Spannend, wenn auch etwas lang, was Winfried Felser da in seinem Artikel über das Damoklesschwert der Digitalisierung geschrieben hat. Ihm geht es dabei interessanterweise nicht um “das Digitale” an sich, sondern – so wie ich es lese – ganz viel darum endlich (an)zu-erkennen, dass sich mit einer neuen Art der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen (oder zwischen Maschinen und Maschinen, aber immer auch zwischen Menschen und Menschen) einige der grundlegenden Annahmen für Wertschöpfung und auch Organisationsgestaltung weiter verändern.
Fraktale Wertschöpfung – Wertschätzung adé ?!
Wertschöpfung wird immer fraktaler. Sie bricht, wie wir heute in einigen Branchen bereits sehen (Mobilität (Uber), Unterkünfte (Airbnb), Handel (Warehouse deals von amazon, ebay), Musikindustrie (apple iTunes)) auseinander und gruppiert sich gleichzeitig neu, mit oftmals wenigen aber schnell sehr einflußreichen Gewinnern.
Die lukrativen, netzwerkabhängigen, leicht digitalisierbaren und skalierbaren Elemente werden in Plattformen neu zusammengefasst. Die “Neuen” bringen in neuen Strukturen Nachfrager und Ressourcenanbieter zusammen.
Sie verändern neben der Wertschöpfung damit ganz nebenbei auch Wertschätzung. Viele der Plattformen, die in maximalem Umfang Netzwerkstrukturen nutzen, gehen aufgrund ihrer Größe selbst nur noch minimal auf individuelle Leistungen und Beiträge ein. Als mittelbare Folge wächst auf der zwischenmenschlichen Ebene damit die Bedeutung der direkten Interaktion zwischen dem Nachfrager und dem (ggf. neuen) Ressourcenanbieter. Soll heißen: Der Uber-Fahrer und der Airbnb Schlafplatzanbieter haben keine Chefs und Kollegen mehr, die ihnen Wertschätzung zeigen können. Wenn es der Kunde nicht tut, braucht man da ein immer dickeres Fell und in sich selbst Zufriedenheit und Wertschätzung finden. Doch ist nur ein Nebeneffekt, der sich mittelfristig sicherlich auch in unserer Kultur und Gesellschaft widerspiegeln wird.
Kollaboration über alte Grenzen hinaus
Der zweite sich verändernde Teil trägt viel mehr Früchte über deren Geschmack man zur Zeit noch streiten kann.
Was geschieht mit Arbeitsorganisationen (aka “Unternehmen”), wenn Wertschöpfung weiter auseinander bricht? Was passiert mit Unternehmen, wenn sich die Anforderungen durch Individualisierung auf der einen Seite und Plattformökonomien auf der anderen Seite weiter verändern? Wie können sie als Strukturform reagieren und was bedeutet das für die Menschen und deren Interaktion, die diese Organisation (nicht nur) aus systemischer Sicht ausmachen?
Alle Zeichen des Erfolgs stehen (eigentlich schon lange) auf intensivere Kollaboration und Vernetzung. Unternehmen, die intern und über ihre Organisationsgrenzen hinaus stärker mit anderen Zusammenarbeiten (oder manchmal auch nur im intensiven Austausch stehen) haben und nutzen enorme Vorteile. Sie gewinnen Zugang zu mehr Wissen und Kompetenzen. Sie können flexibler und agiler (re-)agieren. Sie erhalten mehr Impulse, frühzeitigere Informationen über Markt- und Wettbewerbsveränderungen und können so (etwas) weiter in die Zukunft schauen.
Zu viel, zu gut, zu wenig genutzt
Die Menge an neu verfügbaren Kompetenzen und Potenzialen sprengt zwar manchmal den Rahmen des In der Organisation ad hoc verarbeitbaren, ist mittel- bis langfristig jedoch eine ungemein mächtige Ressource.
Diese neue Ressource muss sich “erarbeitet” werden. Der Zugang zu dem Wissen der UnternehmensUMWELT lässt sich nicht befehlen und nicht mit geheimen Zauberworten öffnen. Das “Sesam öffne Dich” liegt tief im Vertrauen und der Bereitschaft verborgen, sich für eine “fremde” Unternehmung zu engagieren. Es liegt in der Offenheit mit “fluiden Strukturen” umzugehen, in sie zu investieren, um, unter Umständen auf unklaren und verschlungenen Pfaden, einen “Return on Invest” zurückzuerhalten.
In einer Logik, die systemisch weiterdenkt ohne sich an den bestehenden Organisationsgrenzen zu orientieren, spricht man offen über die echte, große Vision und lädt andere ein, bei deren Umsetzung mitzuwirken. Da kann es hilfreich seine Kunden einzuladen und sie an Entwicklungen teilhaben zu lassen. Es kann positiv wirken, die Geschäftspartner nach den eigenen blinden Flecken zu fragen und die Antworten auch auszuhalten – auch wenn echte offene Kritik die Balken im Auge thematisiert. Es kann nützen Zeitarbeitskräfte, Freelancer und Interim Manager nicht auszuquetschen, sondern sie vom Unternehmen zu überzeugen und sie zu Botschaftern der eigenen Sache zu machen. Solche (kleinen) Maßnahmen öffnen Raum und den Zugang zu den Köpfen und dem darin verborgenen Wissen, der Leistungsbereitschaft und vor allem auch der Chance, kurzfristig auf Veränderungen von außen zu reagieren.
All das kann gelingen, wenn zwei Stellschrauben bewegt werden. Zum einen ist es hilfreich nach außen zu gehen und hier zu investieren. Dies sind zum Beispiel Investitionen in das die Organisation umspannende Netzwerk, dessen (neu entstehende) Energie man weder kennt noch abschätzen kann. Oder Investitionen in einen Pool freier Mitarbeiter, die das Unternehmen kennen und gerne auch kurzfristig Beitrag leisten. Oder ein Invest in die Begeisterung von Kunden – eine der mithin stärksten Energiequellen für Mitarbeiter.
Zum anderen sollte man nach innen gehen, denn die Haupthindernisse für erfolgreiche Schritte nach außen liegen oft genau hier in Strukturen, Aufgabenverteilungen oder der Angst vor Öffnung. Oft sind es die vielen kleinen Hemmnisse und Störfelder die auch das Tagesgeschäft so mühsam machen, die die interne Zusammenarbeit unnötigerweise erschweren, die auch nach außen durchtragen und damit die Außenwahrnehmung mehr beeinflussen als das beste Marketing. Diese interne (Un-)zufriedenheit ist, was Kultur und Haltung ganz maßgeblich beeinflusst.
Es gibt viel zu tun
Als Unternehmen lohnt es zu reflektieren wann und durch wen die eigene Wertschöpfungskette neu gestaltet werden kann wird. Wie in vielen Bereichen, die wir mit der “Digitalisierung” verbinden, wird es einige Unternehmen geben, die es herausragend beherrschen, dieses ökonomische Potenzial zu heben.
Um zu vermeiden in eine weniger lukrative Nische gedrängt zu werden, kann daran arbeiten die eigenen Chancen (grundsätzlich) zu verbessern. Ein hervorragender Weg ist, wie oben angesprochen, sich der Unterstützung von so vielen (wohlwollenden) Köpfen und Händen wie möglich zu versichern.
Das ist allerdings eine Aufgabe die es erfordert, sich zunächst einmal darüber klar zu werden, was andere davon abhalten könnte sich (kurz- oder langfristig) für die Organisation zu engagieren. Wer steigt schon irgendwo mit voller Leistungsbereitschaft ein, wenn er weiß, dass sein Einsatz nicht wertgeschätzt wird oder der weiß, dass er die halbe Arbeitszeit gegen bürokratische Hürden und andere Hemmnisse kämpft.
Sich darüber klar zu werden wie das Arbeitsfeld aussieht, in dem die neue breite Vernetzung mit dem Ziel intensiver Kollaboration optimal ausgestaltet werden kann, ist die wohl klassischste Aufgabe von Top-Management, Personal- und Organisationsentwicklung. Es gibt viel zu tun.