So manche Begriffe oder vielleicht doch eher „viele“, mit denen wir uns im Arbeitsalltag umgeben, sollten immer mal wieder reflektiert werden – finde ich. In der letzten Woche war es die „Fehlerkultur“ die ich mir angeschaut habe. In dem Kontext bin ich auch (mal wieder, fragt mich nicht wieso…) über die „Kundenzentrierung“ gestolpert. Und gerade im Hinblick auf die Entwicklung der Grundfesten von Organisationen, ihrer strategischen und damit prozessualen und strukturellen Ausrichtung, ist der Begriff bei weitem nicht so ohne, wie er erstmal klingt.
 
Wenn sich ein Unternehmen kundenzentriert aufstellen möchte, hat dies Implikationen, die nicht nur die Zusammen.Arbeit im kleinen, sondern auch die Gesamtstruktur insgesamt betreffen. Ein bisschen „Marketing Blabla (Disclaimer: ich habe selbst lange im Marketing und marketingnah gearbeitet – ist auch gar nicht abwertend gemeint) und schon fühlt der Kunde sich ernst- und wahrgenommen“, reicht halt nicht. Schließlich geht es um mehr, um Fokus, im Idealfall, darum Raum zu schaffen, in dem Kunden Begeisterung empfinden und so zu Fans werden können und (vor allem) wollen.
 
Ich geh mal einen Schritt zurück. Woher kommt überhaupt die Idee der Kundenzentrierung? Peter Drucker (der Managementguru aus den 1950’ern) hat wohl mal gesagt „The purpose of a business ist to create and keep a customer.“ Die Aufgabe des Unternehmens ist, den Kunden anzulocken und zu behalten. Daraus kann man Kundenzentrierung anlesen, wenn man mag. Lange zuvor haben Unternehmen ja auch gut funktioniert, indem sie vor allem auf effiziente Prozesse und hohe Qualität geachtet haben, auch das bringt und hält Kunden. Die Erwartungen spezifischer, individueller Kunden standen dabei noch nicht so sehr im Fokus. Die meisten Unternehmen kamen auch damit gut zurecht, dass die Kunden eher unternehmenszentriert waren – teils mangels Alternativen, teils, weil man sich fast schon verpflichtet fühlte, bei „seinem Anbieter“ zu bleiben, teils weil die Wechselhürden einfach immens hoch waren.
 
Ich sehe an zwei wesentliche Treiber den heutigen Hang zu „mehr Kundenzentrierung“. Erstens das Internet und die damit einhergehenden Globalisierung. Wenn der Wettbewerber nicht mehr die Straße runter sein Unternehmen hat, sondern auch China, Indien oder den USA kommt, dann muss man mit anderem, als nur Qualität und Preis punkten.
 
Ein zweiter Aspekt ist (wieder mal) das agile Manifest. In diesem taucht die direkte „Zusammenarbeit mit dem Kunden“ ganz explizit auf. In den Prinzipien geht es dann noch um Zufriedenstellung der Kunden und mögliche Wettbewerbsvorteile. Ich verorte in diesem Kontext und in den vielfältigen agilen Arbeitsweisen und Strukturen, ganz viel dessen, was wir jetzt Kundenzentrierung nennen.
 
Aber – reicht das? Reicht es aus, im kleinen die Struktur so zu bauen, dass der Kunden schnell, kompetent, individuell beraten und bedient werden kann?
Jain.
Aus Kundensicht wäre das durchaus erstrebenswert („wäre“, denn ich nehme das in der Form noch nicht flächendeckend wahr), wenn denn mit der Zentrierung auch die Zufriedenheit sichergestellt würde. Es wäre schön, wenn Unternehmen, d.h. die Mitarbeiter darin, tatsächlich antizipieren würden, was ‚die Kunden‘ (besser: was der einzelne Kunde, mit seinen mitunter sehr individuellen Anforderungen und Wünschen) tatsächlich braucht, was ihm wirklich weiter hilft, wo er die Unterstützung auch am stärksten wahrnehmen und wertschätzen kann. Noch besser wäre es mit und für den Kunden in die Zukunft zu denken.
 
Doch dazu braucht es im Unternehmen ein anderes Setup. Dazu braucht es Mitarbeiter, die den Raum und die Kompetenz haben, das zu tun, sich mit den Kunden zusammenzusetzen, die Informationen zu verstehen und die richtigen Fragen zu stellen. Mitarbeiter, die Zeit darauf verwenden können, die Perspektiven zu wechseln, Ideen auszuprobieren, die vorhandenen Potenziale und Fähigkeiten optimal anzuwenden und die zukünftigen zielgerichtet auf- und auszubauen. Kurz, es braucht Mitarbeiter, die die Zukunft des Unternehmens gestalten wollen, können, sollen und dürfen! (Viele Mitarbeiter tun und wollen das – auch wenn sie das bei ihrer Führung so nicht wahrnehmen, zumindest ist dies das Ergebnis (m)einer kleinen Studie vom Beginn des Jahres. „Gemeinsam ist das neue Top-down.“)
 

Von der Kundenzentrierung zur Kundenzufriedenheit, zur Mitarbeiterbegeisterung

Aus Unternehmenssicht würde es in aller Konsequenz bedeuten, sich an vielen Stellen zu wandeln: beim Menschenbild, den Prozessen und Strukturen, bis hinauf ins Managementmodell. Das würde noch nicht einmal reichen. Studien, z.B. an der Hochschule St. Gallen, zeigen eine deutliche Korrelation zwischen Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit auf. Es geht noch weiter: Mitarbeiter, die selbst aus erste Hand erfahren, wie zufrieden Kunden wirklich sind, bringen sich stärker ein, entwickeln eine stärkere eigene Inspiration – und sie sind dabei signifikant erfolgreicher. Auch der Wirtschaftspsychologe Adam Grant bestätigt das (u.a. in seinem Buch „Give and Take“). Es gibt einen starken, sich gegenseitig verstärkenden Effekt.
 
Die Voraussetzung ist (allerdings): Es muss auch Spaß machen! Sowohl als Kunde mit dem Unternehmen, wie auch als Mitarbeiter für das Unternehmen zu arbeiten, mehr noch es muss soweit begeistern, dass man rundheraus zum „Fan“ wird.
 
Schade eigentlich! Dies erscheint als eine Hürde, die kaum zu überwinden ist. Die jährlichen Gallup-Studien oder auch meine eigenen Befragungen geben leider ein Bild ab, dass nur in Ausnahmefällen davon zeugt, dass Mitarbeiter sich tatsächlich begeistern können. Einfach, weil die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben sind. (Und, nein, es ist kein Hexenwerk, diese Rahmenbedingungen zu verbessern, es erfordert nur die Erkenntnis, dass es anders tatsächlich auch und besser geht und den Impuls den ersten Schritt zu gehen.)
 
Der Schlüsselfaktor mit der größten Wirkung, der beste Hebel, um hier wirklich etwas zu bewegen ist dabei die Kooperationskultur, also das „Wie“, „Was“ und „Wer“ der Zusammen.Arbeit.
 

Was, wenn man Kundenzentrierung ernst nimmt?

Was damit klar wird: Unternehmen, die den Begriff der „Kundenzentrierung“ ernst nehmen, stecken in einem Dilemma. Was nach außen als Kundenzentrierung wahrgenommen werden soll, muss, nachdem eben geschriebenen, nach innen Mitarbeiter- oder besser Menschenzentrierung sein. Schließlich müssen die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, frei mit, am und für den Kunden zu agieren, sich mit ihm in Tiefe zu beschäftigen, nach alten Maßstäben ‚unproduktive Zeit‘ damit verbringen ihn besser zu verstehen um daraus positive und produktive Energie für die Arbeit zu schöpfen.
 
Sie müssten – mal rein praktisch übertragen auf die häusliche Krankenpflege – sich mit den Patienten und deren Umfeld zusammensetzen, Kaffee und Tee trinken und erstmal über die Dinge reden, bevor der Verband gewechselt wird. Dabei herauskommen würde ein Zeitaufwand, der kaum bezahlbar ist. Und zugleich ständen da in der Ergebnisbilanz zugleich Patienten, die schneller gesunden, die besser in ihr Umfeld integriert sind, zudem Mitarbeiter die zufriedener sind, weniger den Arbeitgeber wechseln und seltener selbst erkranken.
Buurtzorg macht genau das in den Niederlanden – und mit einem unglaublichen Erfolg.
 
Übertragen auf ein Hotel wäre es so, als würde man jedem Hotelbediensteten, einen, sagen wir vierstelligen Freibetrag zur Verfügung stellen, um die Probleme von Gäste zu lösen. Und das ohne, dass jemand fragt, welchen Mehrumsatz man damit erzielt. Dann würde das Reinigungspersonal wohlmöglich auf die Idee kommen einem Gast nach Hawaii hinterherzufliegen, um ihm das vergessen Laptop persönlich zu überbringen oder vergessene Kuscheltiere würden statt in einem Paket zu landen, erst noch eine Wellnessbehandlung durchlaufen und einen Runde auf dem Golfkurs verbringen.
Ritz-Carlton fordert seine Mitarbeiter weltweit dazu auf, genau so zu agieren.
 
Das sind zwei Beispiele von so vielen, aus Unternehmen, die Mitarbeiter-/Kunden- und damit Menschenzentrierung erst nehmen, die „human centric“ sind und einen „human focus“ leben.
Der Weg dahin setzt voraus, statt auf (nur) die klassischen KPI (auch) auf „softere“ Themen zu schauen. Themen, wie sie sich im CoRE-Wheel finden und Themen, die erfordern in einem anders aufgestellten Managementmodell wirken zu können. Themen, wie Wertschätzung, Sichtbarkeit, das Gefühl gut aufgehoben und verstanden zu sein. Themen, wie Dan Pink sie gerade in seinem aktuellen Pinkcast anspricht. Eigentlich ganz einfache Dinge, die aber offensichtlich in unserer heutigen hektischen, Zahlen, Daten, Fakten getriebenen Arbeitswelt ersatzlos gestrichen und vergessen wurden. Themen aber auch, die in klassischen steuerungsfokussieren Strukturen kaum Raum finden, weil sie auf den ersten Blick ineffizient erscheinen – auch wenn ihre Effektivität und der so erzielte Mehrumsatz und die Kostenreduktion, dieses Manko locker ausgleicht.
 

Eine Lösung – Management & Orga Reframing?

Es gibt viele gute Wege, um die Grundregeln der Zusammen.Arbeit neu zu definieren. Welchen Weg man auch einschlägt, man sollte sich klar sein, welches (Zwischen)Ziel man anstrebt, welche Eigenschaften und Leitmotive die Organisation am Ende widerspiegeln soll. Welche Elemente und Fokusbereiche es sind, die eine Basis schaffen, s.d. die Beteiligten an der Organisation, Kunden, Mitarbeiter aber auch die übrigen Stakeholder, bis hin zu den Investoren, einen emotional & sozial sinnvollen Umgang miteinander pflegen können. Denn dies sind die Eckpunkte, die sich in vielen der Unternehmen wiederfinden, die schon 100% tatsächliche, vollständige Menschen(und Kunden)zentrierung erfolgreich umsetzen.
 
Ein erster Schritt jenseits des Fokus auf Agilität (als einem der Treiber), ist der in Richtung organisationaler Selbstwirksamkeit, mit einem Rahmen, der es ermöglicht, frei und zugleich im Sinne der Organisation zu entscheiden.
Dabei reflektiert man Themen wie die Kultur, eine zeitgemäßere Wahrnehmung von Wirkung und „Leistung“, die Frage, wie Ideen und Innovation generiert werden, wie alte und neue Talente zum Unternehmen finden und sich dort wohlfühlen, die Art, wie Informationen transparent gemacht und geteilt werden und das große Thema der Zusammen.Arbeit bis hinunter in die Details.
Arthur Yeung und Dave Ulrich geben dazu in ihrem neuen Buch „Reinventing the Organization“ einen guten Überblick und inspirierende Impulse.
 
Diese Entwicklung führt dazu, dass sich das Managementmodell der Organisation wandelt, weg von der klassischen „es herrscht, wer Wissen und Information gut managt“ (Meritokratie), über das „Wir sind in der Lage zu adaptieren und uns anzupassen“ (Adhocracy) hin zu einem mehr proaktiven Grundverständnis des „Wir erzielen eine positive Wirkung im Markt und bei uns selbst“ (Virtuecracy) oder nach darüber hinaus.
 

Fazit

Wer Kundenzentrierung ernst nimmt, braucht nicht nur andere Strukturen & Prozesse, der braucht auch eine andere Basis im Selbstverständnis von Management. Der muss den Schritt machen, von der Steuerung zur Wirkung, der muss loslassen und Raum geben. Der muss die Grundlogiken, das Betriebssystem, nach denen das Unternehmen agiert, angefangen beim Menschenbild und dann (ja, natürlich auch) bis hinein in die Strukturen und Prozesse, anschauen, überarbeiten und neu gestalten.
Agilität alleine reicht dabei nur kurzfristig aus. Sie erlaubt zu wenig weitreichende Innovation, zu wenig Vorausdenken im Sinne des Kunden, zu wenig Gestaltung neuer Impulse, Produkte und Märkte. Agilität ist zu reaktiv. Was benötigt wird, ist ein proaktives Vorgehen, das Wirksamkeit als Leitmotiv besitzt, oder – im nächsten Schritt – einer, der (zusätzlich) echte Nachhaltigkeit als übergeordnetes Ziel des Unternehmens definiert. Aber das ist für viele Unternehmen ein Schritt, der noch auf sich warten lässt. Ich hoffe, sie haben dafür noch Zeit.
 
Nachtrag: Nach einem Hinweis von Prof. Dr. Antoinette Weibel hier noch eine sehr passende Ergänzung. Ein Artikel über den Co-Founder von Southwest Airlines Herb Kelleher.