Jetzt, so kurz nach den Ferien wünscht sich mancher zurück an den Strand, in die Berge. Manche wollen zurück in den Naturpark, andere neue Städte kennenlernen, neue Kulturen, andere Menschen. So träumt so mancher davon einfach dableiben und vom Urlaubsort auch arbeiten zu können.
Aber auch neben dieser romantischen Darstellung ist Telearbeit, Remote Work oder das Home Office – egal welchen Namen wir dem Kind auch geben – ein zunehmend wichtiges Aspekt der Zusammenarbeit. Und das nicht nur, weil diese Art der Arbeit durch weniger arbeitsbedingtes Pendeln und Dienstreisen Lebenszeit spart und die Klimabelastung verringert.
Es gibt viele gute Gründe und Ansätze dafür, die ich u.a. in einer inzwischen 5 Jahre alten, aber im wesentlichen noch immer aktuellen Präsentation zusammengetragen habe. Wer mag, kann gerne mal reinschauen.
Doch, das zu bohrende Brett ist in Deutschland noch ziemlich dick. Dennoch gebe ich nicht auf. Auch wenn einige große Unternehmen gerade versuchen ihre Mitarbeiter wieder zurück in die Büros zu bekommen, ich bin überzeugt, dieser Versuch wird nur teilweise gelingen.
Zu wichtig ist es in und für die Zukunft aus Unternehmenssicht attraktive Möglichkeiten zu schaffen, denn, unabhängig davon, ob es sich um ein Generationen-, Kultur- oder Führungsthema/-problem handelt, der Arbeitsmarkt wird enger, die Chancen bei einem interessanten Arbeitgeber zu arbeiten bestehen für die brauchbaren und vor allem die sehr guten (Wissens)arbeiter tatsächlich weltweit. Unternehmen müssen darauf reagieren.
Welchen Weg Unternehmen gehen, remote wird im großen oder im kleinen Stil immer dabei sein müssen. Entsprechend ist die technische und sozial-fachliche Kompetenz gefordert, dieses „neue“ Zusammenspiel für alle sinnvoll zu gestalten und zu leben.
Ich werde mich hier auf den Führungsbereich in solchen „remote“ Situationen, neudeutsch auf „Remote Leadership“ fokussieren. Sehr gute technische Lösungen sprießen jeden Tag neu aus dem Boden. Ich habe selbst viele davon ausprobiert. Aber die Technik ist nicht mein Spezialbereich, da gibt es viele Anbieter, die das besser können. Zum Beispiel stellt Communardo solche Lösungen, samt typischer Anwendungsszenarien, auf dem Digital Workplace Summit am 13. November in Hamburg vor, bei dem ich die Keynote halten darf. Dabei geht es dann um „Zusammenarbeit stinkt vom Kopfe her. Warum und wie wir Management & Führung neu denken müssen, damit Zukunft funktioniert.“ Noch gibt es Tickets. 😉
Zurück zu remote leadership
Das Spannende an Remote Leadership, ist, dass es nicht nur im die bi-/multilaterale Beziehung einiger Menschen geht, sondern das es Auswirkungen auf die gesamte Organisation hat. Konkret: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit Remote Work (und Leadership und Collaboration) funktioniert.
Das Ergebnis der Arbeit von Menschen mit Menschen ist immer wieder auch Arbeit in, an und mit einem komplexen System. Um das systematische etwas aufzubrechen, es „unkomplexer“ beschreiben zu können und mit etwas Struktur zu umgeben, orientiere ich mich am CoRE-Canvas (CoRE = Collaboration Reframing & Evolution) der mit 15 Fokusbereichen gute Hilfestellung gibt. Dennoch werde ich am Ende ein paar Ergänzungen machen und dennoch insgesamt höchstens die Spitze des Eisbergs anreißen können. (Vielleicht lohnt es ja, das Thema auf anderen Wegen zu vertiefen?!)
Als Führungskraft, ob in einer remote oder „on-site“ Situation, blickt man immer drei Kernfragestellungen ins Auge:
- Was muss fachlich getan werden, damit die Mitarbeiter ihren Wertbeitrag optimal, ins Team und die Organisation einbringen können und wollen(!).
- Was brauchten die Mitarbeiter dafür und wie sieht die menschlich soziale Seite der Arbeit am gemeinsamen (!) Ziel aus?
- Welche Organisationsstruktur und welche Rahmenbedingungen sind dazu notwendig?
Bei all dem steht eine Frage noch über allen anderen im Raum: Was hindert uns daran, eine für alle möglichst perfekte Arbeitsbeziehung und -umgebung aufzubauen?
Soviel zum Rahmen, in dem ich mich heute bewegen werde.
Doch jetzt zu den 15 Fokusbereiche, von denen jeweils 5 auf eine der drei Kernfragestellungen einzahlen, daher bitte nicht über die Reihenfolge wundern. 😉
Fähigkeiten
Als „remote leader“, in räumlicher Distanz zu zumindest einem Teil der Mitarbeiter, ist es im Vergleich zu einer on-site Situation noch wichtiger die Fähigkeiten der Mitarbeiter „da draußen“ zu (er)kennen, gezielt einzusetzen und ihnen Raum für deren Weiterentwicklung zu geben. Ich muss mir also zuerst ein Bild und eine Übersicht verschaffen. Damit alle gemeinsam möglichst effektiv arbeiten können, sollten die Fähigkeiten, das Wissen und die gegenseitigen Lernmöglichkeiten (aber dazu komme ich später noch einmal), transparent allen leicht zugänglich sichtbar gemacht werden. Um nicht klassische Kompetenzdatengräber zu fördern, halte ich z.B. ein Online Photoalbum, in dem jeder Fotos von sich bei den zu den Fähigkeiten passenden Tätigkeiten ablegen kann (ja, gerne auch mit etwas Text) für eine spannende Idee.
Allein daran lässt sich ablesen: Nicht nur die Fähigkeiten an sich sind wichtig, sondern auch der Austausch darüber. Er ist der erste Baustein um, trotz einer verteilten Teams, einfach neue Ideen zu entwickeln und voranzubringen. Die Möglichkeit zum Austausch über die Fähigkeiten ist nicht nur aus fachlicher, sondern auch aus sozialer Sicht enorm wichtig.
Austausch
Wenn das Team überall im Land oder der Welt verteilt sitzt, dann fallen naturgemäß die Kaffeeküchengespräche und informelle Mittagessen weg. Um so wichtiger ist es dennoch eine gute Basis für einen regelmäßigen und umfassenden Austausch zu fachlichen (und anderen!) Themen zu schaffen. Ob man dies in täglichen „Morning Alignments“, in wöchentlichen Statusrunden oder in einer anderen Form macht, ist dabei ziemlich egal, nur eines ist nicht egal: Die Zeit darf nicht als verschwendet angesehen werden dürfen! Gerade remote ist (und passiert) es leicht, dass die Aufmerksamkeit (ab)wandert. Also: eine klare und aktuelle Agenda (ja, auch für regelmäßige Treffen!) mit relevanten Themen, die tatsächlich alle (oder fast alle) interessieren ist um so mehr Pflicht!
Das zweite ebenso relevante Thema, wie die persönlichen individuell wahrgenommene Relevanz des Austauschs, ist die genutzte Plattform. Ich selbst habe unzählige Messenger und Videocall Plattformen ausprobiert. Einige gute und viele schlechte. Nichts ist schlimmer als ein Tool, das zwar als goldeierlegende Wollmilchsau daherkommt, aber so kompliziert ist, dass kein Mensch es gerne, einfach und schnell man zwischendurch nutzen möchte. Es sollte einladen, es auch dann zu nutzen, wenn man sich neben und außerhalb der Arbeit mit den Kollegen austauschen will – überhaupt sollte auch dazu immer wieder Zeit und Gelegenheit geben. Das fördert die Beziehungstiefe und die Vernetzung – zwei enorm wichtige Punkte für ein gut funktionierendes remote (und Hochleistungs-)Team.
Austausch sollte auch nie „nur remote“ sein. Für gute Beziehungen (zu denen komme ich nachher auch nochmal ausführlicher) ist es wichtig den anderen gesehen, gespürt, gerochen, einfach mit (den meisten) Sinnen wahrgenommen zu haben. Gestik, Mimik und Stimme lassen sich schon über Distanzen übertragen, jemandem die Hand zu geben und gemeinsam einen Weg zu gehen ist dennoch noch etwas anderes.
Ein letzter Punkt – der mir, wer mich kennt weiß das, selbst immer wider schwerfällt: small talk. Für eine emotional stabile (Ver)Bindung ist gerade auch die Möglich- und Gelegenheit, sich mal entspannt über alles mögliche zu unterhalten, wichtig. Das schafft das enorm gute Gefühl von Zusammenhalt – zumindest, wenn die Gesprächspartner in ihrem Talk nicht zu small werden.
Und ein allerletzter Punkt: big talk… Was das ist? Es ist meine Umschreibung dafür, dass es auch mal notwendig ist Dampf ablassen zu können. Nicht nur im Verborgenen, sondern ganz offen mit den Kollegen. Auch dafür muss Raum gegeben sein.
Chancen
Wer fern ab von „der Zentrale“ sitzt, fühlt sich schnell auch ausgeschlossen. Chancen, die anderen durch den schnellen direkten, informellen Dienstweg, weil jemand gerade am Schreibtisch vorbeikommt, oder weil mal durch den Flurfunk von dem neuen Projekt oder der neuen Stelle erfährt, leicht nutzen können entgehen einem fast immer. Man ist nicht zu präsent und damit aus den Augen und aus dem Sinn.
Doch wie sieht es mit den Chancen aus, die für alle gemeinsam relevant sind? Chancen, die sich auch remote leicht nutzen lassen und die man vielleicht forcieren kann? Es geht um Raum für Innovation, für Ideen und gemeinsame Herausforderungen. Die schaffen nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl, Herausforderungen wie „remote Fed-Ex Days“ (Man muss mit dem Team innerhalb von 24 aus Ideen einen Prototyp entwickeln – in einem remote Setting besonders herausfordernd) oder andere Challenges, die es gemeinsam zu meistern gilt, können Booster für neue Produkte sein. Ein guter Leader stimmt diese Herausforderungen auf sein Team und dessen Fähigkeiten ab.
Wirksamkeit
Wo oftmals schon die Kommunikation unter der Entfernung und ggf. unterschiedlichen Arbeitszeiten leidet, da ist die Aufgabe ‚Wirksamkeit‘ sichtbar und erfahrbar zu machen, eine besondere Herausforderung. Besondere Leistungen, und manchmal auch die ganz normalen, brauchen Aufmerksamkeit, denn – nein – sie sind nicht unbedingt selbstverständlich. Wieder ist auf der Beziehungsebene wichtig zu erkennen, wer welche Art von Feedback oder Freiraum braucht und wem es hilft, den Fokus der aktuellen und langfristigen Arbeit mit anderen zu reflektieren um mehr (Selbst)Wirksamkeit zu entwickeln. Eine Aufgabe, die, gerade bei verteilten Arbeitsorten und -zeiten, viel Zeit in Anspruch nehmen kann, die sich aber immer lohnt. Daneben stellt sich die Frage, welche KPI dem Team helfen sich seiner eigenen Wirksamkeit bewusst zu werden und wie bzw. wo diese zusammengetragen und dargestellt werden. Ein direkter Bezug zum individuellen Wertbeitrag und der gemeinsamen Wertschöpfung ist auch hier wichtiger als in on-site Settings.
Wer selten in ganz direktem Kontakt zueinander ist, wer nicht unmittelbar mitbekommt, was, wer, wo, wann macht, der kann auch den wirksamen Einsatz von Ressourcen schwerer einschätzen. Auch hier sind offene, transparenzschaffende Dialoge alles andere als Zeitverschwendung.
Wer oft „im stillen Kämmerlein“ vor sich hinarbeitet, verbeißt sich manchmal in Aufgaben, die aus der Distanz als weniger wertschöpfend wahrgenommen werden. Daher sollten immer wieder auch die, ggf. unterschiedlich wahrgenommenen Prioritäten angesprochen werden. Vor allem Ziele und Erwartungen sollten deutlich klarer an- und ausgesprochen werden, als on-site, wo immer mal sichtbar wird, wer woran wie intensiv arbeitet.
Wertbeitrag
Ziele und Erwartungen… die liegt der Wertbeitrag nicht fern. Das Thema ist, welche individuellen Wertbeiträge diejenigen sind, die auch für das Team besondere Relevanz besitzen. Wieder ist glasklare Kommunikation gefragt. Doch strikte Vorgaben sind hier (noch mehr als sonst) kontraproduktiv. Remote findet sich immer ein Fluchtpunkt, um an den Dingen zu arbeiten, die als persönlich wichtigen angesehen werden. Diesen Raum sollte ein „remote leader“ schon im Vorfeld schaffen. Er ist das Vorzimmer für mehr Emergenz und genau die ist es, die es vor allem remote zu fördern gilt, denn auf ihr beruht letztendlich der Erfolg des Teams. Doch: Die Emergenz bedeutet auch Abhängigkeiten – im Team und darüber hinaus. Diese sollten, nein, diese müssen allen klar sein.
Der Wertbeitrag ist der Zwilling der Wertschätzung, ignoriert man den einen, fliegt einem der andere um die Ohren. Man sollte also sehr genau hinschauen, wo Wert für die Organisation entsteht und wer dafür die Lorbeeren einstreicht.
Ziele
Wer bei der Zusammenarbeit auf Distanz bleibt, muss ein klares gemeinsames Verständnis für die zu erreichenden Ziele schaffen. Der sonst so informative wie normative Austausch am Schreibtische oder in der Kaffeemaschine fällt hier weg, weshalb es um so wichtiger ist, Ersatz zu schaffen. Ein guter Weg ist Raum und einen festen Platz für Fragen (jeder Art!) zu schaffen. Ein Onlineboard oder eine Messenger Channel hilft, sich abzustimmen und nebenbei den/die anderen besser einschätzen zu können. Gute remote Leader füttern dieses Fragenpanel immer wieder mit geeignete Impulsen, um die Dialoge zu Zielen, Vision, Werten und zur Kultur in Gang zu halten.
Noch deutlich stärker als in on-site Settings, sollten die Ziele handlungsleitend strukturiert, formuliert und verstanden werden (können). Damit diese Ziele dann beim weit entfernten Gegenüber auch ankommen, sollten sie mit den persönlichen Zielen harmonieren. „Remote“ gibt es sonst gar keine Chance, dass engagiert an diesen Zielen gearbeitet wird, zumal klassische Druckmittel, wie der stetige, kontrollierende Blick über die Schulter naturgemäß wegfallen. Freiwilligkeit und Selbstmotivation sind remote einfach existenziell. Das macht wiederum klar, dass die Ziele ein wichtiges Kriterium erfüllen müssen: Sie dürfen den Kollegen in dessen Freiheit des fernen und vielleicht selbstgewählten Arbeitsplatzes nicht einengen.
Beziehungen
Eine Beziehung am Arbeitsplatz… ohoh. Auch wenn, nein, weil der Begriff bei den meisten etwas anders besetzt ist, wähle ich ihn bewusst. Tragfähige soziale Beziehungen und Verbundenheit sind bei verteilten Arbeitsorten besonders wichtig. Der bedeutendste Aspekt darin: Vertrauen. Wo durch die Distanz schon der Boden sehr kräftig mit Dünger für Misstrauen vorbereitet ist, sind vertrautenschaffende Handlungen und Haltungen von ganz besonderer Relevanz! Dazu gehört der gemeinsame Wertekodex genauso wie die ungeschriebenen, bewussten und unbewussten Annahmen darüber, wie etwas zu sein hat und wie es getan werden sollte. Und wieder sind Dialoge das Mittel der Wahl, wo Kontrolle einfach nicht machbar ist. Um den Aufbau von Vertrauen zu erleichtern, hilft es, Identifikationspunkte zu schaffen. Die Identifikation mit der Aufgabe, dem Team, dem gemeinsamen Ziel und der Organisation insgesamt, gespeist aus einem Bewusstsein für die Leistungen der Vergangenheit und die Perspektiven in der Zukunft, schafft ein starkes Fundament auf dem die Zusammenarbeit leichter funktioniert.
Um einen starken Identifikationspunkt im Team selbst zu schaffen, gibt es noch einen weiteren Ansatz: Findet „uncommon communalities“ also außergewöhnliche Gemeinsamkeiten und betont diese. Und sei es, dass alle aus einem kleinen Dorf stammen oder lieber remote statt zusammen mit anderen im Büro arbeiten. Sind solche Punkte bekannt und bewusst, bringen sie auch ansonsten Fremde verblüffend schnell zusammen.
Doch, so nett und bequem oder auch notwendig es sein mag, an verschiedenen Standorten zu arbeiten: Immer wieder ist es notwendig zusammenzukommen. Gemeinsame Erlebnisse, der Austausch jenseits der Arbeit (s.o.), die Gespräche beim Wein und/oder Bier, das buchstäbliche er-fassen des anderen sind nicht zu unterschätzende Momente, wenn es darum geht gute Arbeitsbeziehungen aufzubauen. Eine Aufgabe die nicht nur Führungskräften obliegt, sondern eine Aufgabe für jeden!
So gut die Beziehungen auch sein mögen, immer treten auch Konflikte auf. Konflikte, die sich um so mehr aufschaukeln können, je weiniger man mit dem anderem im direkten Kontakt und Austausch steht. Schnell sind die inneren Abwehrmechanismen aktiviert und die Konfliktparteien vergrößern die ohnehin große Distanz. Hier ist (wieder) Leadership und bereits im Vorfeld hohe Aufmerksamkeit gefragt.
Lernen
Wenn in einem weit verteilt arbeitenden Team, jeder seine, ja oftmals noch deutlich vielfältigeren Erlebnisse, Erfahrungen und Informationen frei und leicht einbringen kann, dann wächst da eine unglaublich breite Basis für gemeinsames und gegenseitiges Lernen. Nie war der Austausch in diesem Kontext so einfach wie heute. Nie war Peer-Learning wichtiger. Hilfreich ist dabei das Wissen auch für diejenigen verfügbar zu machen, die in dem Moment des Austauschs nicht dabei sein konnten, was leicht fällt, wenn man ohnehin online ist. Blogs, Podcast und Vlogs sind die perfekten Tools, um Wissen zu transportieren und zu diskutieren.
Jenseits des internen Austauschs sollten alle möglichen anderen Lernerfahrungen ermöglicht werden, einerseits als Geste der Wertschätzung, andererseits, um die Autonomie und damit die Selbstverantwortung sicht- und spürbar zu machen und mehr Verbundenheit zum Team und dem Unternehmen zu schaffen.
Autonomie
Autonomie hab ich jetzt schon ein paarmal erwähnt. Wer weit weg ist, braucht sie, um überhaupt arbeiten zu können – je intensiver Kopf und Kreativität dabei gefragt sind, desto mehr. Dabei ist Autonomie keine logische Folge von remote work. Sie muss gegeben und angenommen werden – von beiden Seiten, in beide Richtungen. Damit die Zusammenarbeit aber wirklich gut funktionieren kann, braucht sie auch ihre Grenzen – sonst wird auch hier aus Autonomie zu schnell eine sehr schädliche Anarchie. Ein paar Basics müssen also in jedem Fall vereinbart werden, etwa wann man für andere erreichbar ist (und wann nicht) oder wer, wann, was frei entscheiden kann und welche Entscheidungsprozesse überhaupt genutzt werden sollen und können. Je klarer hier der individuelle Freiraum und dessen Grenzen definiert sind, desto besser.
Wertschätzung
Auch Wertschätzung hatte ich hier schon ein paar mal erwähnt. Wichtig ist sie ohne Frage, aber im Grunde auch nicht so schwer zu realisieren, zumindest, wenn man seinen Blick ein wenig dafür trainiert, die mit den Aktivitäten verbundenen Aufwände anderer zu erkennen. Wenn es dann noch gelingt, diese auch nach außen sichtbar zu machen, dann ist schon viel gewonnen. Allerdings muss dieser Blick auch weit genug gehen, denn niemand, so unbedeutend die Rolle zunächst auch wirken mag, will und sollte vergessen werden. Vor allem, wenn das Team gut untereinander vernetzt ist und viele Aktivitäten „einfach so“ laufen, wird es schwer zu erkennen, wer besonders geschätzt werden sollte. Da hilft es Online Kudos oder auch kleine Peer-to-peer Belohnungen zu ermöglichen. Wertschätzung ist schließlich keine ausschließliche Führungsaufgabe – im Gegenteil!
In der gegenüberliegenden Ecke von Wertschätzung wird es dagegen manchmal schwierig und das ist dann definitiv eine Führungsaufgabe: Es geht um den Neid, der manchmal, insbesondere in Strukturen in denen es sowohl on-site als auch remote Arbeitssituationen „nebeneinander“ gibt, auftaucht. Die Frage: „Wieso darf der (oder die) das und wieso muss ich hier weiter ins Büro pendeln“ sollte immer bereits im Vorfeld beantwortet werden. Nichts ist schlimmer, als in der Ferne bewusst ausgegrenzt zu werden.
Immer wieder bewusste sichtbar gemachte Wertschätzung kann einem andern Phänomen von remote work entgegenwirken: dem „aus den Augen, aus dem Sinn“ und der damit verbundenen unbewussten Ausgrenzung.
Strategie & Prozesse
Wenn es um die Ausgestaltung der Zukunft und die Optimierung der Gegenwart geht, wenn also Strategien festgelegt und Prozesse angepasst werden sollen, ist auch, wieder mal eine glückliche Hand im remote leadership gefragt. Wieder geht es um zielgerichtete und aktive Kommunikation, um die An- und Einsichten der so entfernt sitzenden, aber unmittelbar Beteiligten einzuholen. Das ist eine Bring- und keine Holschuld! Gerade, wenn Prozesse angepasst werden, bedürfen die besonderen Eigenheiten von remote Situationen besonderer Beachtung. Etwas, dass über die offizielle Interessenvertretung – den remote leader – eingebracht werden sollte, den noch ist es oft so, dass solche Veränderungen nur im (zu) kleinen Kreis initiiert und beschlossen werden.
Auch wenn Strategien und (Entscheidungs-)Prozesse on-site anders aussehen und strukturiert sind als remote, ist ein bewusstes Vorgehen gefragt. Vor allem in remote Situationen ist kein Raum für sinnbefreite Abläufe und Bürokratie. Hier fallen solche lästigen Zeiträuber auf wenig nahrhaften Boden und sollten ohnehin im allgemeinen Interesse überdacht und vor allem überarbeitet werden.
Beteiligung
Jemanden intensiv am Geschehen in der Organisation zu beteiligen, der selten sichtbar und fast nie physisch präsent ist, ist eine echte Herausforderung. Doch gerade dann ist diese Beteiligung, das Gefühl „mittendrin statt nur dabei“ zu sein, besonders wichtig!
Daher ist die wichtige Aufgabe eines remote leaders nicht nur selbst den Kontakt zu pflegen, sondern die „entfernten“ KollegeInnen auch immer wieder den anderen in der Organisation vor Augen zu führen und zu Ohren zu bringen.
Auch und gerade, wenn viel Kommunikation gemeinhin über den Flurfunk stattfindet, ist es wichtig, z.B. die Hintergründe und die Zielsetzung von Entscheidungen verfügbar und (intern) öffentlich zu machen. Nur dann, mit einem klaren Verständnis für die Beweggründe, kann remote auch wirklich danach gehandelt werden.
Andererseits kann die Einbindung in die Organisation erleichtert und verbessert werden, wenn ganz bewusst Aufgaben, die die gesamte Organisation betreffen, von remote agierenden Teams angegangen und gelöst werden. Gerade, wenn dazu auch andere, sonst nicht im Fokus der remote Teams stehenden Bereiche der Organisation eingebunden werden müssen, stärkt dies die Beziehungen und Verbundenheit.
Struktur
Wenn es irgendetwas gibt, was remote wirklich nutzlos ist, dann sind es veraltete Organigramme. Überhaupt sind Org-Charts Relikte einer wohlstrukturierten Zeit. Wenn man die Veränderungen im Unternehmen nicht selbst sieht, miterlebt und versuchen soll, sich anhand solcher Informationen durch das Unternehmen zu hangeln, dann ist dies aktive Zeit( und Geld)verschwendung. Wichtig hingegen ist eine Übersicht über die aktuellen und meist informellen Netzwerkstrukturen, die tatsächlich wiedergibt, wer, wann, wo mit wem arbeitet, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Klar, es ist (wieder) eine besondere Herausforderung diese zu erstellen und up to date zu halten, aber das Thema anzugehen lohnt immer (egal ob man remote oder on-site zusammen arbeitet).
Und auch hier gilt, wie bei den Prozessen: So schlank wie möglich, so groß wie nötig.
Sicherheit
Wer fern ab vom übrigen geschehen des Unternehmens sitzt und wenig bis gar nicht in die Entwicklungen einbezogen ist, der kann schnell aus Mücken Elefanten wachsen sehen. Unsicherheit ist einer der Faktoren die Leistungsfähigkeit stark einschränken. Sie zu verringern ist eine der wichtigen Aufgabe im Kontext von remote Leadership.
Das betrifft auch Kennzahlen zur Geschäftsentwicklung und der eigenen Performance, schließlich fehlt ja oft die direkte Vergleichsmöglichkeit. Zumal diese Transparenz (wieder) ein wichtiger Baustein ist, um Vertrauen auf- und Misstrauen abzubauen.
Eine Gefahr lauert darin Sicherheit geben zu wollen, wo vielleicht gar nicht soviel Sicherheit ist: Kleine (Not)Lügen und der Verlust der Ehrlichkeit. Das sollte man niemals riskieren! Ehrlichkeit im Umgang miteinander ist, so leicht es auf die Distanz fällt sie zu umgehen, so wichtig ist es eben auch dieser Versuchung zu widerstehen!
Ein oft, auch in on-site Settings, unterschätzes Element, ist die Missachtung oder sogar der Missbrauch von Werten und Vereinbarungen. Wer hier nicht aufpasst riskiert die Zusammenarbeitskultur massiv zu untergraben. Auch das ist daher ein wichtiger Aktivitätsbereich eines remote leaders.
Wertschöpfung
Was, wer, wie an Wertschöpfung beisteuert und wie aus dem gemeinsamen Emergenz und echter Mehrwert für das Unternehmen entsteht, ist, wie so viele Dinge, die remote schwieriger ab- und einzuschätzen sind, besonders wichtig transparent zu machen. Aber auch, wenn nicht alles in feierbaren Erfolgen endet, sondern auch, wenn furchtbare Misserfolge produziert werden, ist diese negative Wertschöpfung Resultat des Versuchts etwas positives für das Unternehmen zu erreichen. Daher darf auch hier eine positive Wertschätzung dieses Versuchs nicht fehlen! Insbesondere, weil auch diese Misserfolge Anlass geben können daraus zu lernen und die Chancen für eine positive Wertschöpfung in Zukunft zu verbessern.
Hinzu kommt: Schon in klassischen on-site Unternehmen fällt es den meisten Mitarbeitern schwer die Wertschöpfungskette vollständig nachzuvollziehen. Nicht nur ich sehe das immer wieder kritisch.
Allgemein
Vieles, was ich hier beschrieben habe gilt sowohl in on-site, wie auch in remote Arbeitssituationen. Vieles hat aber remote eben auch eine besondere, oftmals größere Bedeutung, wie zum Beispiel eine wirklich eindeutige, klare und einbindende Kommunikation.
Was ebenfalls immer gilt, wen sich Menschen einem Leader anvertrauen, um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen ist, dass wir alle sehr unterschiedlich in unserem Wesen, unseren Ansprüchen und Erwartungen sind. Wer Führung übernehmen will und als Leader Menschen anregen möchte zu folgen, der sollte dies berücksichtigen. Vielfalt ist ein Schlüssel, der das richtige Schloss braucht, um seien Wirkung voll zu entfalten.
Bevor ich schließe noch drei Impulse zum Thema (remote) Leadership:
- Je mehr eine Leader die Annahmen besitzt, dass sein Team zu großartigen Leistungen fähig ist, desto mehr wird das Team dieser Erwartung auch gerecht (auch wenn das sonst nicht unbedingt der Fall wäre). Dieser Effekt wurde ich vielen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen. Sieh dein Team also als stark und für alles gerüstet an und es wird genau das sein.
- Führen durch Fragen und Hinweise, also durch das was man als „powerless communication“ umschreibt, funktioniert besser als Resultate vorzugeben und einzufordern – gerade in Aufgabenbereichen jenseits von Routinen. Fordere also weniger und lade lieber durch Fragen ein, Dinge anzugehen und zu tun.
- Und das betrifft die ganz persönliche Außenwirkung der Führungskraft: Teams von Leadern, denen es gelingt, wie oben beschrieben zu führen, sind leistungsstärker und es liegt daher nah dies immer wieder durch ein „wir“ in der Kommunikation zu betonen. Führungskräfte werden dann aber von Außenstehenden als schwächer wahrgenommen. Noch immer zählt (fataler- und fälschlicherweise) auf der Karriereleiter das „ich“ mehr als das „wir“. Aber auch das kann man ja mit der Zeit ändern.
Wenn du noch weitere Aspekte von „remote leadership“ betrachten und diskutieren möchtest, dann bist du herzlich eingeladen dies mit meinen freiKopfler Kollegen Christoph Karsten, Heiko Bartlog und mir in unserem nächsten kostenfreien Webinar am 18.09. um 15:00 zu tun.
Wenn du deutlich mehr in die Tiefe gehen und die Dinge ausprobieren möchtest, dann solltest du überlegen, dies mit uns beim „Future Leadership“ Seminar im nächsten Jahr zu tun. Zu den Terminen und zur Anmeldung geht es hier.
Und damit zur letzten Frage: Hast du schon einmal darüber nachgedacht, diese Themen in deinem Unternehmen offen mit einem externen Sparringspartner zu diskutieren, um schnell und organisationsindividuell damit weiterzukommen?
HINWEIS
Wenn du herausfinden möchtest, wie gut die Basis für die Zusammenarbeit, egal ob in einem remote oder on-site Setting, (bereits) entwickelt ist, dann nimm an meiner Umfrage teil. Du erhältst (meist innerhalb von 24 Stunden) Deine individuelle Auswertung.