„Wo bleibt der Mensch in vernetzen Unternehmen?“

diese Frage stellt Gunnar Sohn im Vorfeld des für den 06.09.016 geplanten YouBusinessTalk mit Ralf Volkmer, Christine Gebler, David Brych, ihm und mir mit Ausblick auf das V. Symposium CHANGE TO KAIZEN am 26. und 27. Oktober in Mannheim.
Er selbst hat sich mit „Partizipationsrhetorik und das digitale Opium fürs Volk #YouBusinessTalk“ bereits warmgelaufen. Hier ein paar grundsätzliche Gedanken von meiner Seite.

Vernetze Unternehmen? Was ist das überhaupt? Wozu dient die Vernetzung?

Aus meiner Sicht gibt es – unabhängig weiterer Verfeinerungen – vier grundsätzlich zu unterscheidende Arten von „vernetzen Unternehmen“:

  1. Technisch vernetzte Unternehmen, die Technologie nutzen, um Abläufe und Maschinen miteinander zu verzahnen. Der Mensch mit seinen kreativen und kommunikativen Fähigkeiten ist in solchen Unternehmen (noch (?) notwendiger) Teil des Prozesses. Die Vernetzung dient dabei vor allem der effizienten Steuerung und hilft Abläufe zu optimieren.
  2. Unternehmen deren Mitarbeiter intern intensiv vernetzt sind, um möglichst effizient (und manchmal möglichst effektiv) miteinander zu arbeiten. Diese internen Vernetzung können die technische Vernetzung und im Sinne der Unternehmensführung nutzen und unterstützen. Sie können aber auch gegen beide (Führung und Technologie) arbeiten und den Versuch einer überzogenen Steuerung unterlaufen, um andererseits Raum für den Einsatz der eigenen Fähigkeiten zu schaffen. Gerade letztere Strukturen kennen wir als Schattenorganisation.
  3. Unternehmen deren externe Stakeholder intensiv mit dem Unternehmen vernetzt sind, interne Vernetzung aber weniger intensiv betreiben. Als Beispiel fallen mir hier Automobilbauer ein, deren Zulieferer intensiv in die Produktionskette eingebunden sind, bis hin zu eingeforderten exklusiven Entwicklungsleitungen und einem damit verbundenen maximalen Grad gegenseitiger Abhängigkeit. Eine interne Vernetzung ist dabei nicht notwendig, und – wenn man sich das heute zumindest teilweise immer sichtbarere Geschäftsgebaren ansieht – auch wenig erwünscht.
  4. Unternehmen die eine intensive Vernetzung von internen und externen Stakeholdern (und Technologie) in jedweder Richtung aktiv unterstützen. Diese Unternehmen sind oftmals bewusst transparent in vielen Teilen ihrer Innen- und Außendarstellung und schaffen damit ein Umfeld, in dem die Stakeholder selbst bewusst entscheiden können wie weit sie sich aktiv einbringen. Intensive Kommunikation über neueste Technologien gehört zur Geschäftsphilosophie.

Die Vernetzung ist nie Selbstzweck, sondern auch immer Ausdruck der Führungs- und Geschäftsphilosophie und indirekt der (viel beschworenen) Vision der jeweiligen Organisation. Sie dient dazu die aktuelle oder (manchmal auch) zukünftige Überlebensfähigkeit aus Sicht der Führung und/oder der Investoren zu optimieren. Sie soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen von den aktuellen (bzw. zukünftigen) Entwicklungen maximal zu profitieren.

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In welcher Welt leben wir eigentlich? 

Die Unternehmenswelt ist, wie ich sie wahrnehme, klar strukturiert und geregelt (gewesen). Die Mittelständler die ich elternhausbedingt in meiner Kindheit und Jugend kennengelernt habe, lebten von der Weit- und Einsichtsfähigkeit der Eigentümer. Die Abläufe waren (aus heutiger Sicht) unglaublich langsam, die Chancen nach einer ausführlichen Beratung zu einer be- und überdachten Entscheidung kommen zu können, war auch im kleinen Kreis der Führung gegeben.
In der heutigen Managementlehre finden sich noch viele Hinweise auf diese Zeit. Mein „Lieblingsbeispiel“  ist das Managen von Veränderungen, das sich in der noch heute gelehrten  klassischen Struktur an hierarchisch geprägtem Denken und Top-down Vorgaben orientiert.
Mit Blick auf die Entwicklungen der letzten 10 – 15 Jahre sticht heraus, dass sich die Unternehmensumwelt beschleunigt hat. Wo es früher darum ging Prozesse zu standardisieren, Messbarkeit zu gewährleisten und sie damit insgesamt maximal effizient zu gestalten, sind heute individualisierte Produkte und Anpassungsfähigkeit an ein sich immer schneller veränderndes Anforderungsprofil gefordert. Hier kann technische Vernetzung helfen, maximal effektiv ist allerdings wer als Unternehmen die Chance hat „menschliches“ Engagement und Kreativität und nutzen. Nur so lässt sich agil gestalten, was dynamisch nachgefragt wird. Doch Agilität, Engagement und Adaptionsfähigkeit brauchen auch immer einen stabilen und sicheren Rahmen um gedeihen zu können.

Was ist mit dem Mensch im Netz? 

Drei Szenarien fallen mir auf, wenn ich an dem Mensch im Netz denke.

  1. Eine Unternehmenswelt, in der der Mensch keine aktive Rolle im Netz spielt.
    Hier ist er wie unter 1) human(oid)er Baustein in einem technisch geprägten Netz, dass dank moderner Steuerungslogiken auch zu einem gewissen Grad zuvor konfigurierte aber  hochgradig individuelle Produkte (h)erstellen kann.
    Der einzig netzwerkrelevante Mensch ist damit der Kunde, der seine individuellen Anforderungen direkt ins System eingibt. Alle anderen sind potenzielle Störfaktoren. Eine Konstellation, die solange optimal funktioniert, wie die Bandbreite der Anforderungen mit der Bandbreite der Konfigurationsmöglichkeiten übereinstimmt. Sind hier Anpassungen notwendig ist auch hier (oftmals) zunächst der Mensch gefragt, um diese dem (noch nicht künstlich intelligenten System) zu vermitteln.
    Meine Prognose: Eine kleine Zahl von Unternehmen wird hier ausreichend Raum finden, ihre Prozesse soweit zu optimieren, dass sie dem globalen Konkurrenzdruck Paroli bieten kann.
  2. Eine Unternehmenswelt, die im wesentlichen weitermacht wie bisher. Mensch und Technik interagieren miteinander, neue Technologien werden genutzt, um das Zusammenwirken zu verbessern. Insbesondere bleibt es bei den heute üblichen Zeitreisen, d.h. die Mitarbeiter nutzen in ihrem privaten Umfeld aktuelle Kommunikationstechnologien, wie Social Media, Bewertungs-, Informations- und Sharingplattformen, deren Nutzung innerhalb der Unternehmen jedoch nicht gefördert oder gar untersagt wird. Während die Mitarbeiter privat lernen welche Meinungsäusserungs-, Mitsprache- und Einflussmöglichkeiten sie haben, finden Sie im Unternehmen kein entsprechendes Pendant. Das erhöht die (unterschwellige) Kritik der Mitarbeiter an ihrer Führung, Prozessen und Hierarchien senkt Motivation und Engagement.
    Die Folge sind nach außen hin stabil wirkende unternehmerische Strukturen, die mit einem zunehmend instabilen Umfeld, das durch eine zunehmende Notwendigkeit zum Austausch und Kommunikation geprägt ist, immer weniger klarkommen.Meine Prognose: Diese Vorgehen ist heute oftmals üblich und kann in den nächsten Jahren weiter Bestand haben, solange zumindest, wie der Wunsch zur Mitgestaltung sowie die Notwendigkeit flexibel und mit hohem Engagement aller Beteiligten auf veränderte Anforderungen zu reagieren klein sind.
  3. Eine Unternehmenswelt in der Menschen mit Hilfe und Unterstützung aktueller Technologien optimal, effizient und effektiv miteinander kommunizieren und sich zu der vollen (notwendigen) Bandbreite von Themen miteinander austauschen können. Dabei gibt es zwar Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen „innen und außen“ die aber flexibel gehandhabt werden können und so zu fluiden Netzwerken führen, in denen Transparenz und Respekt Gestaltungsraum für neue und alte Ideen erzeugt. Die Menschen in diesen Netzwerken erleben ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit, Austausch, Reflexion und Feedback und haben den Raum miteinander und aneinander zu wachsen. Das Unternehmen profitiert von den Ideen und der Energie der Organisation. Die Aufgaben und das Rollenverständnis vieler, wenn nicht aller, Beteiligten, intern wie extern, entwickelt sich und erfordert gleichzeitig viel eigenen Willen diese Veränderung mitzugehen und mitzugestalten.
    Die Folge sind veränderte Strukturen sind es gelernt haben sich selbst zu reflektieren und dynamisch die Anforderungen zu adaptieren, um optimal darauf zu reagieren. Da interne und externe Strukturen miteinander verwoben sind, erhöht sich insgesamt die Wahrnehmung von Stabilität und Sicherheit und damit die Bereitschaft agil zu handeln.Meine Prognose: So schwierig die Veränderung für die Masse der Unternehmen ist, so notwendig und zielführend ist sie, das sie die optimale Basis bildet, um auf die möglichen Veränderungen des Unternehmensumfelds flexibel zu reagieren.

Und wie gehts weiter?

Mit Blick auf die weltweiten ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre gewinnt das aktuelle Buzzword VUCA immer mehr an tatsächlicher Bedeutung für Unternehmen. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit sind reale Begleiter und Einflussgrößen jeder wesentlichen unternehmerischen Entscheidung. Diese unter Ausschluss etwaig vorhandener großer, kompetenter und erfahrener Netzwerkteilnehmer zu treffen und dabei die technischen Möglichkeiten auszuschließen ist zwar, da der Status Quo weiter beibehalten werden kann bequem, aber ebenso fatal.
Wie sehr dieses Verhalten verinnerlicht ist, zeigt die schon lange währende und zunehmende Kritik am schon oben genannten Thema „Change“. Auch wenn die Probleme wie überforderte Führung und fehlende Beteiligungsmöglichkeiten seitens der Mitarbeiter bekannt sind und eine Vielzahl von Changeinitiativen kostenintensiv scheitern, sind nur wenige die tradierten Wege zu überdenken oder gar neue einzuschlagen.
Der Verharrungs- und Vermeidungswille ist heute noch vielfach größer, als die Erkenntnis, dass klug und bewusst initiierte Entwicklung mehr wirtschaftliches Potenzial für die Unternehmen bietet.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wo bleibt der Mensch in vernetzen Unternehmen?

Ich möchte die Frage drehen? Wo bleiben Unternehmen wenn die Menschen sich weiter vernetzen, was sie tun werden!?! Und was müssen Unternehmen tun, um mit der dann entstehenden Dynamik optimal umzugehen. Verharren ist wahrscheinlich keine der besseren Antworten…
Was ich geschrieben habe, mag in Teilen unbequem und zunächst auch unwahrscheinlich klingen, was aber, wenn ich auch nur in (anderen) Teilen Recht habe?
Ich persönlich rate jedem (Unternehmen) regelmäßig zu reflektieren, welche Aufgabe und Rollen in fünf Jahren noch existent sind, und was jeder individuell tun kann (oder muss) um die aktuelle  Position zu halten oder auszubauen. Wann haben Sie so etwas zuletzt getan?