Es scheint als hätten wir das Schlimmste überstanden. Die Inzidenzzahlen fallen stetig, die Delta Variante hat noch nicht allzu sehr Fuß gefasst. Wir beginnen, uns wieder ins gewohnte Leben zurück zu wagen und versuchen Normalität wiederzufinden. 

Nicht umsonst wird die sich jetzt entwickelnde Normalität als ‚next normal‘ bezeichnet. So sehr bei manchen sicherlich auch der Wunsch da ist, (fast) alles wieder in die gewohnten Bahnen, zum ‚familiar normal’ zurückzudrehen – es wird Kraft kosten dies zu tun!
Unter der Oberfläche, in den Menschen, in den Prozessen und Strukturen haben sich große und kleine Dinge verändert, die nicht mehr umzukehren sind. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es bei allem dazu notwendigen Aufwand leichter fällt, sich auf ein neues, ein ‚next normal‘ einzulassen. Allerdings, gerade weil sich manches auch unter der Oberfläche, kaum sicht- aber dennoch oft fühl- und wahrnehmbar, verändert hat, ist es enorm wichtig, sich bewusst damit auseinanderzusetzen, wie das Neue aussehen kann und soll. Als Führungsmensch hat man die Wahl sich unvorbereitet ins Abenteuer zu stürzen oder aber persönliche und gemeinsame Sicherheit zu gewinnen, in dem man den Weg hin zu einem ‚intended normal‘ aktiv gestaltet. Trotz aller bestehenden (und manchmal nur vermeintlichen) Restriktionen.

Reflektieren, was sich verändert hat

Die Liste der Veränderungen vom gewohnten ‚familiar normal‘ zum ‚next normal‘ ist lang. Die Disruption, durch die massiven, teils existenzielle bedrohlichen Einschränkungen, die das Virus in der Arbeitswelt gebracht hat, hat vieles von jetzt auf gleich umgeworfen, anderes auf den Kopf gestellt. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass dieser Prozess schnell und einfach umkehrbar ist.

Es ging für viele raus aus dem Office-Office ins Home-Office, digitale Kollaborationswerkzeuge wurden von der Ausnahme zur Regel, der Austausch auf den Fluren, in den Kantinen und Teeküchen wurde unmöglich, Pausen vergessen, bis sich neue informelle digitale Kaffeerunden und Ausweichräume etabliert hatten. Statt gut vorbereitete Projektteams und Strategieeinheiten mit den Herausforderungen zu konfrontieren, wurden spontan, oft crossfunktionale und talentorientierte Task Forces gebildet, Entscheidungsprozesse angepasst, neue Kommunikationswege genutzt und die verbliebenen Kunden stärker einbezogen. Mit einer wachsenden Unsicherheit wurden „Orientierung und Richtung geben“ statt Strategie- und Budgetentscheidungen zu den Top-Themen im Management. Aufgaben und Rollen wurden wichtiger als Stellenbeschreibungen, formale Kontrolle wich gegenseitiger Unterstützung. Viele Führungskräfte erkannten den Führungsmenschen in sich. Netzwerke wurden angezapft, neue Kontakte geknüpft, einige Konflikte eskalierten, andere konnten plötzlich leichter gelöst werden. Verantwortung wurde neu „geregelt“ und manchmal einfach von Kollegen übernommen, denen man dies zuvor nicht zugetraut hätte. Es wurde fokussiert und zugleich in vielen Richtungen nach Neuem gefahndet, um im Geschäft zu bleiben und weggebrochene Umsatzquellen zu kompensieren. Vieles geriet in Bewegung, langfristig geplant und vorbereitet war nichts davon, funktioniert hat es dennoch erstaunlich oft! 

 
Auch wenn dies nur Beispiele und Einzelfälle sind, in vielen Unternehmen ist ähnliches geschehen. Vieles Alte wurde umgeworfen, vieles Neue ist entstanden. Manches war gut, manches nur Mist. Das eine vom anderen zu unterscheiden wird die Aufgabe der nächsten Monate sein.
Vor allem aber: Wer glaubt, es hätten sich vor allem Prozesse, Werkzeuge und Strukturen verändert, der irrt gewaltig! Mit diesen sichtbaren Elementen hat sich auch ganz intensiv ein unsichtbares Element gewandelt: die Kultur, zum Beispiel erkennbar an vielfältigen neuen Arten aufeinander zuzugehen und sich auszutauschen, direkter, unkomplizierter, schneller, hierarchieübergreifender. Daher ist es jetzt, trotz aller Kulturwandelimpulse der letzten Jahre, so wichtig wie nie zuvor, sehr bewusste hinzuschauen und die Signale wahrzunehmen. Jedenfalls dann, wenn man vermeiden möchte am Ende vor einem noch größeren Scherbenhaufen zu stehen.

Die Unternehmen, die in dieser Form diese einmalige Chance nutzen, werden sich die Rosinen aus ihren (und fremden) ‚best practices‘, gemischt mit agilen Ansätzen, new work und (hoffentlich auch) Nachhaltigkeitsimpulsen, herauspicken und damit schneller wieder auf einem sicheren festen Fundament stehen, als ihre Wettbewerber. Es wird ihnen einen entscheidenden Vorteil bieten, das Engagement und die Energie der Mitarbeitenden fokussierter einsetzen zu können.  Statt irgendwie in eine neue Normalität hineinzustolpern, können sie große Schritte in Richtung eines ‚intended normal’, einer bewusst und optimal vorbereiteten neuen Normalität gehen.
Sie können die Gelegenheit ergreifen besonnen und klug zu analysieren und dann erst zu entscheiden, was beibehalten werden soll(te), was nochmals angepasst werden muss und was auf den Sperrmüll gehört.

Ganz allgemein sehe dabei ist, 4 große Fallen bzw. wichtige Punkte, auf die machen achten sollte, um nicht in die zugehörige Falle zu tappen:

  1. Wie viel halten die Mitarbeitenden (noch) aus?
    Eine weitere Überforderung der Mitarbeitenden wäre fatal für die Moral, den Zusammenhalt und den zukünftigen Erfolg. Wie viel Energie haben sie noch, wie viel Engagement kann noch erwartet werden Wie sehr identifizieren sie sich noch mit dem Unternehmen und sich bereit sich dafür einzusetzen?
  2. Wir ernst wird die Kultur genommen?
    Umfassend verbindliche kulturelle Kernwerte waren in Krisenzeiten schon immer von besonderer Bedeutung. Kluge Unternehmen bauen daher zurzeit nicht nur auf eine klare geschäftliche Zielrichtung und geben damit Orientierung, sie starten noch vor der Formulierung einer ggf. angepassten Vision mit der Festlegung einer kulturellen Basis in Form von Werten, Verhaltens- und Handlungsprinzipien, um so zusätzlich das Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu vermitteln. Und – sie setzen sich konsequent dafür ein, dass diese kulturellen Werte von allen nach innen und außen vertreten werden.    
  3. Was ist in den nächsten 12 Monaten wirklich, wirklich wichtig?
    Welche Kernthemen werden die nächsten 12 Monate bestimmen? Geht es um Geschäfts(-wiederaufbau), das Halten von Mitarbeitenden, die Entwicklung neuer Angebote, usw.?
    Das Kernthema sollte nach innen Zusammenhalt und (wieder) Sicherheit erzeugen und zugleich nach positiv nach außen wirken. Zurzeit gewinnt an Ansehen, Kunden und Umsatz,  wer nicht nur sich, sondern auch anderen hilft die aktuellen Herausforderungen zu überstehen. ‚Miteinander’ ist das Schlüsselwort.
    (Nebenbei: Meine 2020-2021er Studie zeigt, das Unternehmen, die ein menschenzentriertes Betriebssystem besitzen, deutliche Vorteile im Vergleich zu traditionell agierenden haben. Die Studie kannst Du hier kostenfrei als PDF anfordern.)
  4. Stillstand bremst!
    Vermeidet es, das Alte als Interimsstandard und Provisorium zu lange stehen zu lassen. Wir kehren alle gern zu alten, geliebten, aber zu oft auch ungeliebten Gewohnheiten zurück. Diese schleifen sich in den gewohnten Bahnen schnell wieder ein und sind dann um so stärkere Antriebe für alte und neue Konflikte.

Egal wie groß das Unternehmen ist, in dem Du arbeitest und das Dir wichtig ist, ich kann nur dazu raten folgender Wegskizze zu folgen: 

  • Startet in die Analyse der erlebten Veränderungen, der positiven und negativen Entwicklungen und Entscheidungen, der internen und externen Abhängigkeiten und der Chancen und Konflikte. Nehmt Euch Zeit dafür, sprecht mit Kunden, Mitarbeitenden, Führungsmenschen und neuen und alten Entscheidern. Stellt fest, was zu behalten lohnt, was angepasst werden sollte, was wegkann und wo etwaige Konflikte lauern. Findet heraus, wieviel Energiereserven  und sozialen und ökonomischen Potenziale noch vorhanden sind. 
  • Klärt miteinander, auf welchen Werten und welcher kulturellen Basis eine ggf. neue Vision für das Unternehmen aufbauen kann. Nehmt diesen kulturellen Kern und passt Eure Regeln, Gewohnheiten, Eure Strukturen und Prozesse daran an. Schafft unnütze Vorurteile (also alle !) ab und entwickelt mentale Modelle, die euch helfen ‚dranzubleiben‘.
  • Startet den Weg in Richtung ‚intended normal‘ mit dem für Euch optimalen Transformationsprozess – und der findet sich erfahrungsgemäß selten ‚von der Stange’.
  • Nutzt den Austausch mit anderen und spiegelt, was ihr macht. Die nächste große Krise kommt bestimmt und die jetzige zeigt schon, wie wichtig der interne und externe Zusammenhalt ist solchen Zeiten ist. Baut interne und externe Ankerpunkte auf, die Euch und den Kunden Kontinuität vermitteln. Wo sich alles stetig wandelt ist der feste Punkt in der Luft um so wichtiger, um die Welt wie sie ist aus den Angeln zu heben.  

Bei all dem wünsche ich Euch gutes Gelingen! Es wird so oder so nicht einfach, aber einfach könnte ja auch jeder 😉

Ganz kurz in eigener Sache: Aktuell habe ich freie Kapazitäten, um ein bis maximal zwei Unternehmen auf diesem Weg zu begleiten, natürlich inklusive Analysen, Impulsen, Konzepten und der gemeinsamen Arbeit an den identifizierten Themen. Wenn ich selbst schon ausgebucht sein sollte, wenn Du anfragst, finden wir gemeinsam garantiert eine:n geeignete:n Begleiter:in in meinem Netzwerk.