Um’s kurz zu machen: Ja! Wer Querdenker sucht, um sie fest angestellt und dauerhaft ins Unternehmen zu holen, hat schon längst verloren. Insbesondere hat er im Grunde keine Chance, dass der Querdenker einen nennenswerten Veränderungsimpuls ins Unternehmen trägt.
Warum?
„Querdenken“ – und der Ruf nach ihnen – hat heute Hochkonjunktur. Die Kombination aus Digitaler Transformation und der damit einhergehenden Veränderung der Zusammenarbeit aka „New Work“ lässt sich nur dann in sinnvoll kurzer Zeit umsetzen, wenn es gelingt schnell neue Denkmuster zu etablieren. Der notwendige Wandel der unterliegenden Managementmodelle hin zur Fähigkeit, mit Agilität, Innovation, VUCA, Disruption und all den Einflüssen der neuen Wirtschaftswelt umzugehen (Stichwort „Adhoc-kratie“), braucht am Übergangspunkt von Steuerung zu Wirkung Impulse und Reflexionen auf allen Ebenen – vor allem aber auf der Ebene der echten Entscheider, der Eigentümer, Investoren und des Top-Managements!
Im Bereich neuerer, auf Wirkung ausgelegter Managementmodelle, wird quer denken nicht nur akzeptiert, sondern, weil erkannt ist, dass dies ein wesentlicher Faktor ist um mit dem Unplanbaren umzugehen, auch aktiv unterstützt. Doch damit ist hier die Notwendigkeit weitere Querdenker ins Boot zu holen gering, denn die Mitarbeiter sind bereits quer unterwegs.
Andererseits ist in den Bereichen, in denen „Steuerung“ das Credo der Führung ist, die Akzeptanz für unkontrollierbare Querdenker nicht gegeben. Die Gefahr, dass ein dahergelaufener „irgendwer“ am etablierten Selbstverständnis der Organisation knabbert ist zu groß. Die Angst am Ende doch als Kaiser ohne Kleider erkannt zu werden, blockiert den Zugang zu solchen Provokateuren.
Falls Querdenker doch den Weg in diese Strukturen finden – geplant oder zufällig – ist ihr Wirken angesiedelt zwischen dem Ritt auf dem Vulkan und dem Gang zum Scheiterhaufen, mit der Option zuvor einen Lorbeerkranz überreicht zu bekommen.
Querdenken ist hier unbequem, verdächtig und vor allem strukturgefährdend!
Querdenker sind wichtig!
Der Übergang in eine „neue“ digitalere Welt wird ohne ein tiefgreifend verändertes Denken nicht gelingen. Doch wo soll dieses Denken herkommen, wenn der Mut zur gemeinsamen Selbstreflexion als Organisation fehlt und Führungskräfte Angst um ihre ganz persönliche Zukunft haben? Auf diesem antiseptischen Nährboden wächst kein Gras und sicherlich keine zeitgemäße Entwicklung. Es braucht den Impuls, des braucht neue Perspektiven und es braucht angstfreie Zugänge zu beidem.
Wie die „Digitalisierung“ und „New Work“ teilt sich auch Querdenken in zwei Bereiche auf. Zum einen ist es das quer- und digitaldenken von Produkten, Services, Prozessen und sonstiger digitaler Arbeitsunterstützung („Innovationsquerdenken“), zum anderen in das Hinterfragen, Neu- und Querdenken von Kultur, Führung, Struktur, Kommunikation, Entscheidungswegen und der Zusammenarbeit im Unternehmen(„kulturelles Querdenken“).
Sind Innovationsquerdenker im Kontext digitaler Produkte etc. bereits im Mainstream und den Unternehmen angekommen, so wird das kulturelle Querdenken zwar als Monstranz gerne vor sich hergetragen, doch am Ende selten konkret angegangen.
Damit entgeht den Organisationen viel „Erweckungspotenzial“. Querdenker machen mit neuen Perspektive und Ansätzen alte Probleme sichtbar, zeigen Chancen auf, geben zielgerichtete Impulse und beschleunigen vor allem auch die sonst so mühsame kulturelle Innovation.
Doch, wer quer denkt, wer hinterfragt, wird – je nach Selbst-Bewusst-Sein des Umfelds – schnell als „wahrsinnig gut“ und „wahrhaft böse“ betrachtet. Je reflektierter die Organisation mit sich umgeht – sowohl auf der Mitarbeiter, wie auch auf der Führungsebene -, desto eher werden die neuen Perspektiven als hilfreicher Beitrag anerkannt. Je weniger desto… tja, Schade eigentlich.
Querdenken aushalten können
Haben Sie sich schonmal gefragt, wieviel querdenken Ihre Organisation verkraften würde? Würde sie es überhaupt aushalten, wenn neue Querdenker dazukämen?
Wo unbedacht und dennoch aktiv nach Querdenkern gesucht wird, ist der Boden für sie selten bereitet und das Immunsystem der Organisation reagiert allergisch. Andererseits, Organisationen die Querdenker aushalten könnten, brauchen im Grunde selten welche.
Querdenken muss, wie jeder substantielle Eingriff in das Betriebssystem von Organisationen, in die Kultur und die Parameter der Zusammenarbeit, muss vom Top-Management nicht nur geduldet, sondern gewollt sein. Ein Management, das diese Entwicklung möchte und bereits vorlebt, schafft, außer in wirklich großen Strukturen mit ihren Bereichs-Fürstentümern und Lähmschichten, das Fundament auf dem sich die Kultur weiterentwickeln kann. Eine Kultur die mithin auch Querdenken ermöglicht und erlaubt.
Ein Management, das als Hygienefaktor Querdenker sucht, erschafft mit diesem Ansatz gleichzeitig den Treibsand in dem diese untergehen. Sie verschlimmert die Gesamtsituation, indem die suggerierte Offenheit die vorhandenen, bislang verdeckt agierenden „Rebellen“ aus der Deckung treten lässt und sie damit, aufgrund mangelnder echter Akzeptanz, verbrennt.
Gleichzeitig verändert allein die Aussage, dass Querdenker erwünscht sind, die Kultur – wie so viele bedachte und unbedachte Handlungen des Managements. Kulturelle Querdenker sind im besten und zugleich in schlechtesten Sinn Brandbeschleuniger. Wo sie aktiv wirken (können), verändern sie um ein vielfaches mehr und schneller ihr Umfeld. Dies muss man sich deutlich bewusst machen, den diese Veränderung erzeugt Emotionen zwischen Begeisterung und Angst und damit Reaktionen zwischen Euphorie, Lähmung und Widerstand.
Querdenken.Ernst.meinen!
Organisationen und Top-Manager, die es mit dem Querdenken tatsächlich Ernst meinen, sollten ganz bewusst entscheiden mit welchem Bereich des Querdenkens sie starten wollen: mit der Kultur und dem Betriebssystem oder der Produktinnovation.
So sehr der Digitalisierungsdruck dazu animiert sich zunächst ins Innovationsquerdenken zu stürzen, so sehr gilt es dabei einen wichtigen Punkt zu bedenken: Ohne die Bereitschaft innovative Ideen mitzutragen und umzusetzen, bringen diese nichts. Wie Strukturen wirken, die diese Bereitschaft nicht besitzen, hat Gunter Dueck in z.B. „Schwarmdumm“ anschaulich beschrieben. Ohne die kulturelle Basis ist Innovationsquerdenken ein ineffizienter Spießrutenlauf.
Drei Wirkebenen kulturellen Querdenkens
Wer als „Kulturquerdenker“ mit offenen Ohren und unverbrauchtem, weitgehend leitplankenbefreitem Denken in Organisationen hineingeht, wirkt auf den drei wichtigsten Hierarchieebenen sehr unterschiedlich. Er fungiert zum einen für Mitarbeiter als Ventil und Blitzableiter, für das mittlere Management als Übersetzer & Vernetzer und im Management und für die Eigentümer als Stethoskop, um den Herzschlag des Unternehmens ungefiltert zu vernehmen. Gleichzeitig nehmen Querdenker ganz explizit Einfluß. Jede Bewegung, jeder Anstupser, jeder Gedanke, jeder Idee und jeder Impuls führen zu Reaktionen – und zu Gegenreaktionen. Die Kunst ist, dabei nicht nur provokant die Menschen zu bewegen, sondern, schon vor bevor man beginnt Salz in die Wunde zu reiben, (Re-)Aktionsmöglichkeiten durchdacht zu haben. Wer immer nur auf Probleme aufmerksam macht, ohne Konzepte und Lösungen zu initiieren ist Querulant und nicht Querdenker.
Ein guter Querdenker ist damit irgendwo zwischen einem guten Coach und Daniel Düsentrieb verortet. Man ist als Neo-Generalist zugleich blauäugig und tiefgängig.
Querdenker in Festanstellung?
Ob es zielführend ist, insbesondere kulturelle Querdenker in Festanstellung in Unternehmen zu holen, ist davon abhängig wie umfangreich die Strukturen sind, wie komplex das organisationale Umfeld gestaltet ist und wo der Weg startet. Nur wenn das Unternehmen so groß ist, dass mehrere Unternehmensbereiche dauerhaft viel Unterstützung benötigen, macht es Sinn kulturelle Querdenker fest hereinzuholen. In kleineren Organisationen geraten auf kulturelle Themen fokussierte Querdenker schnell in den Leerlauf.
Dabei ist die Frage nach dem Startpunkt, dem Status Quo der Organisation in Bezug auf den „inneren Zustand“ eine der kritischsten – auch weil sie trotz ihrer enormen Bedeutung selten im Fokus der Top-Entscheider steht. Solange der Motor läuft beschäftigen sich nur wenige damit, diesen bei Zeiten weiter zu entwickeln. Wozu das führen kann, zeigt sich heute und weiter zunehmend in der Automobilindustrie. Der Wechsel der „Antriebstechnologie“ betrifft nicht nur die Produkte & Fahrzeuge, sondern – daran arbeitet z.B. Daimler im Moment sehr aktiv – die Unternehmensführung und deren Führungsphilosophie. „Elektro“ oder „Verbrenner“, „Steuerung“ oder „Wirkung“ ist keine Frage des persönlichen Geschmacks mehr – sie ist fundamental entscheidend für den zukünftigen Erfolg!
Die Frage nach dem geeigneten Betriebssystem wird immer entscheidender. Gerade hier ist es ratsam vor einem Engagement kultureller Querdenker eine tief gehende Analyse des Status quo mit erfahrener professioneller Unterstützung durchzuführen.
Herrscht Klarheit bezüglich des Startpunkts und des Zustands, lohnt es die Option temporärer, externer Querdenker, aka „Berater“, zu betrachten. Diese, mit dem bewussten Auftrag versehen die Unternehmenswelt aus anderen Perspektiven zu beobachten, können anders agieren als die Propheten, die Gefahr laufen im eigenen Land unbeachtet zu bleiben oder gar als Überbringer schlechter Nachrichten geköpft zu werden. Allerdings – ohne die Kollegen herabwürdigen zu wollen – nicht jeder ist immer bereit dem Kunden zu viel der eigenen Wahrheit einzuschenken. Wenn der Auftrag vom Wohlwollen des Kunden abhängt ist auch hier querdenken nicht immer einfach. Besteht jedoch ein ausreichend großes Vertrauen auf beiden Seiten, ist die gegenseitige Akzeptanz gegeben, erleichtern externe Impulsgeber den schnellen Einstieg ins Thema und helfen die Voraussetzungen zu schaffen, die „interne“ später brauchen, um ihre Potenziale zu entfalten.
Den Boden bereiten
Wie weit der Boden für zielgerichtetes Querdenken bereitet ist, zeigt sich daran, ob der Fisch bei „vom Kopf her“ stinkt oder duftet….
Wenn „der Kopf“ Raum gibt, wenn Akzeptanz dafür herrscht vor den Spiegel zu treten, Irrtümer zu reflektieren, ehrlich, offen und vorbehaltlos Dinge anzusprechen, wenn ein erwachsener Umgang miteinander gepflegt wird, dann ist ein erster Schritt getan, um „anderes“ Denken tatsächlich zu etablieren.
Altbewährte Regeln und Glaubenssätze stehen dem oft im Weg. Intransparenz ist noch immer eher Normalität als die Ausnahme – auch weil die geeigneten Kommunikationswege noch nicht gefunden und etabliert sind. Misstrauen ist ohnehin ein Kulturungut, das wir mit der Muttermilch aufgenommen haben. Konflikt und Kommunikationsfähigkeit, die bewusste Differenzierung von Tatschen, Interpretationen und den zugehörigen Emotionen ist selten vorhanden.
Die andere Seite
Auch wenn der Boden im Unternehmen optimal bereitet ist, sollte sich „die andere Seite“ – der potenzielle, neue Querdenker – im beiderseitigen Interesse klar machen, was er will und worauf er sich einlässt.
Was ist das Ziel? Wo liegen die Kompetenzen und Fähigkeiten? Geht es um die Kultur, darum das unsichtbare zu bewegen, oder ist das Thema Innovation und sollen sichtbare neue Dinge entstehen? Was ist es, was den Querdenker, bei allem möglichen Widerstand, jeden Morgen mit Freude aus dem Bett holt? Ist es die Selbstwahrnehmung Teil einer tief gehenden Entwicklung zu sein oder die, das neue Aushängeschild, das neue Top-Produkt auf den Weg gebracht zu haben? Welche Struktur hilft auf diesem Weg? Welche Führung, welches Leadership? Vor allem: Welche Freiheiten braucht der Querdenker, welche kann und will das Unternehmen gewähren?
Ohne klare Antworten auf diese und weitere Fragen sollte niemand in diese Rolle starten. Wer es dennoch wagt, begibt sich offenen Auges in die Gefahr nach einem Jahr in der Organisation ver- und selbst ausgebrannt zu sein.
Querdenken ist ein Hammerjob – mit dem Potenzial unendliche Befriedigung und Zufriedenheit zu erhalten und/oder sehr Tief abzustürzen.
Wenn es gelingt warten Ruhm, Ehre … und hundert andere Querdenker
Egal, ob sich die Organisation intern oder extern Querdenker leistet, wo immer quer gedacht werden darf und kann, tauchen schnell all diejenigen aus der Organisation auf, die bislang ist Querungspotenzial ganz bewusst unterm Scheffel gehalten haben. In jeder Organisation gibt es sie bereits: Die versteckten Rebellen, die geschwiegen haben, solange die Gefahr bestand, dass der Kopf vom Rumpf getrennt wird, wenn er zu weit herausgestreckt wird. Sie sind da und haben (mit etwas Glück) darauf gewartet, endlich die Dinge anzusprechen und anzugehen, die sie so lange als unpassend, als hinderlich, als verquer wahrgenommen haben. Auch damit muss die Organisation klar kommen!
Aber: Damit muss auch der „neue“ Quereinsteiger-Querdenker klar kommen. Wenn er den Job gut macht, wirkt die Vorbildfunktion als Katalysator und Motivator. Dann blühen, wo vorher Wüste war, plötzlich überall zarte Knospen auf.
Schätzungsweise 10% – 15% Mit-Querdenker sind so zu finden. Nicht alle mit der Energie „des neuen“, aber alle mit dem Wunsch Dinge anzugehen und etwa zu bewegen. Genug, um eine kontinuierliche Entwicklung in Gang zu bringen und den Tipping Point der Struktur zu erreichen. Genug, um als Organisation neue Wege bewusst und erfolgreich gehen zu können.
Fazit
So gerne Unternehmen kommunizieren, dass sie mehr Querdenker wünschen, so wichtig ist, sich der Folgen bewusst zu sein und sich entsprechend vorzubereiten. Strukturen die Querdenker brauchen, sind meist dafür noch nicht bereit. Strukturen die bereit sind, brauchen oft nur wenige Impulse von außen.
Beide Seiten sollten sich klar werden, ob sie temporär oder dauerhaft zusammenarbeiten möchten. Sie sollten die gegenseitigen Erwartungen austauschen und gegenseitige Akzeptanz für das zu erwartende Vorgehen entwickeln.
Unternehmen die sich nicht sicher sind, wie viel Querdenken sie verkraften, sollten bewusst und mit professioneller Unterstützung klären, wo sie stehen und welche Maßnahmen zuvor angegangen werden sollten.
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Wenn Sie sich über ihre persönlichen Querdenker-Erwartungen und -Erfahrungen austauschen wollen oder externe Begleitung suchen, dann schreiben Sie hier einen Kommentar oder vereinbaren Sie hier, schnell und einfach einen Termin mit mir. Oder sie schauen als Startpunkt in mein neues Buch zum Thema Glaubenssätze und Mentale Gegen-Modelle.
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P.S. Es gibt sowohl hervorragende männliche, wie auch weibliche Querdenker. Ich habe zur besseren Lesbarkeit hier nur in der männlichen Variante geschrieben. Ich hoffe dennoch auch auf den Zuspruch und das Verständnis der vielen weiblichen vor-, quer- und anders-Denker!
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