Die Ausweglosigkeit narzisstischer Unternehmen
Wir sind ohne Zweifel mitten in einem fundamentalen Wandel, der schneller und umfassender unsere Welt verändert, als wir es bis dato erlebt haben. Die digitale Welt macht sich zunehmend in unserer Arbeitswelt breit, greift Führungsstrukturen an und verändert Werte-, Führungs- und Kulturwahrnehmungen.
Wie vielschichtig die Perspektiven, Meinungen, Ablehnung und Akzeptanz dieser „Erschütterungen der alten Macht“ sind, zeigen die intensiven Reaktionen und Diskussionen z.B. zu dem Artikel „Das narzisstische Dilemma in Unternehmen“ von Prof. Frank Widmayer oder der auch der kontroverse Austausch zum von ihm referenzierten HR-Battle „Arbeiten 4.0“ zwischen Winfried Felser und Simon Mamerow.
Prof. Widmayer geht in seinem Artikel insbesondere auf das Größenselbst narzisstischer Führungskräfte und das damit systemisch bedingte Größenklein der „untergebenen“ Mitarbeiter ein. Führt man diesen Gedanken in systemischen Hinsicht weiter, so werden in der Folge narzisstische Organisationsstrukturen und ganzen Unternehmen sichtbar, die in der überzogenen Wahrnehmung ihrer selbst und in Bezug auf die Sicherung interner Macht- und Kontrollinstanzen zwar ausserhalb der inzwischen gesellschaftlich etablierten Normen agieren, durch die fast ausschließlich interne Wirkung der getroffenen Maßnahmen aber dennoch vom Unternehmensumfeld (noch) toleriert werden.
Dieses auf das Wohl von Zahlen – und mithin auf das Wohl des Top-Managements und der Investoren – abgestimmte Wirtschaftssystem spiegelt ein Weltbild wider, dem das Wohl der Mitarbeiter – und der damit auch das Wohlbefinden der Kunden – lange relativ strikt unterordnet wurde.
In zunehmender Zahl tauchen heute neue Unternehmen und Marktteilnehmer auf, die sich andere Prinzipien zu eigen gemacht haben. Dazu gehören auch Unternehmen die mit einer neuen Unternehmensphilosophie und -ideologie hohe Qualität, Vertrauen und damit Akzeptanz erzeugen. Gerade letztere leben das Modell einer neuen menschenzentrierten Zusammenarbeit vor, das aus Sicht von Unternehmen mit tradiertem Organisations- und Führungsstrukturen als eindeutiger und kaum einholbarer Wettbewerbsvorteil wahrgenommen werden sollte.
Ein Gedankenexperiment
Versteht man im Rahmen eines Gedankenexperiments für einen Moment, dass Entwicklungsoptionen in Richtung einer (neuen) humanistische Wirtschaft möglich sind, so drängt sich die Frage auf, auf welchen Grundparametern diese neue eine Ökonomie fußt.
Die Antwort beginnt mit der unterliegenden Fragestellung, wie in einem neuen System der Begriff „Erfolg“ definiert werden kann. Nachdem jahrhundertelang klar war, nach welchen Maximen wir geschäftlich miteinander interagieren, bedingt ein umdenken eine zumindest teilweise Neubewertung dieses Begriffs, da die auf Wachstum und Shareholder Value ausgerichteten Strukturen kaum zu den Anforderungen an Nachhaltigkeit und ökologischer Verträglichkeit eines veränderten Unternehmensselbstbildes passen.
Erfolg ist die positive Ausprägung einer oder mehrerer Kennzahlen, die über das Wirtschaften in einer bestimmten Periode Auskunft geben. Typische Kennzahlen sind hier Gewinn, Return on Investment oder Shareholder Value.
(Nach Christina Näther (1993), „Erfolgsmaßstäbe der strategischen Unternehmensführung“) (1)
Neue Erfolgsparameter, die in neu aufkommenden Ökonomieformen herangezogen werden, sind oftmals in der positiven Auswirkung der Unternehmung in Bezug auf Nachhaltigkeit und auf deren Wirkung die gemeinschaftliche Umwelt, insbesondere das Wohlbefinden der mit dem Unternehmen in direkter oder indirekter Beziehung stehenden Menschen verankert.
Wertvollstes Gut dieser Unternehmen ist das Vertrauen der Stakeholder, insbesondere der Kunden. Die Kunden wiederum wollen mit ihren Stärken, Schwächen und Fehlern menschlich behandelt werden und erwarten vollumfängliche Problemlösung von ihrem Geschäftspartner.
Bei narzisstisch angehauchten Unternehmen wird versucht, diese auch hier im Außen notwendige Vertrauensbasis aus dem stark vorhandenem im Innern alltäglich gelebten Misstrauen zu entwickeln. Da gleichzeitig die Grenze zwischen dem Verhalten innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen durch die Transparenztreiber „Internet“ und „social media“ immer schmaler wird fällt es zunehmend schwer diesen schönen Schein aufrecht zu erhalten.
Das in Unternehmen gelebte Misstrauen und die ausgeprägte Kontrollstrukturen werden somit zunehmend öffentlich sichtbar und wahrgenommen. Genährt durch den Vertrauensbruch einzelner Unternehmen in Bezug auf deren gesellschaftliche und ökologische Verantwortung führt dieses Verhalten in der Öffentlichkeit wiederum zu verstärktem Misstrauen und dem Wunsch nach mehr Kontrolle dieser Unternehmen.
Ursächlich für diese Diskrepanz von innerem Misstrauen und nach außen dargestelltem Vertrauen ist das in den Unternehmen vorherrschende Menschenbild. Oftmals sind sowohl Mitarbeiter wie auch Kunden mit negativen Attributen besetzt. Kunden sind potenzielle Betrüger, deren Wünsche nach Erfüllung von Produktversprechen oder Garantien streng geprüft werden müssen.
Ein ähnlich negatives Bild herrscht von Mitarbeitern, deren Bereitschaft zur Erfüllung des Arbeitsvertrages und der Arbeit am Wohl des Unternehmens oft grundsätzlich in Zweifel gezogen wird, was sich in Bürokratie und der Struktur von Entscheidungsprozessen ausdrückt.
Ursachensuche
Dieses Menschenbild hat eine lange Tradition. Spätestens zu Beginn der Industrialisierung, als der persönliche Kontakt von Führung und Mitarbeitern zunehmend abriß, hat sich das Bild des undankbaren und faulen Arbeitnehmers etabliert und sich in Kontrollstrukturen in Unternehmen, auch in der Managementlehre nachhaltig ausgewirkt. Gerade in großen Organisationen, die weit über die natürlichen Gruppengröße von 150 – 200 Personen hinausgehen, finden sich heute fast immer starke und in diesem Verständnis wirksame Kontrollinstanzen.
Der durch Misstrauen induzierte Kontrollwunsch der Führungsebenen erzeugt jedoch wiederum Misstrauen und Widerstand auf Seiten der Mitarbeiter. Die Unternehmen leben damit in einem (fast) unausweichlichen Teufelskreis.
Ähnliches gilt für die etablierten, oftmals strikt hierarchisch organisierten Entscheidungs- und Führungsstrukturen. Auch sie sind darauf ausgelegt, vermeintliche Mängel der unternehmerischen Fähigkeiten der Mitarbeiter zu kompensieren. Die damit dem Mitarbeiter vermittelte Entscheidungsinkompetenz führt zu einer gefühlten Entscheidungsunfähigkeit und erlernter Hilflosigkeit.
Auswirkungen eines positiven Menschenbildes
Frederic Laloux hat in „Reinventing Organizations“ seine Vorstellungen einer in der organisationsindividuellen Entwicklung weit fortgeschrittenen Organisation beschrieben. Er stellt in dem Buch Unternehmen vor, die durch ein alternatives Grundverständnis von Zusammenarbeit großen (auch wirtschaftlichen) Erfolg haben. Markant sind dabei die Grund- und Glaubenssätze der beschriebenen Unternehmen, die analog zum Verständnis des dm-Gründers Götz Werner oder des ehemaligen HCL Technologies CEOs Vineet Nayar Mitarbeiter (und Kunden) mit einem eindeutig positiven Menschenbild versehen. (2)
Gemeinsame Kernelemente dieser Grundsätze ist die Wahrnehmung von Menschen in ihrer ganzen Palette an Persönlichkeitsmerkmalen d.h. ihrer Unterschiedlichkeit, Fehlbarkeit, Offenheit und Lernfähigkeit. Damit steht den Mensch mit seinen ausgesprochenen Stärken, aber auch seinen Schwächen im Fokus.
Statt die menschlichen Schwächen durch Kontrolle und Entmündigung zu kompensieren setzt diese Wahrnehmung auf den Ausbau und die Nutzung der, manchmal auch unkonventionellen, Kompetenzsets mit all ihren Stärken, Potenziale und Talente. Ein Ansatz den alle modernen Führungsstile und -leitlinien teilen.
Gemeinsamkeiten in den Grund- und Glaubenssätzen menschenzentrierter Unternehmen
Menschen sind:
grundsätzlich gut.
vertrauenswürdig.
kreativ.
offen, lernfähig und lernbereit.
fähig Transparenz zu nutzen, um sich selbst ein Bild zu machen und im Sinne der Gemeinschaft zu entscheiden.
fähig überlegt zu handeln.
sind fehlbar. Werden Fehler sichtbar gemacht, so erhalten alle die Chance daraus zu lernen.
Mehr Ausweglosigkeit
Bemerkenswert ist, wie sehr sich misstrauensfokussierte Unternehmen im Vergleich zu Unternehmen mit einer humanistischeren Grundeinstellung, in beträchtlichem Maß selbst schaden. Die Kosten der Kontrolle und negativen Energien in Unternehmen sind enorm und werden in Zukunft aufgrund der steigenden Sensibilisierung der Stakeholder weiter wachsen. Das Misstrauen erzeugt immer höhere Einbußen durch verpasste Umsätze, steigende Fluktuation, steigende Krankheitskosten und nicht zuletzt mangelndes Engagement und fehlende Innovationsbereitschaft.
Den Unternehmen ist dabei zwar bewusst, dass Mitarbeiter und begeisterte Kunden die besten (Marken-)Botschafter eines Unternehmens sind – was zum Beispiel im Bereich des Employer Branding wesentlichen Einfluß auf die Neugewinnung von Mitarbeitern besitzt – doch die strikten internen Hemmnisse torpedieren diesen Versuch.
Gleichzeitig erobern sich Unternehmen mit einem positiven Menschenbild Marktnischen. Diese Unternehmen nutzen zum Beispiel die Vorteile der Diversität, sind entscheidungsfähiger und schaffen durch den vertrauensvolleren Umgang mit den Mitarbeitern und der „Crowd“ kreativen Raum in dem inkrementale sowie disruptive Innovationen leichter entstehen.
Unternehmen und Führungsstrukturen deren Entscheider diese Grundeinstellungen nicht zumindest in Ansätzen teilen, sind in ihrem Welt- und Wirtschaftsgefüge ausweglos gefangen.
Menschlichkeit als fundamentaler Grundsatz
Für Unternehmen mit ausreichend verbreiteten Ansätzen eines positiven Menschenbildes und einem entsprechend hohen internen Entwicklungs- und Reifegrad, sind die von Prof. Widmayer genannten Ansatz- und Entwicklungsbereiche “Vertrauen”, “Vernetzung” und “Augenhöhe” ambitionierte, aber erreichbare Ziele.
Eine gesteigerte Achtsamkeit in diesen Bereichen führt zu einer veränderten Haltung und einem entsprechenden Verhalten, wobei Verhalten und Haltung sich gegenseitig bedingen und fördern und so, geeignet verstärkt, zu einer in diesem Sinne positiven Entwicklung führen.
Die unantastbare Würde des Menschen mit der aus diesem Verständnis ableitbaren Menschlichkeit ist der fundamentale Grundsatz, der dieses Menschenbild ermöglicht.b
Schwieriger wird es in stark narzisstische geprägten Strukturen. Von einem negativen Menschenbild zu einem neutralen oder positiven zu gelangen bedarf enormer Anstrengung aller Beteiligten. Notwendig ist zunächst die individuelle Öffnung der Beteiligten (insbesondere Führungskräfte) für eine Selbstreflexion der eigenen und der organisationalen Glaubenssätze.
Glaubenssätze menschenzentrierter Organisationen
“Wir besitzen und zeigen ein hohes Maß an Toleranz für das Denken und Handeln anderer.
Wir gehen jederzeit fair miteinander um.
Wir halten unsere Versprechen ein. Falls dies aufgrund zukünftiger Entwicklungen unmöglich erscheint, erläutern wir ehrlich die Hintergründe und beraten gemeinsam mit den Betroffenen über Lösungen.
Wir respektieren uns gegenseitig und gleichermaßen.
Gemeinsame Neugierde hilft uns Neues zu entdecken, zu entwickeln, besser zu werden und gemeinsam zu wachsen.
Wir haben eine klare gemeinsam erarbeitete und von allen getragene Vision und arbeiten gemeinsam an deren Umsetzung.
Wir machen Informationen, Wissen und positive sowie negative Erfahrungen 100% transparent.
Wir vertrauen einander und darauf, dass jeder seinen Teil zum gemeinsamen Erfolg der Organisation beiträgt.
Wir geben und empfangen Wertschätzung an und von allen Stakeholdern.”
Pareto gilt auch hier
Unternehmen die diesen Weg gehen, das wird zum Beispiel in der ARTE Dokumentation „Mein wunderbarer Arbeitsplatz“ deutlich werden Pareto „erleben“. Während 80% der Belegschaft den Wandel bereitwillig mitgeht, weil sie durch die Veränderung eine höhere persönliche Zufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation erwarten, werden 20% sich verweigern beziehungsweise die Organisation verlassen.
10 – 15 % Protagonisten im Unternehmen reichen aus, um auf einer stabilen Basis den Wandel anzugehen, wobei ein guter Teil dieser Umsetzungstreiber im Bereich der Führungskräfte identifiziert werden sollten.
Das veränderteres Grundgerüst entsteht im Innern des Unternehmens, den Mitarbeitern, selbst. Die Betrachtung der gesamten Systemik zeigt die besondere Relevanz der Multiplikatoren, zu denen ebenso Führungskräfte wie informell stark vernetzte Mitarbeiter gehören. Gerade bei letzteren sind die drei angesprochenen Kernelemente Vertrauen, Vernetzung und Augenhöhe oftmals bereits etabliert. Da die Karrierewege, zumindest in größeren Organisationseinheiten, oftmals zwar auf Vernetzung seltener aber auf breit gefächertem Vertrauen und Augenhöhe aufbauen, ist hier radikales Umdenken und Neuerleben notwendig.
Die entscheidenden Fragen für einen Wandel sind dabei:
- Sind wir bereit unsere Haltung zu hinterfragen?
- Sind wir überzeugt, dass dies der richtige Ansatz ist?
- Sind wir als Organisation und als Individuen bereit für seinen solchen Schritt? Was treibt uns an diesen Schritt zu gegen? Ist es innere Überzeugung oder eine Marktanforderung der wir uns beugen?
- Wie nehmen wir uns und unsere Kollegen wahr? Sind wir Mit-ausfühende, Mit-wirkende oder Mit-unternehmer?
Die besondere Herausforderung liegt darin, den meist gut positionierten „Trollen“ im Unternehmen zu widerstehen. Das von ihnen im Widerstand gegen den Wandel um so intensiver gestreute Misstrauen ist eine starke Macht, auf die möglichst wenig öffentlich eingegangen werden sollte. Den Trollen eine Bühne zu verschaffen stärkt deren Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Den Wandel glaubhaft nach außen zu tragen ist die größte Herausforderung. Sie ist zu meisten, wenn gemeinsam innere Klarheit über die Sinnhaftigkeit der Anstrengung und deren persönliche Bedeutung besteht.
Happiness comes from seeking impact not income, following principles not procedures. (Rosabeth Moss Kanter)
Referenzen:
(1) Definition von Erfolg nach Wikipedia
(2) Emplyees First – Customers Second z.B. https://hbr.org/product/employees-first-customers-second-turning-conventio/an/12330-HBK-ENG
Titelphoto: www.pixabay.com