Es werden immer mehr Spatzen, die in den Chor der Veränderungsrufer einstimmen und die Melodie der “neuen” digitalen Zeit dringt immer mehr an unsere Ohren.
 
Ob die Digitale Transformation sich nur auf interne Prozesse auswirkt, ob sie die Automatisierung von ganzen Geschäftsprozessen umfasst oder ob sie tatsächlich neue Geschäftsmodelle entstehen ist zwar mit massiven Auswirkungen auf jede individuelle Arbeitssituation verbunden, zugleich aber im Grunde unerheblich.
Was die Veränderung unausweichlich mit sich bringt, im zweiten bzw. dritten Schritt, sollte hingegen unser Aufmerksamkeit schon jetzt erregen.
 

Der erste Schritt

Wir wissen: Die Wirksamkeit des eigenen Angebotes zu verbessern ist der Treiber hin zu mehr „digital“, sei es durch neue, bessere, digitaler Produkte, neue Serviceangebote oder kürzere Antwortzeiten. Mit festem Blick auf den Kunden wird renoviert, adaptiert und innoviert. Nach der Effizienz ist die Effektivität in den Unternehmen angekommen.
Der digitale Wandel hat die Informationsverfügbarkeit und unser Kommunikationsverhalten verändert. Das ist das Kernelement, um das es geht. Darum ist “das neue digitale” so deutlich ins Blickfeld der (Zusammen)Arbeit gerückt. Diese (oft nur rudimentär genutzten) “neuen” Möglichkeiten sind, was das Arbeitsleben heute so schnell verändert. Aber das ist nur der erste und ein kleiner Schritt.
 

Der zweite Schritt

In vielen Unternehmen, in denen erste digitale Ansätze angekommen sind, startet gleich anschließend eine Agilitätsoffensive. Nachdem (un)bewusst neuen Verhaltensmustern Tür und Tor geöffnet wurde, nachdem neue Anforderungen wie schnellere Reaktion, mehr Flexibilität und dynamische Anpassung an de sich verändernden Rahmenbedingungen an alle Ebenen im Unternehmen gestellt werden, soll ein “agiles mindset” (bitte nur) in ausgewählten Bereichen für Linderung der aufgetretenen Probleme sorgen.
Also werden Agile Coaches und Scrum-Master werden ins Unternehmen geholt und beauftragt chirurgisch präzise die “betroffenen” Teams in der Anwendung von agilen Methoden zu „schulen“. “Agile in a nutshell” – im wahrsten Sinne des Wortes.
 
Die Konsequenz: Die Teams finden (zumeist) gefallen an der “freieren” und selbstbestimmteren Arbeit – die die Teams umgebenden Abteilungen und Führungskräfte eher weniger. Für sie sind diese freigesetzten Radikale Störfaktoren, aber keine Hilfe.
 
Die Lösung oder eher zwei: Entweder werden die agilen Teams stärker separiert und klarere Schnittstellen geschaffen ODER die benachbarten Abteilungen bekommen auch ihren (bedarfsgerechten) Teil Agilität.
 
Unabhängig davon, tun sich immer mehr (Arbeits)Gruppen zusammen und starten eigenständig Initiativen, um die Vernetzung und den Austausch zu verbessern. Früher in den Kaffeeküchen, heute, mit mehr Struktur, Anspruch und Methoden wie dem aktuellen Trendthema “Working out Loud”. Wie auch immer: das Leben in den Schattenorganisationen gewinnt an Fahrt.
Doch, hier, schon beim zweiten Schritt, ist es notwendig innezuhalten und einen Moment vom geschehen zurückzutreten, um zu erkennen, was wirklich passiert.
 
Nicht umsonst stand am Anfang des Erfolgs von “Agilität” das agile Manifest, das vor allem eine neue Haltung im Umgang miteinander, mit Kunden und der Entwicklung neuer Arbeitsergebnisse fordert. Was die Digitale Transformation auslöst, ist vor allem ein kultureller Veränderungsprozess, auf den sich Unternehmen frühzeitig(st) einstellen müssen. In keiner Organisation wird der Weg in die Digitalisierung daran vorbeiführen, mit den Prozessen und Kommunikationsstrukturen auch die Organisationsstrukturen, die Rollenmodelle und das gesamte Führungsverständnis zu reflektieren und neu zu definieren.
Die ist eine notwendige Bedingung, wenn Agilität mehr Erfolg bringen soll. Umgekehrt ist Agilität eine echter Erfolgsfaktor! Agilität erhöht die Fähigkeit der Organisation mit Veränderungen, intern wie extern, besser umzugehen. Sie verbessert die Fähigkeit der Organisation ihre Ziele zu erreichen, ihren “purpose” umzusetzen. Sie erhöht dramatisch die Wirksamkeit des Unternehmens.
 
Während die externen Veränderungen die Rahmenbedingungen neu setzen, determinieren die internen Veränderungen die Leitplanken innerhalb derer sich die Mitarbeiter frei bewegen. Sind diese zu eng oder zu weit gesteckt führt dies zu Lethargie, Chaos oder Überforderungen. Prof. Heike Bruch von der HSG hat dies or Jahren schon in den Rahmen der organisationalen Energie gefasst, mit der Gefahr von „Trägheits-„ und „Beschleunigungsfallen“. Das richtige Maß zu finden wird immer bedeutsamer!
Das richtige Maß der Beteiligungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter und Kunden ist ein ebenso bedeutsamer Bereich, in dem sich das organisationsindividuell richtige, meist deutlich vergrößerte Maß an Freiraum auszahlt.
 
Agilität braucht die individuelle Wahrnehmung von Sicherheit und Stabilität, um sich positiv auszuzahlen. Funktionierende Agilität braucht eine neue Sensorik in der Organisation. Eine Sensorik, die auf die Mitarbeiter und ihren Kenntnissen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Intuitionen als “glaubwürdige Messfühler” aufbaut und nutzt, und die bis hinein in die Entscheidungsprozesse wirkt. Entscheidungsprozesse die ohnehin immer mehr durch diese „Sensoren“ selbst angestoßen und auch eigenständig durchgeführt werden.
 

Der dritte Schritt

Der technologisch getriebene Wandel verändert nicht nur die Kultur, sondern ganz fundamental die Betriebslogik und die Struktur von Unternehmen.
Mich wundert, wie gelassen, zumindest in der Außenwahrnehmung, viele (Top-)Führungskräfte damit umgehen. Statt hier proaktiv die Zielrichtung dieser Veränderung mitzubestimmen und diese zu gestalten, warten viele passiv ab, was da auf sie zukommt. Dabei ist spätestens mit dem ersten Schritt in Richtung digitalerer Modelle der Moment gekommen, um aktiv zu werden.
 
Doch frisst das Tagesgeschäft noch immer viel zu viele Ressourcen dieser Unternehmenslenker.
Erst ganz langsam erlebe ich in meiner Arbeit, dass (Top-)Führungskräfte, oft erstaunlich kurzfristig, Impulse und Berater, resp. Mentoren suchen, die das eigene Umdenken anstoßen und begleiten. Es geht also dann doch – wenn der Druck groß genug ist. Aber warum so lange warten?!
Unternehmen, die agile Organisationsstrukturen aufbauen, die Redundanzen, Diversität, Modularität, Adaptionsfähigkeit und Besonnenheit in sich tragen (letzteres vor allem ein Punkt, um den sich die Top-Führung in Zukunft immer mehr kümmern sollte), sind nachweislich langlebiger. Auch ein wichtiges Argument in einer Zeit in der die Lebensdauer von Unternehmen sich immer mehr verkürzt. Tatsächlich haben fast alle besonders langlebige Unternehmen jeweils mindestens drei dieser Eigenschaften tief in ihr kulturelles Fundament eingebettet.
 

Der Schritt raus aus dem Hamsterrad

Kluge Unternehmen und Führungskräfte nehmen sich zu Anfang der großen Transformation(en) Zeit den Einstieg in diese Themen aus ihrer persönlichen, wie der organisationalen Perspektive bewusst zu betrachten. Sie analysieren ihr Unternehmen, tragen die Implikationen zusammenzutragen und loten die Möglichkeiten aus. Sie tun nichts anderes, als das, was jeder bei einem Jobwechsel tun würde. Nur dieses mal wechselt das ganze Unternehmen “den Job”.
Der Wandel verändert das Fundament vieler Organisationen, die Kommunikation, die Interaktionen, die Werte, die Entscheidungswege und -kompetenzen und nicht zuletzt die Rollenmodelle – all dies bis ganz hinauf in die Spitze. Zudem geht es mehr denn je darum, an den Ursachen zu arbeiten statt an den Symptomen, denn diese bergen die Gefahr sich sonst zu schnell in echte Probleme umzuwandeln.
Wem es gelingt, bereits im Vorfeld die agilen Potenziale der Organisation, der Mitarbeiter, der Führung und der Führungssysteme auszuloten und die Störfelder zu eliminieren, vollzieht den anschließenden Wandel deutlich entspannter und insbesondere erfolgreicher.
 
Im gesamten deutschsprachigen Raum sind „die vielen kleinen Schritte“ kulturell als Erfolgsmodell verankert. Wir sind es gewohnt so zu denken und zu handeln. Große Veränderungen erzeugen Angst und Misstrauen.
Hier, bei der digitalen Transformation, landen die Unternehmen und Führungskräfte, die in kleinen Schritten starten, ohne sich konsequent und systemisch umfänglich Gedanken über das große Gesamtbild gemacht zu haben, in der Falle. Sie sind am Ende deutlich häufiger gefordert schnelle große Schritte nachzusetzen, als es gut für sie ist. In diese Falle kann man tappen, man muss es aber nicht.