>>> Reflexionsimpuls <<<

Wandel funktioniert nicht nach Rezept und nicht nach Plan. Es ist aufwändig, die Welt zu verändern, es kostet Zeit, Geld und Mühen. Drei Ressourcen, die wir teils nicht einbringen wollen oder bei denen es schlichtweg nicht in unserer Macht liegt sie zur Verfügung zu haben. Und dennoch ist es JETZT Zeit die großen Dinge zu anzugehen und zu verändern. Allem voran die Pandemie und die um sich greifende Klimakatastrophe.

Das ich Unternehmen, vom Soloselbstständigen bis zu den weltweiten Konzernen auch bei diesen beiden Themen immer besonders im Blick habe, ist kein Geheimnis. Wir, mit unseren Angeboten und dem Einfluss auf Kunden und Mitarbeiter, können und müssen hier vieles tun, was wir bislang außerhalb unserer Einflusssphäre wahrgenommen haben. Doch wir, die Impulsgeber und Führungsmenschen in solchen Unternehmen, haben und hatten schon immer einen wichtigen Hebel in der Hand. Einen Hebel, den wir jetzt gezielter denn je einsetzen können. Was und wie, dafür bitte ich euch einen Moment Zeit zu nehmen. 

Spätestens seit Agilität – trotz und wegen seiner Substanz – zur Mode geworden ist, ist „Mindset“ ein Thema. Häufig hört man „Das Mindset der Mitarbeiter muss sich ändern“, manchmal “Das Mindset der Chefs ist noch nicht reif für Agilität“. 

Ja, klar kann es sein, dass die Haltung, die Sichtweisen, die Erfahrungen der Mitwirkenden es nicht leicht machen oder gar zulassen, dass neue Arbeitsweisen angenommen und gelernt werden können und wollen. Klar entsteht Widerstand – immer! Klar stehen persönliche Ziele dem gemeinsamen im Weg, klar hat jede und jeder persönliche Werte und Normen. Und klar, man kann daran arbeiten, das alles zu verändern. Man kann coachen, Workshops und Seminare machen, Erfahrungen vermitteln, Ideen ausprobieren, trainieren. Und wenn sich jede und jeder voll einbringt, dann kann ein ‚Mindsetshift‘ funktionieren. Der Nachteil: Das Ganze hat nur minimale Reichweite. Man muss mit jedem und jeder einzelnen arbeiten. Man muss hoffen, dass etwas durchdringt und es ist und bleibt wirklich viel, viel, viel Arbeit am und mit den Menschen. Aber, klar, die Zeit und das Geld und die Mühen sind es Wert. Schließlich gibt es keine Alternative….

Was machst Du eigentlich, wenn Du zum Sport gehst, oder in die Oper? Gleiche Klamotten, gleiches Auftreten, gleiches Denken, gleiches „Mindset“? Ich wette, Du verhältst Dich in unterschiedlichen Settings auch unterschiedlich. Du denkst sogar unterschiedlich, weil Du ganz unterschiedliche Impulse und Eindrücke bekommst. Gleichzeitig ist es für uns die natürlichste Sache der Welt uns anzupassen, zumindest wenn wir das wollen und wissen, oder zumindest ahnen, welches Verhalten von uns erwartet wird. Genau das machen wir ja auch jeden Tag, wenn wir zur Arbeit gehen. 

Bei einem Mindset-change im Job geht es also glücklicherweise „nur“ um das Mindset, dass wir während der Arbeit haben (sollen). Was wir uns klarmachen sollten: Die geforderte ‚Entwicklung‘ ist immer eine Antwort auf die Veränderungen, die das Unternehmen erlebt und die es – und das ist der Punkt – noch nicht im unternehmenseigenen Verhaltenskodex verankert hat. Durch den Mindset-change wird versucht das Verhalten jedes einzelnen zu verändern, um insgesamt zu neuen Werten, Normen, Perspektiven zu kommen und so den Rahmen, in dem alle agieren sollen, zu verändern. 

Ob das so sinnvoll ist? Ich habe da meine Zweifel!

Was wir uns auch klarmachen sollten: DAS „Mindset“ der Mitarbeitenden gibt es gar nicht. Es gibt, wie gesagt, nur viele, viele individuelle und zudem situationsabhängige Verhaltens- und Denkweisen. Die Frage ist, welche Wege es gibt, um zu etwas zu kommen, das dann, später als Mindset der Organisation, als Selbstverständnis, Wertekodex, Denk- und Verhaltensrahmen, als Kultur wahrgenommen wird? Denn das hätte eine große Reichweite, die nicht nur die Mitarbeitenden umfasst, sondern sich über die Grenzen des Unternehmens hinaus fortsetzt und von Kunden und dem ganzen Umfeld wahrgenommen wird. Es ist, als baue man an der Stelle der alten Oper das neue Stadion (oder umgekehrt) statt jedem Opernbesucher Sportklamotten in die Hand zu drücken. Womit auch klar ist: Wer weiter in die Oper gehen will, den wird weder das neue Stadion, noch würden ihn oder sie die neuen Klamotten überzeugen. 

Gerade die Unternehmen, die in stabilen Umfeldern groß und profitabel geworden sind, denen ist es oftmals gelungen ist, durch Normen und Strukturen die Effizienz zu optimieren, sollten sich diesen Unterschied klarmachen und ihn bedenken. Solange sie nach Plan arbeiten können, funktionieren sie tadellos. Kommen jedoch Veränderungen, Ausnahmen, sind Abweichungen vom Plan notwendig, dann wird es schwierig, dann müss(t)en Verhalten und Denken anderen Wegen folgen können. Dann müssten, um in der Analogie zu bleiben, doch Operngläser oder Handtücher verteilt werden. Das wäre ein leichtes, wenn es denn möglich wäre das eine oder andere zu tun, wenn es allgemein zugelassen wäre. Doch meist braucht das Genehmigungen, Entscheidungen, Anträge und plötzlich ist es zu spät.
Dabei gilt eine banale Tatsache: Die Menschen in der Organisation könn(t)en damit umgehen – immer! 

Wichtig ist: Als Organisation komplexitätsklug zu sein, d.h. die Ausnahmen rechtzeitig zu erkennen und anders als der alten Norm entsprechend mit ihnen umzugehen, erfordert ein entsprechendes, angepasstes, organisationales Rahmenwerk. Ein Rahmenwerk, das den Beteíligten den Raum gibt frei(er) zu agieren und das ausreichend Beispiele und Referenzen beinhaltet, an denen man sich orientieren kann.
Mit komplexen, dynamischen Systemen umgehen, komplexe Herausforderungen und Aufgabenstellungen meistern zu können erfordert kein angepasstes Mindset einiger Mitarbeiter, es erfordert ein anderes Mindset der Organisation! Es erfordert, tief in der Basis aller Regeln, Normen und Werte andere Ansätze und Konzepte. Wobei der Punkt ist: Diese Ansätze und Konzepte zu entwickeln und zu verankern erfordert meistens deutlich weniger Geld, Zeit und Mühe, als in dies mit jedem Mitarbeiter im Einzelcoaching, -training, Workshop und Seminar zu erarbeiten. 

UND: Jedes Unternehmen kann es schaffen und die Voraussetzungen dafür aufbauen in Zukunft komplexitätsklug agieren zu können und immer wieder adäquat und schnell auf seine spezifischen „Ausnahmen“ zu reagieren. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitwirkenden ihre Fähigkeit zum Umgang mit Komplexität einbringen können und vor allem dürfen.

Allerdings: Es gibt kein Rezept, keine Vorlage und keine best Practice, denn jedes Unternehmen ist in sich ein komplexes und offenes dynamisches und komplexes System. Aber, es gibt Zutaten und Hinweise, aus denen sich strategische Zielrichtungen und Maßnahmen ableiten lassen.

Was also sollte drin sein, in so einem Rahmenwerk, dass dazu in der Lage ist die Organisation komplexitätsklug zu machen und dabei dem Mitwirkenden den notwendigen Raum zu geben? Der erste Schritt sind bewusste, ehrliche Antworten auf die Fragen:

  1. Was ist das Ziel? Worum geht es ganz konkret? Was würden wir tun, wenn wir keine Minute Zeit und keinen Cent erübrigen könnten und wir voll engagiert an die Sache herangehen würden? Was wollen wir unbedingt (im Markt) bewirken?
  2. Wie machen wir Teams – jedes einzelne für sich betrachtet – klug, effektiv und effizient? Welche Normen und Regeln braucht das Team? Wie groß sollte es sein? Welche Kompetenzen, welches Wissen und welcher Zugang zu Informationen sollte vorhanden und möglich sein? 
  3. Wie schaffen wir Strukturen, in denen sich Teams, Abteilungen und Bereiche modular ergänzen, sich gegenseitig unterstützen können und ggf. ‚ungestraft‘ Redundanzen entstehen? 
  4. Wie gelingt es, dass Kompetenz und Wissen führt – statt Hierarchie oder Demokratie? Was ist an Werten und Normen wichtig, damit kompetenzbasierte Führung funktioniert? Wie kommt man zu klugen, zielgerichteten Entscheidungen? Wie kann die notwendige Vertrauensfülle geschaffen werden? Wie verhalten sich Fehler und Lernen zu Vertrauen und Respekt?
  5. Wie gelangt Wissen dahin, wo es benötigt wird und angewendet werden kann? 
  6. Und eine der wichtigsten Fragen: Wie kann bestehender Wertschöpfung verhindernder Arbeitsballast identifiziert und neuer vermieden werden?   

Auf der Konzeptebene fallen die Antworten leicht, im speziellen, organisationsindividuellen Kontext, kostet es etwas mehr Aufwand die Antworten auszugestalten. 

Auf der Konzeptebene würde ich wie folgt antworten:

  1. Es geht darum konkrete Kundenprobleme zu lösen. Nur das interessiert! D.h. nicht, dass Mitarbeiter nicht im Fokus stehen sollten, Menschenzentrierte Führung ist essenziell, aber der Kunde ist mit seinen Umsätzen der Hauptinvestor in das Unternehmen.   
  2. Es sind kleine, frei agierende, crossfunktionale Teams von Menschen, die sich gerne ergänzen, einander zuhören und respektvoll miteinander umgehen. Eine Ebene höher sind es Teams von Teams, die frei agieren, sich crossfunktional austauschen, sich gerne ergänzen, einander zuhören und respektvoll miteinander umgehen. Eine weitere Ebene höher sind es Bereiche, die frei agieren, … Du weißt, was da noch kommt. 
  3. Wenn 2. gelingt, ist 3. schon fast geschafft. Dann kann das Unternehmen als Netzwerk komplexitätskluger Teams funktionieren, die mit jedem Grad an Komplexität und Dynamik umgehen können – und, ja auch mit vollkommener Stabilität. 
  4. Es geht um gegenseitigen Respekt und Vertrauen und damit die Elimination von Respektlosigkeiten, der Aufbau von Vertrauenswürdigkeit und Vertrauensfülle. Wenn Respekt und Vertrauen – in die eigenen Fähigkeiten wie auch in die der anderen – die Entscheidungsprozesse leiten, dann ist viel gewonnen!
  5. Umfassende, verständliche und transparente Kommunikation, keine Gerüchte, keine Halbwahrheiten, kein „das sollten wir niemandem sagen“. Wer sich einmal hintergangen oder uninformiert gefühlt hat, wird sich mit Respekt und Vertrauen schwertun. Und, ja, klar gibt es Bereiche, da kann und darf nicht jeder alles wissen. Wenn aber klar ist, welche Bereiche das sind und WARUM das Wissen hier nicht geteilt werden kann, dann ist auch hier viel gewonnen. 
  6. Das ist einfach und mühevoll. ‚Einfach‘ ist damit zu beginnen den Prozess, an dem man gerade arbeitet anzuschauen und zu überlegen, unter welchen Annahmen und Zielsetzungen er eingeführt wurde. Wem nützt er? Warum existiert er? Wer hat ihn geschaffen? Wer muss Zeit, Geld, Mühe oder andere Ressourcen investieren? Was würde sich ändern, wenn es den Prozess so nicht gäbe? Wie könnte eine ebenso wirksame (im Sinne der Wertschöpfung) Alternative aussehen? Wer traut sich die Alternative(n) auszuprobieren und die Erfahrung zu berichten?
    ‚Mühevoll‘ ist es, das mit allen Prozessen zu tun (und hilfreich ist es natürlich die Prozesse bzgl. Ihrer Häufigkeit und Tragweite zu priorisieren). 

Und eine siebte Antwort auf eine nicht gestellte Frage: Sich so aufzustellen hilft, um mit den aktuellen und künftig exponentiell wachsenden Herausforderungen, wie Nachhaltigkeit, besser begegnen. Und, soviel ist sicher: Dieses Thema spült in jedes bislang noch so stabile Unternehmen eine Menge an zusätzlicher Komplexität!

„Ihr könnt eure Mitarbeiter nicht mit neuen Mindsets impfen! Hört auf die Mitarbeitenden verbiegen zu wollen, wenn das Mindset der Organisation schief, verzogen und das Problem ist. Es sind nicht die Menschen, die ihr ändern müsst, es ist der Rahmen in dem sie miteinander arbeiten, den es zu verändern gilt!“ 

Ob sich ein Unternehmen überhaupt mit diesen Fragestellen beschäftigen sollte, ob die Top-Führungskräfte ihre Zeit und Kompetenzen hier einbringen sollten, hängt davon ab, wie und wo das Unternehmen dasteht und wohin es sich entwickeln will.

Wie stabil oder dynamisch ist das Umfeld, der Markt, der Wettbewerb? Gilt es auf besondere Ereignisse oder neue Herausforderungen und Probleme zu reagieren? Erfordern diese Reaktionen neues Wissen, neue Erkenntnisse, neue Impulse? 

Wie klar ist der Fokus jedes einzelnen auf die Kernziele des Unternehmens, (und) die  Wertschöpfung? Wie ist die Informationslage? Wohin entwickeln sich Trends und welche sind relevant?


Mustererkennung ist hier wichtig! Muster im Umfeld, wie auch Muster, die sich in den Strukturen und der Handlungsweise des Unternehmens widerspiegeln. Sie erlauben es abzuleiten, welche Wirksamkeit und welche Kosten einzelne Maßnahmen mit sich bringen. Sie erlauben zu identifizieren welche Grundlagen, Basisannahmen, Regeln und Rahmenbedingungen man ändern kann, sollte und muss. Sie erlauben auch zu erkennen, wieso viele Reports, Boni und KPI nicht mehr in die Zeit passen. Sie gestatten Abhängigkeiten in Beziehungen, Rollen und Strukturen aufzudecken, die vor allem Kosten aber kaum Nutzen erzeugen und sie rücken Schattenorganisationen ins rechte Licht (denn oft sind sie ein Spotlight wert, denn sie retten mehr Organisationen, als man glaubt).

Quintessenz 

Wir sollten Mindsets aufbauen, die uns helfen, die Krisen und Katastrophen zu überstehen, neue Möglichkeiten zu eröffnen und den Denkrahmen stetig zu erweitern. Nur müssen wir dieses Mindset Tief im Fundament der Organisation verankern, nicht „nur“ in den Mitarbeitenden.
Wir brauchen Mut Neues auszuprobieren und Gelassenheit Fehler zu machen. Wir müssen alte Zöpfe abschneiden und Systemwechsel ermöglichen.
Das alte hat uns an die Schwelle zu dieser neuen Zeit geführt. Jetzt ist Zeit den nächsten Schritt in diese Zeit zu meistern, um mit den neuen Herausforderungen und weiter wachsenden Komplexitäten umzugehen. Ich weiß, dass die Masse aller Unternehmen das kann und will. Ich weiß auch, dass viele sich noch schwertun, weil Ihnen in der Vielfalt der Möglichkeiten die Orientierung fehlt. Aber: Ihr habt in euch, was euch ausmacht! Findet Wege dem Raum zu geben, werdet los, was euch hindert, werft über Bord, was ihr nicht mehr braucht und lasst euch helfen, wo ihr Unsicherheit verspürt. Die beste Zeit die Zukunft zu gestalten war in der Vergangenheit, aber es ist dennoch besser heute zu starten, als morgen! Bei all dem hilft kein impfen, es braucht nur die Erkenntnis und die Überzeugung, dass die Zukunft noch immer positiv gestaltbar ist. Startet! Jetzt!