blindleistung zusammen. In der Elektrotechnik kennt man den Begriff der Blindleistung. Sie bezeichnet elektrische Energie, die zwischen Stromnetz und Verbrauchen hin und herpendelt, ohne Wirkung zu erzeugen. In Unternehmen findet sich solche Blindleistung unter anderem in überzogenen, wertlosen bürokratischen Prozessen, in nicht notwendigen Meetings, Reports die zwar bunt und aussagekräftig sind aber niemanden wirklich interessieren, in detaillierten Planungen ohne Wirkung und/oder in erfolglosen aber weitergeführten Projekten wieder. Es ist Arbeit und Leitung, die zwar oft wichtig klingt und aussieht, zugleich aber keine echte Wertschöpfung beinhaltet, negativ wirkt, Unmengen kostet und Frustration erhöht.
Fake-Performance entsteht aus dem fatalen Kulturmerkmal heraus, dass nur wer viel beschäftigt wirkt, auch viel leistet. Gerade in Krisenzeiten ist diese Art der Betriebsamkeit ein beliebtes Ersatzziel, um Engagement vorzugaukeln. Besonders gefährlich ist es, wenn solche Fake-Leistungen und andere Störungen, Ablenkungen und Hemmnisse zur Selbstverständlichkeit geworden sind und sie den Menschen die Arbeit erschweren, die direkt an und in konkreter Wertschöpfung beteiligt sind.
Nichts davon darf im Wortsinn selbst-verständlich sein und bleiben, wenn das Unternehmen nicht drastisch an Leistungsfähigkeit einbüßen will. 

Entsprechend erfordert die Betrachtung von Spitzenleistung, für sich und das Unternehmen zu reflektieren, was dieser Begriff tatsächlich in der Organisation bedeutet. 

Es sollte allen klar sein, wie Spitzenleitung entsteht, was sie bewirkt, woran man sie erkennt und welche Voraussetzungen sie braucht. Dabei ist wichtig zu verinnerlichen: Spitzenleistung zu bringen, bedeutet nicht ständig in extremem Maß zur Wertschöpfung beizutragen. Im Gegenteil: Wer langfristig auf hohem Niveau Leitung bringen möchte, braucht auch bewusste Zeiten der Erholung und ein klares Bewusstsein für die Erfüllung der eigenen Grundbedürfnisse. Nur so kann ein hohes Maß an produktiver Energie sichergestellt werden. Spitzenleistung selbst ist eben auch keine Selbstverständlichkeit.

Einen zweiten Punkt möchte ich bewusst machen, bevor ich weiter in die Tiefe gehe: In allen Unternehmen gab und gibt es Menschen, die für ihre Top-Leitungsfähigkeit und -bereitschaft bekannt sind und damit auch Karriere mach(t)en. Sich bei der Personalentwicklung auf diese besonders zu konzentrieren war so lange richtig, wie aus den Resultaten der Vergangenheit Spitzenleistungen auch für die Zukunft vorhersagbar waren. Jedoch ist dies heute, in zunehmend komplexen Umfeldern und Systemen immer weniger der Fall!
Sich als Unternehmen auf ein paar Top-Performer zu verlassen, birgt zunehmend Gefahren. Aus Unternehmenssicht zielführender ist es sich stattdessen auf eine breit aufgestellte Basis verlassen zu können. Etwas, das wohl nie zuvor so einfach und erfolgversprechend war, wie heute. 

Mehr denn je ist das gemeinschaftliche Engagement der Schlüssel zum Erfolg. Aus Unternehmenssicht ist es heute weiser, die gemeinsame ökonomische (und soziale und ökologische) Stabilität und Perspektive als Ziel und Indikator von Spitzenleitung zu verstehen, als sich auf das Glück einzelner zu verlassen.

Was als muss ein Unternehmen tun, damit eine solche gemeinsame Leistungsbereitschaft und -fähigkeit fruchtbaren Boden findet? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten sind relevant? Was kann ich tun, außer die Selbstverständlichkeiten zu reflektieren?

Es sind (klassisch) drei Bereiche die wichtig sind: Erstens die Frage nach der übergreifenden Zielsetzung, dem „Warum gibt es das Unternehmen, d.h. welche Probleme löst es für seine Kunden?“ – der „Purpose“ oder auch der ‚Job to be done‘ (nach Clayton Christensen) – , zweitens das Geschäftsmodell, das die Frage nach dem „Was macht das Unternehmen heute und in Zukunft“ beantwortet – eine Frage die gerne mithilfe des ‚Business Model Canvas’ wird – und drittens die Frage „Wie funktioniert das Zusammenspiel, damit das ‚Warum‘ und das ‚Wie‘ optimal ausgestaltet werden können?“- der Punkt, den man als ‚Managementmodell‘ bezeichnet.

Insbesondere das Zusammenspiel dieser drei Bereiche ist wichtig. Keiner kann ohne die anderen wirklich gut funktionieren. Dennoch fokussieren viele Unternehmen ihre Entwicklungs- und Veränderungsinitiativen auf die ersten beiden Bereiche. Das Herausarbeiten eines gemeinsamen „Purpose“ und das Befüllen des „Business Modell Canvas“ sind beliebte Themen in Strategie- und Führungsworkshops. 

Das Managementmodell, das im Wortsinn fundamental wichtig für den Erfolg der anderen beiden Punkte ist, wird als wohl größte Selbstverständlichkeit meist völlig außer Acht gelassen. In den meisten Unternehmen sind sich auch die Führungskräfte nicht einmal bewusst, welches Modell sie anwenden, geschweige denn, welchen Einfluss es hat. Es erscheint als kaum veränderbar und als „statisch-unpraktisch-aber funktionierend“. Mithin: Es ist genau das nicht. Ein zeitgemäßes Managementmodell ist dynamisch, praktisch und vor allem sorgt es dafür , dass der Laden problemfrei und rund läuft. Es ist das Fundament, das Geschäftsmodelle erst umsetzbar und den Sinn erlebbar macht.

Dabei muss, wie bei jedem Bau das Fundament zu seinem Überbau passen. Das Managementmodell muss sich mit den Veränderungen der Umwelt und der Geschäftsmodelle weiterentwickeln. Es muss in der Lage sein, das Erreichen der Zielsetzung und der Geschäftsmodelle optimal zu  unterstützen, indem es den Raum aufspannt, in dem sich der die Fähigkeiten des Unternehmens mit denen der Mitarbeiter:innen optimal kombinieren lassen.

Im seinem Kern beschreibt ein Managementmodell, die Parameter und Regeln, auf denen die konkrete Arbeit im Unternehmen aufsetzt. Heute heißt dies mehr denn je, Rahmenbedingungen, Normen und ein „operating system“ und „organizing system“ zu beschreiben und aufzubauen, das den Mitarbeitern ermöglicht, ihre dynamischen Fähigkeiten zu entwickeln, auszubauen und einzusetzen. Um diese Fähigkeiten einzusetzen, müssen Strukturen, Prozesse und Routinen so gefunden und gestaltet werden, dass diese auch im Stress, unter Druck und damit dynamikunabhängig anwendbar und nützlich sind. Sie müssen eine klare Richtung aufzeigen und zugleich Leitplanken bieten, sodass das Unternehmen und die Mitarbeiter:innen sich gezielt weiterentwickeln können. Zugleich muss die übergreifende Zielsetzung von allen gleichermaßen interpretiert werden können. 

Mit Blick auf das verwendete Managementmodell bedeutet dies, das operatives Arbeitssystem so zu gestalten, das optimale Bedingungen für größtmögliche Wertschöpfung entstehen. Dazu nimmt es zum Beispiel Einfluss auf

  • das Verständnis der übergreifenden Zielsetzung, des Purpose.
  • die Kultur, indem Normen und Werte in der Art des gewünschten, tolerierten und sanktionierten, weil unerwünschten Umgangs miteinander verankert werden. Ähnlich, wie sich die Verhaltensnormen in Opernhäusern und Fußballstadien unterscheiden und dennoch von den gleichen Personen akzeptiert und (zumeist) eingehalten werden. 
  • die Entwicklung, indem Impulse gegeben werden und Ressourcen im geeigneten Maß zur Verfügung stehen. 
  • der Art wie mit ‚Exploration‘ und ‚Exploitation‘ umgegangen wird, also echter Innovation bzw. der Weiterentwicklung bestehender Produkte, indem hierfür Raum gegeben oder eingeschränkt wird. Wobei die meisten Unternehmen beides geschickt kombinieren müssen, was besondere Aufmerksamkeit erfordert.
  • die Entscheidungswege und das Vertrauen, bzw. heute oftmals eher Misstrauen, das die Mitarbeiter:innen erfahren.
  • die Perspektive, Stabilität und Sicherheit, die die transparente Kommunikation und geeignete Narrative vermittelt wird.
  • das Gefühl von Gerechtigkeit, dass sich in einem offenen und ehrlichen Umgang mit Vergütungen, Statussymbolen und Privilegien ausdrückt. 

Wer sich selbst ein eigenes ersten Bild vom Zustand der Zukunftsfähigkeit des Managementmodells und der Zusammenarbeitslogik im eigenen Arbeitsumfeld machen will, kann in den nächsten Tagen zum Beispiel folgende Fokuspunkte betrachten:

  • Was sollte und muss an Selbstverständlichkeiten im Unternehmen erhalten bleiben, weil es positiv auf die Leistungsfähigkeit wirkt, was sollte umgestaltet oder abgeschafft werden. 
  • Wie viel Misstrauen bzw. wie viel Vertrauen stecken in den Prozessen und Strukturen der Organisation? Wie werden Fähigkeiten und Kompetenzen genutzt? Ganz konkret: Wie sehen die Entscheidungsprozesse im Unternehmen aus? Wer darf wann was – alleine oder gemeinsam mit anderen – entscheiden? Wer nicht? Wer besitzt echte fachliche, wer „nur“ hierarchische Entscheidungskompetenz?
  • Welches Führungsrollen- und Entwicklungs(selbst)verständnis herrscht vor? Wir über andere entschieden und bestimmt oder wird Raum geschaffen um den Mitarbeiter:innen Dinge und Entwicklungswege zu ermöglichen?
  • Welches Menschen- und Weltbild prägt den Umgang miteinander und mit Kunden? Wird Wertschätzung ausgedrückt und wenn ja wie? Wie bewertend bzw. wie wertneutral wird kommuniziert? 
  • Wie selbstverständlich werden Privilegien genutzt und deren Nutzung akzeptiert? Wofür werden Privilegien eingeräumt, für echtes Wertbeitragsengagement oder für die Wahrnehmung von Rollen? Gibt es systematische Benachteiligungen? 


In den Antworten auf diese Fragen stecken viele dieser häufig unbedachten und unreflektierten Selbstverständlichkeiten, mit denen wir aufgewachsen sind. Viele sind heute, in einer sich schnell verändernden Unternehmensumwelt nicht mehr zeitgemäß, einigen darüber hinaus tatsächlich gefährlich, weil sie (Spitzen-)Leistung, insbesondere von Teams, behindern und Leistungsbereitschaft torpedieren. Wo dies der Fall ist, ist dringend geboten das genutzte Managementmodell genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Der Erfolg, den Unternehmen in der Zukunft brauchen, hängt stark davon ab, dass Purpose, Geschäftsmodell und das Managementmodell zu dem passen, was Mitarbeiter:innen leisten können und wollen. Die Zukunft ist auch hier mehr und mehr ein Gemeinschaftsprojekt!

Als Diagnostischer Mentor und Regionalpartner im AGILITYIinsights Netzwerk steht mir eine Diagnostik zur Verfügung, die u.a. den Status und die Passung des bestehenden Managementmodells zum Geschäftsmodell, den Anforderungen der Umwelt und den Fähigkeiten der Mitarbeitenden sichtbar und damit reflektierbar macht. Auf Anfrage gebe ich dazu gerne weiterführende Informationen und erstelle ein konkretes Angebot. 

Eine Bitte in eigener Sache: Derzeit untersuche ich, welche Auswirkungen die Pandemie auf klassische Hemmnisse der Zusammenarbeit in Unternehmen hat und welche Erwartungen die Teilnehmer an die Zeit eines „new normal“ knüpfen. Jede Teilnahme ist für mich wertvoll. Und nebenbei gibt es auch noch ein paar Bücher zu gewinnen. Hier geht es zur Befragung.

Und noch ein Hinweis: Wer sicherstellen möchte, alle Blogbeiträge von mir zu erhalten, kann seine e-mail Adresse hier hinterlassen.