Impuls: Public eats old culture for breakfast.
Es ist etwas grausames passiert: Ein paar harmlose Zeilen Programmcode, die einen „Motorprüfmodus“ starten, hat zum Rücktritt des Chefs des größten deutschen Konzern geführt. Moderne Zeiten?!
Peter Drucker sagte einmal: “Culture eats strategy for breakfast.” Ich glaube wir sind einen entscheidenden Schritt weiter.
Wo aber, so frage ich mich, liegt das eigentliche Problem? Wird der Rücktritt von Herrn Prof. Dr. Winterkorn, das Problem lösen, oder nur vertagen?
Was ist das eigentliche Problem?
Ich versuche mal ein paar Perspektiven zu geben:
Aus Sicht der Umwelt sind die Menschen das Problem, die sich einen Dreck um das scheren, was da hinten rausgeblasen wird.
Aus Sicht der Aktionäre ist das Management schuld, dass es nicht geschafft hat a) die Rendite hoch zu halten, obwohl die Motoren nicht die geforderte Leistung bringen, b) das #dieselgate nicht verhindert hat, c) nicht schnell genug reagiert hat, d) nicht absehen kann, welche Konsequenzen drohen und e) einfach zu wenig Profite macht.
Aus Sicht der Mitarbeiter ist die Gesetzgebung schuld, die Vorgaben macht, die nicht einzuhalten sind – ja und vielleicht das Management, dass Vorgaben macht die schlichtweg so nicht einzuhalten sind.
Aus Sicht der Führung ist die Öffentlichkeit das Problem. Schließlich war alles gut, bis das Thema publik wurde.
Und wir, die „Öffentlichkeit“? Wir wissen wahrscheinlich gerade selbst gar nicht mehr, warum wir uns aufregen – ist doch alles irgendwie blöd, und verworren. Und morgen schon wieder vergessen.
Doch – das eigentliche Problem, wie ich es wahrnehme, sitzt leider sehr tief und wir werden es nicht vergessen können, denn wir werden ähnliches noch viel öfter erleben.
Warum?
Weil es um Angst und Pflichterfüllung aus Angst geht. Um Machtstrukturen und Machtkulturen – und nicht um Software.
Wer die Software warum beauftrage, geschrieben, getestet und freigegeben hat, werden wir kaum erfahren. Es würde auch nichts ändern, denn ich behaupte, es gab viele, die anders gehandelt hätten, wenn sie ihr Verhalten nicht den Erwartungen untergeordnet hätten. Machen wir uns nichts vor, der hier zutage tretende Grad an „Pflichterfüllung“ (oder Kadavergehorsam) ist tief in der Kultur unserer Gesellschaft – und damit logischerweise auch in der Kultur der Unternehmen verankert. Wir lernen es nicht anders – und wir geben es auch nicht anders weiter.
Uns wird bis heute selten vermittelt, dass wir selbst reflektieren dürfen und dass es allen nützt, wenn wir unsere Kompetenz aktiv einbringen und sie genutzt wird. Wir laufen lieber mit geschlossenen Augen in vorgegebene „Fehlerfälle“ hinein.
Unsere Karriere, unsere persönlichen Lebenswege hängen zu oft davon ab, ob wir bereit sind, die manchmal nur subtil verlangte unbedingten Erfüllung der Vorgaben und Wünsche des hierarchisch übergeordneten mitzugehen.
Damit sind wir mitten im „Management by informal Expectations“. (Konzern-)Arbeitswelt pur. Ich war selbst lange in Kulturen unterwegs, in denen Projektampeln „nach oben“ immer grüner wurden. Dies nicht, weil die vorgesetzte Ebene mehr fachliche Expertise oder Lösungen für die Probleme besass, sondern weil sich rote Ampeln schlecht verkaufen und zu Stress in der gesamten Organisation führen. Rote Ampeln werden von der Führung schlechter Unternehmen schlichtweg nicht akzeptiert. Geht nicht, kann es nicht geben. Fehler macht immer nur der Wettbewerb und Irrtümer landen unterm Teppich. Kennen Sie das?
Dabei geht es nicht um existenzielle Not, die uns dazu bringt die Vorgaben – koste es was es wolle – zu erfüllen. Denn selbst wenn dies dazu führt, dass der Chef sauer ist und uns feuert. Wir leben weiter! Und vielfach öffnet uns dieser “Minimaltrauma” dafür, einen anderen Job zu finden, der in dem unserem Gewissen solche Stresssituationen erspart bleiben.
Inzwischen nehmen viele diese „Wahrheitsverschiebung“ gar nicht mehr als Stress wahr. Die Erfüllung unsinniger oder halblegaler Forderungen und Vorgaben ist ein ganz normaler Vorgang geworden.
Lange hat das System gut funktioniert. Jahrzehntelang waren die Strukturen abgeschottet und die Ergebnisse nach außen nicht sichtbar. Und heute? Heute kommt ein neuer Mitspieler mitten rein ins Unternehmen. Die Digitalisierung, unsere neue Art der Kommunikation, hat Öffentlichkeit permanent und Geheimnisse unmöglich gemacht.
Die neue Öffentlichkeit frisst alte Kulturen.
Ist der Prozess umkehrbar?
Wohl kaum. Schnelle Informationsverbreitung ist ein Zeichen unserer Zeit und heute hat jeder, der einen Smartphone ausreichend gut bedienen kann die Möglichkeit, seine Nachricht in minutenschnelle in die Welt zu tragen. Je nach Vernetzungsgrad des Senders mit einer großen Reichweite und schneller Weiterverbreitung. Sind die Nachrichten von öffentlichem Interesse steigen Nachrichtenmagazine On- und offline darauf ein. Aufzuhalten ist diese Entwicklung nicht mehr und auch die Folgen sind nicht mehr steuerbar. Bei kleinen Shitstorms, ohne wesentliche Auswirkung auf die breite Öffentlichkeit hilf es noch freundlich zu reagieren. Bei Problemen größeren Ausmaßes hilft nur noch Reue und Ehrlichkeit, um dem Druck der so entstandenen Öffentlichkeit zu begegnen. Dennoch, das Image bleibt ramponiert und „der Marke“ wird lange deutlich weniger vertraut. Dabei ist Vertrauen ein fast so wichtiges Kapital, wie die Menschen im Unternehmen.
Gibt es Auswege?
Man könnte überlegen die Teppiche, unter die bislang die intern bekannten Probleme gekehrt wurden, dicker zu machen, also intern mehr Kontrollen einzuführen, um unliebsame Entwicklungen besser vor der Öffentlichkeit zu schützen. Vermehrte Kontrollen – zu welchem Zweck auch immer – hat der designierte neue Konzernchef bei VW bereits angekündigt. Das funktioniert vielleicht, solange die Produkte anschließend nicht in die Hände von kritischen Kunden gelangen, oder mögliche Whistleblower im Unternehmen bleiben.
Sobald man diese Voraussetzungen nicht mehr sicher stellen kann, geht man das latente Risiko ein, dass Informationen nach außen gelangen, die dem Unternehmen „schaden“.
Meine Kernfrage ist: Was schadet dem Unternehmen mehr?
Ist es das krude Kulturverständnis, dass noch immer unbedingten Gehorsam einfordert? Das unterliegende Verhaltensmuster, der Schutz und Erhalt der Gruppe, ist dabei ein psychologisch tief verankert und hat uns geholfen, erfolgreich diesen Planeten zu besiedeln.
Oder mehr transparenz und Öffentlichkeit, die uns fordert echte Ehrlichkeit und ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis (nach innen und aussen) aufzubauen?
Was denken Sie?
Wenn Sie die Gefahr sehen, dass in Ihrer Kultur ähnliches passieren könnte, dann lassen Sie uns sprechen. Lassen sie uns gemeinsam tief in ihre Kultur schauen und dann anfangen eine Kultur zu fördern, die diese Art von Problemen unmöglich macht.
Warum?
1) Weil sie sonst den Erfolg des Unternehmens aufs Spiel setzen (aber das wissen sie ja schon)
und
2) VIEL WICHTIGER: Weil es sich wirtschaftlich extrem lohnt! Den Nachweis trete ich gerne an.
P.S. Ich habe den Text am 27.09.2015 ergänzt und teilweise überarbeitet.
Lieber Guido,
Danke! Mal wieder treffsicher auf den Punkt gebracht. Ich habe gerade einen Tweet von OXFAM in die Welt geschickt, der im Übrigen zeigt, dass es schon lange nicht mehr nur um die gesellschaftlichen Auswirkungen geht, sondern wieviel diese Machtsysteme damit zu tun haben, dass wir unsere Umwelt und unsere Menschheit “riskieren”. Die Vernetzung durch die Digitalisierung eröffnet uns nun “neue Möglichkeiten” des Austauschs derer, die diese
kranken Strukturen verändern wollen und können. Indem sie vorleben, wie es “anders” gehen könnte. Unsere Gesellschaft braucht “Vorbilder” um endlich wegzukommen vom “geht nicht anders”. Mit anderen Worten unserer Bundeskanzlerin gesprochen: “Wir schaffen das” bedeutet vielmehr “Wir sind die Anderen”. Erfreulicherweise verstehen dies viele und haben sich bereits “auf den Weg gemacht”. Angefangen bei den Kleinsten, im Bildungssystem (Prof. Gerald Hüther) über den BNE (Bildungssysteme für nachhaltige Entwicklung), Menschen mit umsetzbaren Visionen zu anderen, neuen Organisationsstrukturen in Unternehmen (Reinventing Organizations von Frederik Laloux) und sogar politische Veränderungsambitionen wie die APO2.0, bei der Thomas Sattelberger kräftig mitmischt und gar von einer “stillen Revolution” spricht.
Was zeigt das? Viele packen an und wirken mit und tun es aus Sinnhaftigkeit und nicht wegen des Geldes. Genau dieses Phänomen leben wir uns gerade selbst vor bei dem unglaublichen Mitgefühl, das alle ehrenamtliche Helfer in der aktuellen Flüchtlingssituation motiviert und eine Bestätigung dafür ist, dass wir wollen und deshalb können…nicht weil wir es sollen! Jeder Einzelne von uns ist das Vorbild und die Vernetzung verdeutlicht das!
Liebe Grüße an alle, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und die, die es bald tun!
Ute