Wie geht es Ihnen, wenn Sie im Nebel stochern, wenn Sie nicht wissen, warum es nicht weiter geht, warum all die, mit bester Absicht unternommenen Aktivitäten nichts, aber auch so gar nichts fruchten?
Ich fühl mich dabei immer (un)ausgesprochen sch… Ehrlich, ich könnt k…, mein Stresslevel und Unwohlsein steigt, ich werde mürrisch, manchmal unausstehlich. So sehr ich es mag zu improvisieren und das Beste aus dem zu machen, was an Möglichkeiten vorhanden ist, so sehr mag ich es, wenn Dinge einfach und gut funktionieren, wenn es läuft, wenn ich mich auf etwas verlassen kann. Kurz, ich mag klare, wolkenlose Tage, mit guter Fernsicht – Nebel jedenfalls mag ich nicht.
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Doch klare, sonnendurchflutete Tage sind Luxus. Im Leben einer Führungskraft ist Klarheit immer weniger Realität. Der Nebel, die Unklar- und Ungewissheit sind die Elemente, mit denen gelebt werden muss. Mehr noch, er ist nicht nur Realität, er ist akzeptierte Realität. Wir hinterfragen den Nebel nicht mehr. Wir fragen nicht mehr, ob es vielleicht Gegenden ohne Nebel gibt. Wir hören nicht mehr zu, wenn Menschen von nebelfreien Landschaften berichten. Wir haben uns an die Undurchsichtigkeit gewöhnt und halten sie für undurchbar.
 
Manchmal habe ich gar den Eindruck, als favorisierten manche den Nebel gegenüber der Klarheit, weil er das Rumoren und die Störgeräusche der Umwelt dämpft, weil er das kommende unsichtbar macht. Der Nebel macht das Leben leichter. Er lässt uns weiter daran glauben, dass das gewohnte weiter funktioniert, das „da draußen“ doch keine Gefahren lauern, dass alles so bleiben kann, wie es ist.
 
Wie tief wir im Nebel stecken, erkennen wir oft erst, wenn wir die Hand vor Augen nicht mehr sehen, in die Krise stolpern. Der DFB mit seinem Abschneiden bei der WM hat dies eindrücklich gezeigt. Auch im Fußball hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel verändert, auch wenn das Spiel im Grunde noch so aussieht und funktioniert, wie vor 50 Jahren. Doch es sind die Details, die anders sind. Die Plätze sind keine halben Äcker mehr, selbst in Dorfvereinen ist Kunstrasen- statt des Ascheplatzes die Norm. In der Bundesliga geht es (neben dem Sport) um Umsatz, um Faneinnahmen ohne von den Fans vereinnahmt zu werden. Es geht um die teuersten Einzelspieler – und erst dann um Teamleistungen. Und es geht um Details, wie etwa die Sozialisierung der jungen Spieler, die heute eher in Leistungszentrum leben und lernen statt im familiären Umfeld. Zumindest für Philipp Lahm ist dies eines der markanten und in ihrer Wirkung weitreichenden Details, die sich verändert haben.
 
Es sind oft genau diese Details, an denen wir erkennen könnten, wie sehr wir im Nebel stecken. Doch diese Details sehen und erkennen wir nur, wenn wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit auch sie richten (können), wenn wir sie tatsächlich betrachten WOLLEN.
Die Details sind leicht aufzuspüren. Wir finden sich in unserer Umwelt, die schneller, und hektischer geworden ist, in der Kommunikation, die ganz andere Wege nimmt und viel mehr Menschen einlädt teilzunehmen. Wir finden sie darin, dass diese neuen „Mitreder“ zugleich gefordert sind mit einem unüberschaubaren Mehr (oder Meer) an Nachrichten umzugehen. Wir erkennen sie daran, dass viele resigniert nach „oben“ schauen und von „Führern“ und Politikern richtungsweisendes erwarten. Wir erkennen sie dann manchmal daran, dass, wie in den USA Präsidenten gewählt werden, die ihren ganz besonderen Umgang mit Informationen pflegen.
 
Beispiel für ein anderes Detail, dass es anzuschauen lohnt, ist die Betrachtung des ganz persönlichen Umfelds, heute gerne „Filterblase“ genannt. Je kleiner, je homogener, je unzugänglicher für Impulse von außen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man den Nebel erkennt, in dem man steckt. Je mehr Ja-Sager, je weniger Andersdenkende in dieser Gruppe sind, je weniger verlässlich ist sie in Bezug auf das Erkennen neuer Trends und Entwicklungen. Je weniger hilft sie, sich in der Zukunft zurechtzufinden.
 
Wenn ich Unternehmen betrachte, dann sind es die altbekannten Themen, die den Nebel aufkommen und bestehen lassen. Es sind Strukturen, die auf alter Macht und altem Status basieren, die Stolz auf die Vergangenheit sind und die planlos die Zukunft planen. Der Nebel herrscht da vor, wo Entscheidungen vor allem auf dem Wissen der Alten beruhen, wo Strukturen zugleich Filter sind und wo Offenheit und Transparenz für die Namen von Giftcocktails gehalten werden.
 
Bei richtigem Nebel helfen manchmal Wetterapps. Sie helfen zu erkennen, wann und wo Nebel aufzieht, wie lange er bleibt, wann wieder klarerer Sicht zu erwarten ist. Zumindest, wenn man ihnen Vertrauen schenkt, denn je länger der Zeitraum, desto schlechter die Vorhersage. Einfacher wäre es da, die Wetterlagen selbst erkennen zu können, zu wissen, wann und wo Luftfeuchtigkeit, Wind und Temperatur so zusammenspielen, dass der Durchblick schwierig wird. Im Vorteil ist, wem es gelingt die Sensorik und die Kompetenz dafür aufzubauen.

Wie kommt man dorthin? 

Für den DFB hat Philipp Lahm mehr Diskussionen gefordert, mehr Dialog. Spannend wird es zu sehen, wer in diese Diskussionen eingebunden wird. Bleiben sie in der Filterblase, sind sie die investierte Lebenszeit nicht wert. Wer durch Gespräche den Nebel lichten möchte, der muss Gespräche mit Menschen von außerhalb des eigenen Nebelfeldes führen, der muss Kontakt zu Wissens- und Kompetenzträgern aufnehmen, die so gar nicht ins eigene Denken passen. Der muss Menschen einladen, die sich und ihre Umwelt bewusst reflektieren und die vom Thema und dem Geschäftsmodell eben gerade KEINE Ahnung haben. Menschen, die sich mit ganz anderen Dingen befassen und aus ganz anderen Kulturen, Sozialisierungen, Alters- und Geschlechtergruppen stammen. Der muss Vielfalt einladen.
 
Wer durch den Dialog den Nebel lichten möchte, der muss diese Menschen zugleich einladen sich mit wieder anderen an einen Tisch zu setzen, mit Menschen, die das Thema und das Geschäftsmodell wirklich in voller Tiefe kennen. Wer den Nebel beseitigen möchte, der muss in der Lage sein, diesem Austausch zu lauschen, ohne ihn zu beeinflussen. Ihn zu moderieren, ohne Richtung zu geben, ihn laufen zu lassen, ohne die Bremse zu treten.

Reicht es den Nebel zu lichten?

Natürlich ist es schön, beruhigend und entspannend zu erkennen, dass der Nebel sich lichtet, zu wissen, wohin sich das Geschäft, das Unternehmen, die Organisation entwickeln kann. Natürlich ist das das Ziel.
 
Ich glaube dennoch, es sollte nur der erste Schritt sein. Langfristig zielführender, für diejenigen, die sich diesen Schritt leisten können und wollen (und damit meine ich nicht nur Unternehmen, sondern jeden einzelnen, egal auf welcher „Karrierestufe“ oder was es davon in Zukunft noch geben mag), ist es, sich immer wieder aus der eigenen Komfortzone heraus, in unbekanntes Terrain zu begeben. Eines, dass jenseits aller Talsenken, Flussläufe und Küstengebiete liegt. In Gebiete mit regem Austausch über eine Vielfalt von Themen, in Gegenden, die neue Möglichkeiten eröffnen, neue Arbeitsweisen erlauben, neue Geschäftsmöglichkeiten bieten und in denen neue Strukturen und Prozesse gelebt werden. In Bereiche, die zukunftsfähig, zukunftsbefähigend und gestaltbar sind.
 
Dazu ist allerdings notwendig, sich mit der Zukunft zu befassen. Sich klar zu machen, ob man die eigene Zukunft tatsächlich gestalten will, mit allen Chancen und Herausforderungen. Es ist notwendig in sich zu gehen und herauszufinden, ob man der Klarheit gewachsen ist, ob man damit umgehen kann andere Meinungen zu hören, sie unkommentiert stehen und wirken zu lassen. Ob man das darin steckende, das beängstigende aushalten kann und will.
 
Die gute, oder die schlechte Nachricht – je nachdem ob man verweilen, oder sich aufmachen will – ist, dass die Zukunft auch so kommt. Unaufhaltsam verändert sich die Welt in der wir leben und arbeiten. Von überall her tauchen immer wieder neue Einflussfaktoren auf, neue Technologien, neue Ideen, neue Ansätze.
 
Den einen trifft die Entwicklung im Nebel, plötzlich und unerwartet. Der anderer empfängt sie gut vorbereitet, bereits mit Ideen im Hinterkopf was aus diesen neuen Optionen für ihn, für das Unternehmen gestaltbar ist.
 
Ganz ehrlich. Wenn ich in Zahlen zu fassen versuche, was ich wahrnehme, dann stehen 90% im Nebel. Sie leben in oder am Rand der Krise, die sie nur mit hohen Aufwänden und Kosten, mit viel Anstrengung und Energie meistern werden. Es sind die Unternehmen deren Entscheider in ihrer Filterblase diskutieren. Es sind die Gruppen, die sich wenig aktiv austauschen und lieber passiv denjenigen lauschen, die die Dinge sagen, die ins Weltbild passen. Es sind die, die nach Querdenkern und Hofnarren rufen, ihnen aber höchstens einen Platz jenseits des Burggrabens anbieten.
 
Sie sind überall zu finden, in den Konzernen, die sich immer auf die gleichen renomierten Berater verlassen, im Mittelstand, der mehr ausprobiert, aber wo der Schuster dennoch bei seinen Leisten bleibt und in den kleinen Unternehmen, die vielleicht würden, wenn sie doch nur könnten. Bei ihnen allen geht es darum die Augen und die Ohren zu öffnen, für wohlgemeinte Kritik. Es geht darum, das ultimative Wissen über den Zustand der Organisation und ihres Umfelds nicht nur aus dem eigenen empfinden abzuleiten, sondern es multiperspektivisch zu betrachten und (ja auch!) betrachten zu lassen. Und: sie fühlen sich selbst in der wahrgenommenen Ausweglosigkeit gefangen.
 
Die übrigen 10% machen sich auf, die Höhenlagen zu finden, die Sonne zu sehen und den Ausblick zu wagen. Sie bewegen sich, trotz der dabei auch immer wieder präsenten Gefahr. Sie gehen Schritte, um Erkenntnisse zu sammeln und wirken zu lassen. Oft gehen sie den Weg gemeinsam mit anderen, mit der ganzen Organisation, um die Last aber auch die Lust am Erfolg zu teilen. Sie schauen sich um, nach den Chancen, die sie voranbringen. Sie lesen, sie reden und vor allem hören sie zu. Sie stellen Fragen, ohne Antworten zu geben, sie nehmen an und auf, ohne Meinung vorzugeben.
 
Sie haben sich geöffnet für die Vielfalt, die notwendig ist, um Komplexität und Dynamik auszuhalten und sie fördern die dynamischen Fähigkeiten des Unternehmens, die Resilienz, die Stabilität, die Dialoge zu Werten, Kultur und Zielen, die der ganzen Bandbreite der kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Mitwirkenden Raum geben. Sie verändern sich und ihr Umfeld. Sie bringen Klarheit dahin, wo der Nebel zuvor alles in ein düsteres, fahles Licht getaucht hatte.
 
Weshalb ich glaube, dass Agilität in diesem Kontext ein Stichwort und Thema ist, dass sowohl den Nebel lichten kann, als auch ermöglicht sich in Gegenden aufzumachen, in denen der Nebel seltener, und wenn dann weniger drückend ist, dann lesen sie „Kann Management agil? Management muss agil“. Mit der Studie, die diesem Artikel zum Teil zugrunde liegt, zeigen wir, wo der Nebel in aus Unternehmen und Organisationen steck und wie er verschwinden kann. Und wir zeigen auf wie Führungskräfte wieder eine klarere Sicht auf die Dinge erhalten, um die es in ihrem Job eigentlich gehen sollte. Die Zukunft zu gestalten, statt von ihr im Nebel und Dunst überrascht zu werden.