Die Bedrohung der Freiheit ist eine mächtige Triebfeder. Dieser Satz aus einem Artikel in der NZZ hat mich nachdenklich gemacht. In dem Artikel geht es um den Krieg in der Ukraine, worum auch sonst zurzeit. Es geht darum, wie schnell und konsequent Maßnahmen ergriffen wurden, um diesem Angriffskrieg und Überfall auf ein freies, selbstbestimmtes Land in Europa wenigstens ein klein wenig entgegenzusetzen.
Und so sehr der Krieg in der Ukraine schmerzt, so schrecklich es ist, dass Menschen sich gegenseitig töten und den Machtgelüsten eines Despoten zum Opfer fallen, zwei Folgen dieses Versuchs der unrechtmäßigen Annexion sind bemerkenswert: erstens der Zusammenhalt der meisten Staaten dieses Planeten in der Unterstützung der Ukraine und zweitens die wahrgenommene Hilflosigkeit der Welt im Umgang mit einem solchen Ereignis und Despoten.
Der gemeinsame Widerstand hat Energien, Budgets und eine Einigkeit geschaffen, wie die diese Welt bislang noch nie gesehen hatte. Zugleich wird deutlich, dass all diese Maßnahmen – zumindest kurzfristig – ihr Ziel verfehlen bzw. wie wenig konsequent sie umgesetzt werden. Banken werden gesperrt, Oligarchen eingeschränkt, aber das wichtigste Handelsgut (Energie) nicht sanktioniert. Nimby – not in my own backyard – ist der Begriff in der englischsprachigen Welt. Wir sagen dann „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, denn wir sind nicht bereit und vielleicht in all den Abhängigkeiten noch nicht fähig, die Konsequenzen selbst voll zu tragen.
Der Krieg in der Ukraine ist eine Zäsur. Er kann der Anfang eines Paradigmenwechsels sein, oder aber auch ein weiterer Sargnagel auf dem Weg der Menschheit. Er zeigt auf, wie verwundbar unser Frieden und unserer Freiheiten waren. Und er zeigt auf, worauf wir uns einlassen, wenn wir hier, wie in anderen Punkten nicht lernen als (Welt)Gemeinschaft zu agieren. Wenn wir nicht für uns klären, was uns wirklich, wirklich wichtig ist.
Tun wir das nicht, wird der Klimawandel nicht nur Hungersnöte und Kriege entfachen, er wird uns auch ein neues Verständnis für den Begriff „unvorstellbar“ aufzwingen. Einen Vorgeschmack werden wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erhalten, denn egal wie der Krieg ausgeht, die Ukraine, die Kornkammer des Planeten, wird wenig beisteuern können, um den Hunger der Welt im Griff zu halten. Wenn wir zudem nicht verhindern können, dass Kernkraftwerke als ortsfeste Bomben missbraucht werden, wird das Leben in Europa ohnehin kurzfristig ein anderes werden.
Putin hat, mehr als er es in seinen kühnsten Träumen gehofft haben mag, die Welt verändert. Er hat Angst in die Mitte Europas getragen, er hat ungeahnte Bedrohungen geschaffen, aber er hat eben auch den Hauch von Einheit und Einigkeit gebracht. Einheit im Widerstand gegen eine, für die Ukraine und viele andere Staaten in Europa und Vorderasien, übermächtige Bedrohung.
Die Frage ist, was wir aus diesem Impuls machen, ob wir in der Lage sind, das Strohfeuer des Zusammenhalts zu nutzen. Die einzige Chance, die wir jetzt haben, ist ein starker, multinationaler Zusammenhalt auf der Basis von klar definierten Werten, maximalen persönlichen Freiheiten, die zugleich die Freiheit aller anderen garantieren und einen echten Staatenbund zu schaffen, der willens und in der Lage ist, weltweit Frieden zu sichern.
Wir alle sind an vielen Stellen zu hörig, zu ruhig, zu wenig kritisch gewesen. Wir haben uns in Sicherheit gewiegt und uns nicht dafür interessiert, wie diese Sicherheit zustande gekommen kommt und erhalten werden kann. Nicht nur auf multinationaler und nationaler Ebene. Das alles beginnt, meiner Ansicht nach, schon im viel kleineren. In den kleinen Einheiten, die Zusammenhalt, Zufriedenheit, Perspektive und den maximalen Beitrag jedes einzelnen in Zukunft noch viel mehr brauchen werden: in den Unternehmen.
Aus der Unternehmensperspektive, oder eher aus der Beraterperspektive, gibt es schon lange ein Thema, das genau diese Punkte zu adressieren versucht: NewWork. Auch der Kern von NewWork hatte viel mit Selbstbestimmung, Freiheit und der gemeinsamen Arbeit daran zu tun. Werte und Ziele, die den Arbeitsalltag zu etwas machen sollten und so mehr Lebensqualität zu erhalten. Lebensqualität, die jeden Tag bedrohter ist, weil wir – gefühlt – zurzeit jeden Tag einen Schritt in die falsche Richtung gehen.
Es gibt Momente, in denen sich der Verlauf der Geschichte wendet. Ein solcher Moment ist jetzt gekommen.
Viele Unternehmen stehen, nach 2 Jahren Pandemie, durch die aktuellen Unsicherheiten und Einschränkungen des Ukrainekrieges sowie mit Blick auf das Damoklesschwert Klimawandel, mit all den möglichen Auswirkungen und Folgen, unter einem enormen Druck. Wenn der Zugang zu wichtigen Ressourcen eingeschränkt ist, wenn Geschäftspartner nicht mehr erreichbar sind, wenn Lieferketten wegbrechen, Geschäfte geschlossen werden müssen und Mitarbeiter fehlen, dann sind die Voraussetzungen für das eigene Geschäftsmodell schnell bedroht und Umsatzströme versiegen. Wenn in diesen Momenten die Ideen und Energien fehlen, um alle Möglichkeiten auszuloten und die Lücken zu kompensieren, dann wächst sich das anfängliche Problem schnell zu einer echten Gefahr und einer existenziellen Bedrohung aus.
Häufig finden sich „kleine“ Lösungen, mit denen sich die dringlichsten Probleme lösen und work-arounds umsetzen lassen. Doch Ansätze, die es erlauben, sich gegenüber den Krisen einen Vorsprung herauszuarbeiten, Ansätze, die es erlauben, Entwicklungen zu antizipieren und sich vorbereiten zu können, sind selten.
Es gibt kluge Unternehmensführer, die Erkennisgetriebenen, wie ich sie nenne, die verstanden haben, welche großen finanziellen, ökonomischen, ökologischen und vor allem zwischenmenschlichen Vorteile neue Handlungs- und Denkmodelle bieten. Wie viel es bringt sowohl den Zusammenhalt wie auch individuelle Potenziale und Leistungsbereitschaft zu fördern. Es gibt sie, die Beispiele und Vorbildorganisationen, die für sich Voraussetzungen geschaffen haben, um mit Dauerkrisen und Dauerwandel umzugehen. Die meisten nutzen dabei NewWork-Denke und alle haben ihr Management-Führungs-Betriebssystem verändert. Sie haben neue (Arbeits)Welten geschaffen, Regeln, Routinen und Rahmenbedingungen angepasst, altes Denken reflektiert und Neues Denken ermöglicht. Es sind Inseln menschenzentrierten Handelns entstanden, die fast allem trotzen können und das ist wichtig und großartig, doch ist es nicht genug.
Wir brauchen keine NewWork Inseln, wir brauchen einen NewWork Kontinent
Die Welt hat zurzeit Ihre Nagelprobe in Bezug auf das gemeinsame Bestehen von Megakrisen zu bestehen. Sie muss neuen Zusammenhalt finden und ihr Kräfte bündeln. Ohne die aktuellen Bedrohungen, ohne die Angst vor den Folgen des Scheiterns, wäre das (wenige), was bislang geschehen ist, nicht möglich gewesen.
Und hier zeigt sich das NewWork Dilemma. Einerseits ist das, wofür NewWork (auch) steht, eine lebenswertere Zukunft durch mehr Freiheiten, Selbstorganisation, besseren Zusammenhalt und Zusammenarbeit, im Kleinen das, was die Welt im Großen zu finden versucht – und daher wäre es der perfekte Weg, um den Menschen den damit verbundenen Mehrwert aufzuzeigen -, andererseits fehlt die konkrete, übermächtige Bedrohung, die die Kräfte und den Glauben an einen notwendigen Wandel in den Unternehmen bündeln und erzeugen könnte – noch zumindest.
Wir haben die Mittel, aber wir sind noch nicht bereit sie einzusetzen und zu nutzen, weil wir noch immer glauben etwas zu verlieren, das wir schon längst verloren haben. Wir sind nicht bereit den Wandel im kleinen, in den Unternehmen zu gehen, weil wir denken, wir könnten noch weitermachen wie bisher, dabei ist das „wie bisher“ längst Nostalgie.
Der Schritt von den, in Hierarchien verdichteten, von der Position abhängigen, für stabile Umfelder geschaffenen Machtstrukturen, hin zu einem Ansatz, in dem die dynamischen Fähigkeiten genutzt, Anpassungsfähigkeit ermöglicht und menschliche Kernkompetenzen vollumfänglich aktiviert werden können, ist nicht trivial und dennoch jetzt so notwendig wie nie zuvor. Menschenzentrierte Strukturen, Systeme, Denk- und Handlungsweisen sind ein Lösungsansatz, um mit den kommenden Katastrophen umgehen und Macht zukünftig zielgerichteter einzusetzen zu können. Ein in dieser Form, menschenzentriert neu definiertes #NewWork hat das Potenzial die großen Veränderungen zu ermöglichen.
Ich bin fest überzeugt, die gebündelten wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, des Krieges und des Klimawandels werden Unternehmen nur dann überstehen und meistern können, wenn sie sich im Kern ihres Zusammenarbeitsdenkens- und -handelns menschenzentriert aufstellen (oder schon aufgestellt haben. Um ganz konkret zu werden: Ich bin überzeugt, Sie werden nur dann bestehen, wenn es ihnen gelingt glaubwürdig und konkret Menschen in den Fokus zu rücken, menschenzentriertes = belastungsarmes, Zusammenhalt förderndes, Potenzial nutzendes, respektvolles, vertrauenswürdiges, sinnbehaftetes Zusammenarbeiten ermöglichen und dafür auch bereit sind bestehende Management- und Führungsparadigmen konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Und was könnte andererseits leichter, schneller und kostengünstiger sein, sein, als „nur“ die eigenen Paradigmen zu hinterfragen.
Allerdings reicht es nicht, wenn einzelne Unternehmen dies tun. Die Unternehmen selbst müssen sich zusammentun und gemeinsam, gegenseitig stärken, um sich auf dem Weg durch die Krisen zu unterstützen.
So wie es die Weltgemeinschaft jetzt, rechtzeitig, gegen einen Aggressor tun sollte, der bislang nur ein erstes Land angegriffen hat.
Kleine Aktionsinseln und begrenzte Maßnahmen reichen einfach nicht!
Gemeinsam sind wir stärker.
Es mag kaum passen, aber dieser Text ist ein Beitrag zur Blogparade #NewWorkNow, in der es darum geht, woher NewWork kam, wo es heute angekommen ist und wohin sich das Thema entwickeln kann. Und doch, für mich beginnt der große, notwendige Wandel, vielleicht ganz besonders, im kleinen.