>>> Reflexions-Impulse für meinen Hochschulkurs <<<

Alex hatte wieder Gesprächsbedarf angemeldet. Nach den ersten Wochen im Unternehmen, viel Zeit in Meetings, etwas Zeit in den Kaffeeküchen und wenig Zeit mit den eigenen Führungsmenschen war Alex klar, dass der Weg der Veränderung ein langer sein würde. Zu viele unterschiedliche Strömungen, zu viele Individualinteressen, Karrierewünsche und selbst in die Führungsriege, die zunächst so ambitioniert geklungen hatte, war sich nicht mehr klar und einig,  ob ein „weiter so“ nicht zunächst die bessere Wahl sei. Die Zeiten schienen plötzlich zu unsicher, große Sprünge vielleicht der falsche Ansatz. Die Dynamik hatte das Unternehmen plötzlich wieder voll im Griff und es war zugleich (noch) nicht in der Lage mit den Anforderungen flexibel umzugehen. Zu stark waren die „alt bewährten“ Strukturen präsent, wurde mit viel Zeit und zugleich unter Druck überlegt, bevor entscheiden wurde. Doch immer öfter kamen diese Entscheidungen zu spät und Kunden hatten sich bereits umentschieden, Anforderungen hatten sich verändert, Chancen waren vertan. Die Zeit spielte offensichtlich gegen diejenigen, die bedacht handeln wollten und für diejenigen, die bereit waren im ‚trial and error‘ Investitionen zu riskieren, um schnell auf neue Möglichkeiten zu reagieren.

Alex kannte dieses Verhalten, hatte erlebt, wie sehr es Unternehmen im Vergleich zu seinen Wettbewerben lähmte, hatte jedoch selbst auch schon in Unternehmen gearbeitet, die dynamikrobuster und anpassungsfähiger agierten. Und genau diese Erfahrung wollte Alex nun hier, im neuen Unternehmen, einbringen und teilen. Denn genau diese Erfahrung konnte dem Unternehmen helfen, sich zukunftsfähiger aufzustellen.

Nun saßen wir also wieder zusammen, zwar hunderte Kilometer voneinander entfernt, aber bereit für eine sehr vertrauliche, tiefergehende Diskussion. Alex hatte eine spannende Frage mitgebracht, die eigentlich weit über das aktuelle Problem hinausging, zugleich aber den Kern dessen griff, um das es langfristig gehen sollte: „Wie gelingt es, maximale Ergebnisorientierung, maximale Werteorientierung und maximale Nachhaltigkeitsorientierung im Unternehmen zu vereinen?“ Das Ziel war es, mit der Antwort einen ersten Rahmen zu geben, der die Sicherheit eines weiteren ökonomischen Erfolgs mit den neuen Wahrheiten einer wachsenden Erwartung ökologischen und sozialen Handelns verband. Sie sollte der Geschäftsführung Sicherheit geben, langfristig die richtigen Weichen zu setzen.

Meine Perspektive als Reflexionsimpuls für alle Interessierten: 

Aus meiner Sicht lässt sich dieses Pferd am Besten von hinten aufzäumen. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist für mich der Schlüssel, der es erlaubt die anderen Themen mit zu greifen und ein umfassendes, schlüssiges Konzept zu entwerfen. Der Begriff der „starken Nachhaltigkeit“ umfasst drei Dimensionen eines, sich positiv auf das Umfeld auswirkenden, langfristig orientierten ökonomischen, sozialen und ökologischen Handeln. Wer im Sinne dieser „starken Nachhaltigkeit“ agiert, vereint fast automatisch ökonomische Ergebnis-, soziale Werte- und ökologische Nachhaltigkeitsorientierung.

Unternehmen haben seit Beginn der Industrialisierung und, zunächst verstärkt durch die Ansätze des „Scientific Management“ von Frederic W. Taylor, später mit dem Shareholder-Value Ansatz,  einen starken Fokus auf die ökonomischen Ergebnisse gerichtet. Maximale Ergebnisorientierung war das Gebot der Stunde. Erreicht wurde sie durch klare Vorgaben und engmaschige Kontrolle in  sich langsam und sukzessive entwickelnden Märkten. Womit das Unternehmen auch immer zu tun hatte: das allermeiste war wunderbar plan- und (wichtig für den Aktienmarkt) analysierbar.

Heute erkennen viele Unternehmen, dass die Unternehmenskultur und eine Orientierung entlang menschlicher, ethischer und moralischer Werte eine zunehmend bedeutsame Rolle spielt, um bei Kunden und bei den Mitarbeitenden noch eine relevante Rolle zu spielen. Insbesondere, wenn das Unternehmen nicht mit einer dominanten Rolle im Markt präsent ist. Ein Setup des Unternehmens, dass sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, ein menschenzentriertes Management, eine ebensolche, dazu passende Führung sind heute zunehmend wichtig, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Das heißt aber auch, dass Grundwerte wie Respekt, Toleranz, Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen, sowie Grundannahmen wie ein positives Menschenbild, und gegenseitige Verbindlichkeit oder ein stabile, konsequent eingehaltene (Verhaltens)Normen, im Fundament des Unternehmens verankert sein müssen. 

Absehbar ist, dass in den nächsten Monaten und Jahren der öffentliche Anspruch an Unternehmen und ihr Handeln weiter wachsen wird.

Um hier zu einem geeigneten Gerüst und Rahmen zu gelangen, innerhalb dessen sich das Unternehmen (neu) aufstellen kann, lohnt es, sich mit dem Begriff der Wertschöpfung auseinanderzusetzen.

Klassische Wertschöpfung entsteht immer dann, wenn jemand einen ökonomisch wertvollen Beitrag für das Unternehmen leistet. Das kann der LKW-Fahrer sein, der Ware für die Produktion abholt, oder an Kunden ausliefert. Das kann der Werbetexter oder Influencer sein, dem es gelingt, mehr Aufmerksamkeit auf die Produkte zu lenken, oder der Geschäftsführer, der strategisch wichtige Weichenstellungen bewirkt. Dagegen entsteht keine Wertschöpfung, wenn Reports gestaltet und erstellt werden, die niemand liest oder für seine Wertschöpfung braucht, oder man Meeting beiwohnt, in denen man keinen Mehrwert generiert. Am Ende ist vieles was getan wird eher Beschäftigung und führt kaum zu ökonomischer Wertschöpfung. Allerdings fällt in machen Bereichen die Abgrenzung enorm schwer, da keine direkte Wirkung auf die Wertschöpfung existiert, eine mittelbare aber nicht von der Hand zu weissen ist.   

Neben der ökonomischen Wertschöpfung muss man auch die soziale Wertschöpfung vermehrt in den Blick nehmen. Sie entsteht immer dann, wenn Leistungen ehrlich und transparent wertgeschätzt werden, wenn der Beitrag, den Menschen zum Wohle des Unternehmens leisten, erkannt, benannt und belohnt wird. Wertschätzung jenseits extrinsischer Belohnungsinstrumente wird immer mehr als Kern menschenzentrierter Führungsansätze erkannt und eingesetzt. Als Herausforderung sind dabei Bonussysteme, inklusive der meist damit verbundenen Zieldefinitionen und Zielerreichungsdiskussionen zu werten. Sie sind zwar weit verbreitet, wirken aber häufig kontraproduktiv und sollten überdacht werden.  

In der Kombination von ökonomischer und sozialer Wertschöpfung veröffentlichen immer mehr Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz, die die ökonomischen und den sozialen Wirkungen des Unternehmens beleuchtet. 

Ökologische Wertschöpfung spiegelt sich im ökologischen Werterhalt wider, bzw. idealerweise einer umwelt- und klimabezogenen Positivbilanz wieder, also dem, was aus ökologischer Sicht positives im Unternehmen entsteht, etwa durch sinnvolles re- und upcycling oder CO2-positive Aktivitäten. 

Die eigentliche Frage war jedoch, was kann man tun, um diese drei Bereiche zu optimieren und maximieren? Aus meiner Sicht ist es die Frage, wie man starke Nachhaltigkeit so tief in die Regeln und Rahmenbedingungen der Arbeit im Unternehmen einbaut, dass Mitarbeitende, wie auch Kunden und Partner gar nicht anders können, als sich in diesem Sinne nachhaltig zu verhalten. „sustainable by design“ sollte das Ziel sein.

In Bezug auf viele der heute tätigen Unternehmen helfen die Antworten auf scheinbar banale Fragen weiter, beispielsweise: In welchem ökologischen Rahmen darf Produktentwicklung stattfinden, obwohl die ggf. ökonomisch negative Auswirkungen hat? Welche Kompromisse kann und soll der Einkauf eingehen, um Umwelt- und Klimaneutral(er) zu handeln?  Nach welchen Vorgaben werden neue Fahrzeuge beschafft, Reisen durchgeführt, Meetings organisiert? Welche Freiräume werden Mitarbeitenden gegeben, um ihren Arbeitsort und ihre Arbeitssituation stark nachhaltig zu wählen und gestalten? Wo und wie können Mitarbeitende Ideen ausprobieren und dazu benötigte Ressourcen einfach beschaffen? 

Daraus wiederum ergeben sich Fragen wie die, nach der geeigneten Organisationsstruktur, einer, die anpassungs- und komplexitätsfähig, dynamikrobust und überraschungsresistent ist, oder die nach der Bedeutung (oder dem Schaden) von strikten Vorgaben, nach der Schaffung einer (ggf. Neuen) nachhaltigkeitsgeprägten Identität des Unternehmens. Einer Identität, die auf den Stolz für das bereits (in diesem Bereich) geleistete aufbaut und eine klare Perspektive aufzeigt. 

An der Stelle lohnt ein Seitenblick auf Unternehmen, denen es gelungen ist, über Jahrzehnte und teils Jahrhunderte in ihren Märkten präsent zu bleiben. Martin Reeves hat die 6 wesentlichsten Gemeinsamkeiten solcher Unternehmen (in einem TED Talk) zusammengefasst. Diese agieren vorausschauend, sind modular, divers und redundant aufgestellt, sind intern und extern stark vernetzt und (damit) extrem anpassungsfähig. Eigenschaften, die sich auch in stark nachhaltig orientierten Unternehmen lohnen.

All das funktioniert nicht, wenn nicht Managementansatz, Führungskonzept und das Geschäftsmodell zueinanderpassen. Die Elemente müssen zusammenspielen. Die meisten Geschäftsmodelle setzen gewissen Management- und Führungskonstrukte voraus, ohne das explizit auszudrücken. In allen Elementen steckt jeweils eine Komponente von möglicher oder tatsächlich ausübbarer Macht. Macht, die immer auch dazu verwendet werden kann, den Rahmen zu verändern oder mindestens zu beeinflussen.
Die Frage, die sich anschließt, ist damit: Welche Macht und Entscheidungswege und -kompetenzen sollten etabliert und/oder vermieden werden und wie?

Doch, den Rahmen zu setzen alleine reicht nicht. Der Rahmen muss auch ausgefüllt und den Mitarbeitenden nahe gebracht werden. Führung ist daher weiterhin ein entscheidender Faktor, der zugleich nicht auf einzelne übertragen werden muss. In all dem ist also die Frage: Wie man Führung sinnvoll verteilt, um die Ziele zu erreichen?
Dazu demnächst mehr, denn ich bin sicher, dass Alex auch dieses Thema diskutieren wollen wird. 

Literatur und Links zum Thema Wertschöpfung, Management- und Geschäftsmodelle:

  • Videos auf: https://intrinsify.de/vortraege-unserer-gruender/
  • Bücher von Lukas Michel zum Thema Managementmodelle: z.B. ‚Performance Triangle‘, ‚People-centric Management‘ oder ‚Agile by choice‘
  • Bücher von Alex Osterwalder zum Thema Geschäftsmodelle: z.B. ‚Business Model Generation: Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer‘ oder 
  • ‚The Invincible Company: How to Constantly Reinvent Your Organization with Inspiration From the World’s Best Business Models (Strategyzer)‘