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Immer wieder geistert die Idee eines „zweiten Betriebssystems“ für Unternehmen durch die Blogs und Presse, dass – geeignet ausgestaltet dafür sorgen soll, dass Unternehmen mit den die großen Veränderungen umgehen und sie positiv nutzen können.
 
Aber was soll das Gerede? Wieso ein zweites, zusätzliches Betriebssystem, wenn das erste, klar gegliederte System schon an seine Grenzen stößt. Da muss man doch mit dem Klammeraffen gepudert sein, wenn man sowas startet…..
 
Wo es formale Hierarchien und mehr als 20 Mitarbeiter gibt, da ist das zweite Betriebssystem längst präsent. Da gibt es den kurzen Dienstweg, das schnelle Abstimmungsgespräch auf dem Flur, die Meinungsbildung beim Mittagessen und 1.001 Tricks und Kniffe, um die normalen Prozesse zum Wohle des eigenen Stresspegels, des Arbeitsablaufs und damit am Ende auch des Unternehmens abzukürzen.
Was da so behände dafür sorgt, dass Prozesse und Planungen ausgehebelt werden, ist nichts weiter als eine lebendige, aber eben meist „informelle“ Netzwerkstruktur. Eine Struktur, die ich selbst im Rahmen der Organisations-Selbstanalyse „Schmerzvolle Selbstorganisation“ genannt habe und die im Haufe-Quadranten „Schattenorganisation“ heißt.
 
Doch diese Schattenorganisationen sind in struktur- und prozessorientierten und -optimierten Unternehmen das pure Gift. An den auf Effizienz getrimmten Abläufen vorbei unterminieren sie im Grunde alles, wofür klassische Führung- und Prozessoptimierung steht und wofür Management im Sinne des „Scientific Management“ erfunden wurde.
 
Andererseits funktionieren die alten Strukturen heute in vielen Bereichen ohnehin einfach immer weniger. Das für mich prägnanteste Beispiel ist Buurtzorg, eine niederländische Netzwerkorganisation, die aus der Wahrnehmung entstand, dass überzogenes Effizenzdenken, riesige Reibungsverluste bei „Menschen und Zusammenarbeit“ verursacht.
 
Früher war die häusliche Pflege in den Niederlanden ein System von KPI- und reportgesteuerten und auf Prozesseffizienz ausgelegten Einheiten. Die Arbeit war minutiös in Aufgaben unterteilt, die klar dokumentiert und straff organisiert erledigt wurden. Der einzige Nachteil war, wie es schien, dass Patienten und ausführende Mitarbeiter waren hochgradig unzufrieden waren. Einer der Pfleger war damit so unzufrieden, dass er aus dem System ausstieg. Bei Buurtzorg arbeiten heute 9.000 Mitarbeiter in einem Netzwerk mit knapp 30 Personen als administrativem Support. Die Mitarbeiter sind deutlich zufriedener als früher, die Patienten werden meist schneller gesund und das Gesundheitssystem spart Milliarden. Das ist zeitgemäße Effizienz und Effektivität, gespeist aus einem selbstorganisierten Netzwerk ohne Hierarchie.
 

Das Duale System

Der „Change Guru“ Dr. John Kotter fordert in einem Interview auf Haufe das erste traditionelle Betriebssystem, durch ein zweites, netzwerkorientiertes Betriebssystem zu ergänzen. Die gute und richtige Idee ist Hierarchien und Netzwerke – zwei im Grunde inkompatible Modelle – miteinander zu verknüpfen, um Unternehmen für die heutigen Herausforderungen und die anstehenden Trends und Entwicklungen optimal aufzustellen. Die Antwort, wie dies geschehen kann, bleibt er im Interview dabei leider schuldig.
 
Aber wie also kann das aussehen? Wenn die Systeme so verschieden sind, ist es dann nicht sinnvoller die Betriebssysteme in getrennten Entitäten nebeneinander zu betreiben. Zum Beispiel in einer Einheit, die das Stamm- und Kerngeschäft hochgradig effizient, kostenoptimiert, mit qualitätsgesicherter Null-Fehler Kultur und robust gegenüber allen kurzzeitigen Wandlungen des Marktes managt. Und einer zweiten Struktur die auf Innovation ausgerichtet, mit Start-up Mentalität aber eben auch mit Irrungen und Projekten auch mal scheitern darf?
 
Klar kann man das machen. Aber was geschieht, wenn man Menschen, die Wissen, dass sie  zusammengehören, zum gleichen Unternehmen, so künstlich trennt, ihnen unterschiedliche Arbeitsumfelder zuweist oder den einen Freiraum gestattet, den die anderen nicht haben?
Ganz oft entstehen Neid, Missgunst und (noch mehr) Misstrauen. Das ist der Quell von Resignation und korrosiver Energien, wie Prof. Dr. Heike Bruch sie nennt.
 
Dabei will ich das Kind bestimmt nicht mit dem Bade ausschütten! Hierarchische Strukturen haben ihre absolute Daseinsberechtigung in dem Kontext in dem Sie von den damaligen Vordenkern wie Frederic Winslow Taylor und Henri Fayol geschaffen wurden. Wo von außen möglichst unbeeinflusste Abläufe möglichst effizient und in hoher Qualität abgearbeitet werden sollen, wo im Akkord mechanische Handlungen vollzogen werden, da ist Planung und Kontrolle zuhause.
 
Doch, wo externe Einflussfaktoren diese Prozesse stören können, wo die planbare Kompliziertheit des Prozesses der Notwendigkeit der Reaktion auf zuweilen komplexe Veränderungen der Umwelt weicht, da beginnt der Raum, in dem Netzwerkstrukturen deutliche Vorteile bieten.
 
Allerdings sind reine Netzwerkorganisationen Anti-Hierarchien. Sie stehen für das krasse Gegenteil von Planung und Abgrenzung. Sie basieren auf intensivem Austausch, offener, transparenter Kommunikation, Selbstorganisation, einem klaren gemeinsamen Ziel, Vertrauen und intensivem Kontakt. Und sie sind damit, gerade in den Bereichen intensiver Ideenfindung oder in der Arbeit mit  komplexen „Systemen“ wie Kunden und Geschäftspartnern, traditionellen Strukturen haushoch überlegen. Sie reagieren schneller, bieten die Chance für Lösungsräume und Flexibilität und können sich mit dem Markt bewegen, statt wie ein Fels in der Brandung zu stehen. Sie sind das an die Anforderungen von VUCA derzeit wohl bestangepasste System für Zusammenarbeit, das wir kennen.
 

Die Fragen nach dem „wie“ 

Wie gestaltet man eine optimale Zusammenarbeit zwischen Hierarchien und Netzwerken?
Wie reagieren die Mitarbeiter und welche Folgen hat es für das Management?
Und wie kann man Management neu designen, die mein Freund und Kollege Lukas Michel es nennt?
 
Auf dem Weg treten viele berechtigte Fragen auf. Fragen auf die es die so wichtigen, ganz  konkreten Antworten oft nur auf organisationsindividueller Ebene gibt.
Immerhin gibt es Grundmuster, die sich zum einen aus der Erfahrung der Zusammenarbeit in Hochleistungsteams ableitet und die sich zum anderen immer wieder in Organisationen, die diese Dualität leben, wiederfinden.
 
Das Kernelement ist eine Kommunikation, die in der Lage ist Brücken zu bauen. Brücken zwischen den verschiedenen Lagern, über Abteilungs- und Hierarchieebenen hinweg und die es allen Beteiligten ermöglicht, so viel wie gewünscht von dem mitzubekommen, was „bei den anderen“ so läuft.
Nicht jeder ist erpicht darauf selbstorganisiert im Netzwerk zu arbeiten. Wir sind in alten, hierarchischen Mustern sozialisiert. Die Idee sich selbst zu organisieren ist, insbesondere aus der Perspektive einer bestehenden Organisation heraus, oft befremdlich. Andere dagegen sind froh das enge Korsett von Planungen, Budgets und Zielvorgaben abstreifen zu können. Ganz oft sind diejenigen es auch, die sich in bereits in Schattenorganisationen die Freiräume und Schlupflöcher geschaffen haben, um besser und einfach einfacher zu arbeiten.
 
Was die Mitglieder beider Strukturen und damit das Unternehmen insgesamt durch diese – oft ganz neue – Offenheit gewinnen können, ist eine intensivierte Zusammenarbeit und die Begeisterung für die Idee auf verschiedenen Wegen am gleichen Ziel zu arbeiten. Wer weiß, was die jeweils anderen leisten, gerade auch in Bereichen, von denen man selbst keine Ahnung hat, entwickelt Stolz auf die gesamte Organisation und vor allem Vertrauen und Verbundenheit. Dies wiederum ist der perfekte Nährboden für Kreativität und Ideen. Ideen, die das Unternehmen im Zusammenspiel von Struktur und Netzwerk voranbringen können.
 
Auch aus der Managementperspektive ist das Bild bzgl. der Betriebssysteme oft gespalten. Zwar weiß man natürlich, dass die Mitarbeiter vieles unter sich klären, das passt aber einfach nicht zu den Dashboards und Kontrollinstrumenten. In welchem Report gibt es schon eine Rubrik für „hat sich auf wunderbare Weise erledigt“. Wie also soll man damit umgehen, ohne das Gefühl zu haben die Fäden aus der Hand zu legen.
Nun: Reden Sie! Finden Sie einen Weg rein ins Netzwerk. Identifizieren Sie die Meinungsbildner und Multiplikatoren. Verstehen Sie wie „ihr“ Netzwerk funktioniert. Denn „Verstehen“ ist für alle das A und O dieser Entwicklung.
 
Allerdings werden sie feststellen, wie schwierig das ist. Das ist vielleicht auch der Grund warum John Kotter keine kurze präzise und prägnante Antwort gibt. In vielen Organisationen war zu lange zu sehr der berühmte Wurm drin. Zu viele Störungen stehen einem „kommt alle her und lasst uns reden“ im Weg. Die erste Aufgabe, noch vor dem Reden ist also: finden Sie diese Störungen und Hemmnisse! Um es gleich zu sagen: Auch das ist schwierig. Wir Sind alle betriebsblind! Ohne Hilfe von außen ist es zwar möglich sich selbst zu reflektieren, um die optimale Mischung zwischen  traditioneller und Netzwerkstruktur zu finden, aber es ist auch unglaublich schwer. Eine Last, die zwar für ein funktionierendes Tagesgeschäft geschultert werden muss, aber die Belastungsobergrenze aber auch schnell in greifbare Nähe bringt. Daher: holen sie sich einen Moderator, Mentor und Störungs-Wünschelrutengänger ins Haus. Jemanden, der die Probleme unter der Oberfläche erkennt bevor sie aufbrechen und Löcher in die Organisation reißen.
 
Schließlich eine gute Nachricht: Um Management neu und zeitgemäß zu gestalten, muss man genau diese Substrukturen, die unterhalb der Oberfläche des Unternehmens dafür sorgen, dass die Dinge optimal, oder oft auch eben deutlich suboptimal ablaufen kennen. Die Unternehmer die sich damit auseinandergesetzt haben, haben dann auch die Chance ihre Erkenntnis in ein besseres Management einfließen zu lassen. Alles andere ist Stochern im Nebel. Weder effizient, noch effektiv.
 

Fazit

In vielen Organisationen herrscht schon Betriebssystemdualität. In wenigen sichtbar und sinnvoll integriert, in vielen anderen unter der Oberfläche. Je klarer Unternehmen damit umgehen, je transparenter sie die Strukturen für alle Beteiligten machen, desto mehr Interaktion kann stattfinden und dem Unternehmen bei der Bewältigung der täglichen geschäftlichen Herausforderungen helfen. So sehr der Wandel aus dem Innern des Unternehmens kommt und  kommen muss, so sehr hilft es sich kompetente Unterstützung und eine klare Außenperspektive ins Boot zu holen.