Nein – Augenhöhe mit allen im Job, New Work und neue Arbeitswelten, cultural change und digitale Geschäftsmodell, all das ist, und da bin ich für mich ganz klar, sicherlich nichts für jeden. Es kann und will schlichtweg nicht jeder im Job, einfach so, ohne persönlichen Benefit mehr Verantwortung übernehmen und mehr Selbstorganisation (er)leben. Nicht jeder kann und will seine Meinung frei äußern oder andere Meinungen hören. Nicht jeder kann und will sich in komplexe Strukturen und Systeme eindenken oder gar auch andere Menschen Menschen sein lassen.

Schließlich ist die Arbeitswelt bislang auch anders klargekommen und die Strukturen sind in der Masse noch immer auf „die alte Art“ zusammenzuarbeiten ausgerichtet. Was soll mehr Augenhöhe also bringen? Eine Verschwendung von Zeit, Geld und vor allem von den anderen immer knapperen Ressourcen, von Veränderungsbereitschaft und Engagement.  

Zugleich gilt aber auch: Ob sukzessive und (gezwungenermaßen) parallel, ob freiwillig oder durch äußere Entwicklungen und Zwänge initiiert, viele Arbeitssituationen sind derzeit einem starken Wandel unterworfen und es gibt derzeit so viele Veränderungskampagnen, wie wohl selten zuvor. 

Mit der Masse der als notwendig erachteten Veränderungen, mit der wachsenden Zahl und Dynamik von Krisenerfahrungen, mit der zunehmenden, gefühlten Nähe der ‚Bedrohungen‘ wächst der Druck und damit der Widerstand gegen diesen Wandel. Nicht der Widerstand aller – glücklicherweise, aber doch der Widerstand einzelner, der immer lautstarker nach außen getragen wird. Wo früher noch im Stillen gebremst, sich in Sarkasmus und Zynismus geflüchtet und manchmal sabotiert wurde, lauert heute das Megafon derer, die zwar häufig nur mittelbar betroffen sind, sich aber unmittelbar angegriffen fühlen und daher um so vehementer um sich schlagen. 

Worum es ihnen geht, ist selten wirklich klar. Eine Vielzahl von Gründen beeinflussen die Entscheidung, sich gegen eine Veränderung des Status Quo zu stellen. Ohnmacht ist eines der Themen, die wohl den meisten Raum einnehmen. Das Gefühl, den Entwicklungen ausgeliefert zu sein, den letzten Rest Selbstwirksamkeit verloren zu haben, womöglich gepaart mit einem lange gewachsenen und damit tief verwurzelten Misstrauen gegen „die da oben“. Dazu noch eigene, oft alte, in einem anderen Kontext gesammelte Erfahrungen und Perspektiven, die nicht zu einer, sich immer dynamischer entwickelnden Umwelt passen, häufig kombiniert mit dem (zu) oft durchaus berechtigten Gefühl der gewünschten und bewusst eingesetzten Intransparenz.

Viele fühlen sind damit der Möglichkeit beraubt, ein eigenes, tiefes, umfassendes Verständnis für den Veränderungsdruck aufzubauen, sie entwickeln Neuinterpretationen notgedrungen auf der Basis von Halb- und Pseudowissen. Die so entwickelten „Erkenntnisse“ landen als Argument in fachlichen Diskussionen, die negativen Folgen und Bedrohungen werden übertrieben, die (mögliche) persönliche Betroffenheit relativiert. Mögliche ‚ungerechtfertigte‘ Einschränkungen werden beklagt und zugleich resultierende individuelle Beeinträchtigungen mit einer „jetzt erst recht“ Anti-Kooperationsinitiative beantwortet. Schließlich gilt in der sich immer weiter im persönlichen Kokon der Unangreifbarkeit einzurichten und alles, was sich nicht passend und richtig anfühlt, ab- und auszugrenzen. 

Was wir heute im gesellschaftlich Großen, aber auch im innerbetrieblich Kleinen erleben ist längst keine Debatte mehr, die sich mit Zahlen, Daten oder Fakten in eine gewünschte Richtung lenken lässt. Wie in so vielen anderen Bereichen ist die Emotionalität und der Anspruch auf Individualität in den letzten Jahren enorm gewachsen. Eine mögliche Einschränkung des Lebensstils, die Angst vor einem Verlust des verbliebenen Gefühls von Kontrolle und vor allem das Gefühl sowieso wieder zu den Verlierern zu gehören, während andere sich mit einer irgendwie gearteten Maßnahme die Taschen füllen führt dazu, dass die Kluft zwischen denjenigen, die sich überzeugt für eine Sache einsetzen und denjenigen, die sich mit einem, wie auch immer, wagen Gefühl dagegen positionieren, weiter wächst. Es ist die Kluft zwischen denjenigen, denen es (gerade) noch gelingt, mit einer immer umfassenderen, zunehmend komplexeren und dynamischeren Realität klarzukommen und denjenigen, deren persönliche Wahrnehmung ihrer Situation sie frustriert und desillusioniert zurücklässt.

Kurz: Beim Wandel (fast) alle mitzunehmen, ist zwar auf der einen Seite immer notwendiger, weil die Veränderungsschritte sich den Komplexitäten und Dynamiken anpassen (müssen), es wird aber andererseits genau deshalb auch jeden Tag schwieriger.

Wie also, sollen und können wir mit Themen wie new work, cultural Change und nicht zuletzt mehr Augenhöhe umgehen? 

Alle (für mich) erkennbaren Zeichen deuten darauf hin, dass wir noch immer zu häufig daran scheitern, selbst die Themen umfassend genug zu sehen und zugleich kleinteilig genug anzugehen. Was gut zu funktionieren scheint, sind viele kleine, separate Schritte. Hier ein neues System für die Berechnung der Boni, da mehr Freiräume bei der Arbeitsplatzwahl und Zeiteinteilung. Dann noch etwas Digitalisierung und eine Spur „neue Führung“. 

Nur, solch singuläre Maßnahmen führen in komplexen Systemen zu häufig zu Konflikten. Veränderte Führungsgewohnheiten scheitern an alten Regeln und Strukturen und neue oder digitalere Geschäftsmodelle holen die Leute nicht ab. „Purpose“ ist vielen zu weit weg.

Was sich die Menschen in der Organisation wünschen, wenn man sie mal offen und ehrlich fragt,  ist einfach nur eine Möglichkeit einen guten Job zu machen. Ein Umfeld, Strukturen, Regeln, die es erlauben bei der Arbeit Freude zu haben und sich einbringen zu können, ohne ständig ausgebremst zu werden und vor Wände zu rennen. Der Rest ist (fast) egal. 

Das Problem ist, dass wir so weit in der Sackgasse alter Strukturen und Denkweisen stecken, dass sich ein Wandel hin zu „einfach nen guten Job machen können“, so herausfordernd ausnimmt, wie der Schritt von der Pferdekutsche in einen aktuellen F1-Rennboliden. 

Am deutlichsten wird das für mich, bei dem Versuch, neue Geschäftsmodelle zu entwerfen und zu etablieren.
Während dabei viel Mühe und Zeit darauf verwendet wird, das Geschäftsmodell, gerne mit Hilfe des wirklich hilfreichen Business Model Canvas in allen Details aufzustellen, wird fast nie betrachtet, ob und wie dieses Geschäftsmodell in den Rahmen des Unternehmens passt. Passt das Modell zur Kultur, zu den Strukturen, den Prozessen, den Grundannahmen, die das Unternehmen geprägt haben? Passt es zu den Menschen, die aktuell im Unternehmen aktiv sind, zu ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen?
In der Folge scheitern hervorragende Ideen und Modelle an eigentlich banalen Umsetzungsthemen, die sich, wären sie zuvor in den Fokus gerückt worden, leicht hätten klären und lösen lassen. Aber das nur als kleiner Reflexionsimpuls.

Was können wir tun, um vielleicht doch zu mehr gerne und von allen mitgelebter Augenhöhe zu kommen?

Natürlich kann man Menschen ignorieren und ausgrenzen, die das „Dagegen“ Plakat zu offensichtlich mit sich herumtragen, man kann sie ins Leere laufen lassen oder niederbrüllen. Nur gewinnt man dabei nichts, außer einer noch größeren Kluft, noch mehr Widerstand und damit im Endeffekt noch mehr Problemen. 

Was benötigt wird, ist ein umfassendes Reframing auf beiden Seiten. Die einen sollten nicht ausschließlich als die Bösen und die anderen nicht ausschließlich als die Guten wahrgenommen werden.

Nicht nur deshalb, sondern auch im Sinne von mehr Augenhöhe, halte ich es für richtig, zumindest den Versuch zu starten, sich dieser Herausforderung zu stellen. Schlimmstenfalls hält diese Übung neue Lernerfahrungen bereit, vielleicht es aber auch das Gegenüber davon zu überzeugen, dass es lohnt auch andere Perspektiven zuzulassen. 

Grundlegend ist sowohl individuelles, wie auch Systemvertrauen und auch substantielle Verbundenheit (wieder) aufzubauen. (Die in Südafrika praktizierte Lebensphilosophie „Ubuntu“ könnte hier ein gutes Beispiel sein.) Eine logische Grundlage dafür ist, die Basis kultureller Werte und gemeinsamer Sicht- und Handlungsweisen und Annahmen zu klären. Das macht schon klar, dass es auch darum gehen sollte, systemisches Denken und ganzheitliche Betrachtungen breiter zu verankern. Grundlagen der Systemtheorie gehören daher für mich genauso zum relevanten Maßnahmenkatalog, wie eine Betrachtung der konkreten Einflussgrößen auf Strukturen und Prozesse im Arbeitsablauf. 

Zusätzlich sollte überlegt werden, wie die folgenden Punkte in der Organisation und „Betriebssystem“ der Zusammenarbeit, den Regeln und Rahmenbedingungen, verankert werden können:

  • Die aktive Übertragung und Übernahme von Verantwortung inklusive einer unabhängigen, transparenten Reflexion und einer in jedem Fall – egal ob es einen Erfolg oder Misserfolg gab – sachlicher Kommunikation der Ergebnisse.
  • Ein hohes Maß an Transparenz bezüglich der Aktivitäten auf allen Ebenen, insbesondere von „denen da oben“. Idealerweise ist diese Transparenz gepaart mit der Möglichkeit sich zu involvieren und involviert zu sein und bleiben.
  • Hilfreich ist es ebenso, Gelegenheiten anzubieten, um das individuelle und das gemeinschaftliche Erfahrungswissen, etwa in open Space Veranstaltungen, abzugleichen und so wieder zu einer gemeinsamen Basis zurückzufinden. 
  • Und für all jene, die ohnehin die schlimmsten aller Auswirkungen auf sich zukommen sehen, kann die Darstellung verschiedene Ergebnisszenarien, inklusive einer worst case Betrachtung und der möglichen individuellen Folgen, hilfreich sein, um sich keine zu irreführenden Gedanken zu machen.  
  • Reflexion ist ohnehin eines der Schlüsselelemente und Reviews sowie Retros gehören nach meiner Ansicht nach heute ohnehin zum Repertoire JEDES Unternehmens, das sich seine Zukunft selbst, ohne Zwang und aktiv gestalten will.  

Wer dies alles vertiefen und sich konkret zur Ausgestaltung austauschen möchte, dem empfehle ich gerne das nächste Augenhöhe Camp am 16. September 2022 im Hamburger Museum der Arbeit , das ich auch in diesem Jahr gerne als Medienpartner unterstütze (https://augenhoehe-film.de/camp/ und https://www.xing.com/events/augenhohecamp-hamburg-2022-3940477). 

Und vielleicht wäre da ja auch Raum, um das engere Zusammenspiel zwischen Geschäftsmodell- und Managementmodellgestaltung weiter zu diskutieren.