Ging es erst in der Schule los, oder bereits im Kindergarten? Früh jedenfalls. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn diejenigen, die einen durch das System begleiten, selbst immer wieder vom System dazu gezwungen werden.

Wozu?

Dazu sich anzupassen, an organisierte und systembedingte Zeitverschwendung.

Okay, manchmal scheint es nicht anders zu gehen. Manchmal „sind die Dinge“ einfach so. Nur, meist müssten sie eigentlich doch nicht so sein!

Wenn wir ehrlich zu uns selbst wären, würden wir (wahrscheinlich) zugeben müssen, dass wir einem sinnvolleren Umgang mit einem der kostbarsten Güter, die Leben zu bieten hat, der Zeit, mit unseren hausgemachten Regeln, Denk- und Handlungsweisen im Weg stehen. Wir tun so, als seien Ideen oder Geld und nicht Zeit die beschränkteste Ressource. Wir tun so, als wären wir Menschen mit unserer Kraft, unseren Ideen, unserer Energie, Maschinen, bei denen es egal ist, wann wir sie nutzen. Maschinen, die so lange im Ruhemodus warten, ohne Schaden zu nehmen, bis man sie einen kurzen Moment wirklich braucht. Doch die Verschwendung von Lebenszeit IST ein Schaden. Es ist KEIN Kavaliersdelikt, einfach, weil man es durch NICHTS wiedergutmachen oder ausgleichen kann.

Denn es geht um etwas fundamental einfaches. Es geht um die Tatsache, dass wir jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde nur ein einziges Mal zur Verfügung haben. 

Man sagt, das wertvollste Geschenk, das Sie jemandem machen können, ist das Geschenk Ihrer Zeit und Aufmerksamkeit. So wie ich die Arbeitswelt sehe, sollte man einen Schritt weitergehen: Das wertvollste Geschenk, das ich jemandem machen kann, ist das Geschenk, mit dessen Zeit achtsam umzugehen und keinen Moment davon zu verschwenden.

In diesem Sinne, steig auch aus diesem Beitrag lieber aus, wenn Du ihn als Zeitverschwendung ansiehst!
Oder Du springst direkt zu den Tipps für jeder der drei Ebenen. Mach, was Dir guttut!

Ich habe vor ein paar Tagen eine kleine Umfrage unter meinen Kontakten und Followern gestartet, nach den ersten Tagen und (leider bislang nur)  ca. 130 Teilnehmern (https://www.linkedin.com/posts/bosbachmobi_4tagewoche-wlb2023-managementinnovation-activity-7061279180155432961-jKpM) hatten über 40% angegeben, dass in Ihrer Wahrnehmung mehr als 2 Stunden, also mindestens ein Viertel ihres Arbeitstages, aus verschwendeter Zeit bestehen. Auf ganze Unternehmen hochgerechnet, ist das mindestens 1 Stunde pro Mitarbeitendem pro Tag. Umgerechnet ca. 12,5% der theoretischen Leistungszeit und am Ende auch gut 10% der Personalkosten. Was für ein Wahnsinn!

Andererseits: Im Kontext der derzeit gerne diskutierten 4-Tage-Woche ist das ein ziemlich guter Anfang, mit dem Nebeneffekt, dass sich mit weniger Frust auch mehr Motivation einstellt und noch einiges mehr möglich ist.

Von der Zeitverschwendung zur sinnvollen Zeitverwendung

Um Gegenmittel zu finden, lohnt es verschiedene Arten von Zeitverschwendung auf unterschiedlichen Ebenen zu differenzieren. 

Die selbstgewählte Zeitverschwendung

Ein Teil von Zeitverschwendung bei der Arbeit liegt in unserer eigenen Hand. Und, sie ist manchmal gar nicht so sehr Verschwendung, wie es uns vorkommt. Vielfach gehört es zum erlernten Arbeitsethos, ständig über unsere Grenzen zu gehen, uns zu verausgaben und lieber zu viel als zu wenig Stress zu haben. Hier ist Verschwendung in Form von Erholung, von Nichts-tun, von Spaziergängen oder Sport, auch während der Zeit, in der andere 100% Leistung bringen, wichtig und notwendig, um unsere eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten und wiederherzustellen.
Aber sie kommt eben auch vor, wenn wir fake work aufgeladen bekommen, Aufgaben, die man als vollkommen sinnbefreit ansieht, deren Wert man nicht erkennt oder auch „Tätigkeiten“ die man vorgaukelt, um beschäftigt zu erscheinen. Und glaubt mir, es gab Zeiten, da war ich durchaus gut darin. Ursache dafür sind immer toxische Strukturen oder Kulturen. Umfelder, in denen man sich nicht traut offen darüber zu sprechen, wie die Aufgaben wahrgenommen werden.

Leitfragen könnten sein

  • Wie wichtig ist mir meine Zeit?
  • Wie bewusst gehe ich selbst mit meiner (Arbeits/)Lebenszeit um?
  • Habe ich alternative Möglichkeiten für den Umgang mit meiner Zeit?


Das kannst Du tun (Beispiele)

  • Sei ehrlich mit Dir und kläre für Dich, was Du brauchst, um Deine Leistungsfähigkeit zu erhalten.
  • Der schnelle Weg aus toxischen Umfelder führt nur über die Suche nach dem bestmöglichen Exit.
  • Der lange Weg führt über die Gemeinschaft. Toxische Umfelder lassen sich nur gemeinsam verändern und auch nur, wenn die Top-Führung das Thema erkennt und ernsthaft versucht, das Problem zu lösen. Es ist für sie allerdings ohnehin der langfristig einzig sinnvolle Weg, denn das Gift wirkt auf das gesamte Unternehmen. Zunächst nur lähmend, dann auch irgendwann tödlich.

Gemeinschafts- und führungsbedingte Zeitverschwendung

Einen Teil dieses Bereichs habe ich mit der fake work ja schon angesprochen. Das Thema geht aber leider noch viel weiter. Eine Variante sind Führungskräfte, die Kontrolle über Leistung priorisieren und denen Sichtbarkeit und körperliche Präsenz wichtiger ist als das Ergebnis. Aber auch Gruppen und Teams können diese (Anti-)Dynamik erzeugen. 

Auch hier liegt viel an der Offenheit und dem Vertrauen in der Kommunikation. Hier wird das persönliche Be- und Empfinden intensiv durch die Gruppendynamik und die bilateralen Beziehungen untereinander beeinflusst. Sich dem zu entziehen ist schwer, schließlich spielt hier immer auch die Frage der Loyalität mit rein. 

Leitfragen könnten sein

  • Wie viel Zeitinvestition ist mir der „Arbeitsfriede“ Wert?
  • Würde mehr Offenheit, bis hin zum Konzept der „radikalen Offenheit“ etwas verändern?
  • Kann ich nachvollziehen, warum die Menschen in meinem Umfeld so agieren?
  • Ist mir und ist den anderen bewusst, welchen zeitlichen Mehrinvest die Zusammenarbeit in dieser Form erfordert und ist der resultierende Erfolg den Aufwand wert?

Das kannst Du tun (Beispiele)

  • Zusammenarbeit mit „schwierigen“, fachlich meist guten, aber in der Menschenführung weniger bewanderten Führungskräften, ist oft herausfordernd. Eine Kommunikation, die ausdrückt, was einen bewegt und beim anderen ankommt, ist hier immens wichtig. Das Konzept der sog. „non-violant communication“, zu deutsch „gewaltfreie Kommunikation“ kann helfen Brücken zu bauen.
    Wer diese Kenntnisse und Erfahrungen dann mehr braucht, das Team oder der Chef ist eine manchmal schwierige und heikle Frage..
  • Zwischenmenschliches bzw. Empathie als Kompetenz ist ein wichtiger Baustein, um die Motivationslage und die Wahrnehmung von Aufgaben besser nachzuvollziehen. Diese Fähigkeiten sind Grundlagen, um Zeitverschwendung bei sich und anderen besser nachvollziehen und vermeiden zu können. 
  • An der Grenze zum Organisations- und Prozessdesign ist es wichtig, in allen Arbeitsbereichen die jeweiligen Beiträge zur Wertschöpfung sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Hier kannst Du versuchen, die Zusammenhänge für Dich und die anderen Mitarbeitenden transparenter zu machen. 

Der größte Teil: Systembedingte, organisationale Zeitverschwendung 

Der größte, vielfältigste und paradoxerweise am leichtesten zu überwindende Teil von Zeitverschwendung im Job resultiert aus systemischer, und tief in der Organisation, den Prozessen, Regeln und Abläufen, verankerter Zeitverschwendung. Paradox, weil sie einfach richtig viel Energie, weitere Ressourcen und Geld kostet und, würde man in die Lösung investieren, die Ergebnisse vieler Unternehmen deutlich verbessern könnte. Hier in das Gesamtdesign des Unternehmens einzusteigen, es zu verbessern und besser auf erwartbare Anforderungen einzustellen ist, was zeitgemäße Management Innovation ausmacht.    

Die Klassiker kennt jeder: Schlecht gestaltete Prozesse & Strukturen, gegeneinander agierende Organisationseinheiten, widersprüchliche Informationen und Aussagen, schlecht vorbereitete und moderierte Meetings, planlose Entscheidungswege, organisiertes Warten auf Godot, ohne Ziel, ohne Sinn, ohne Auflösung. Und natürlich bürokratische und bürokratisierte Abläufe, deren Sinn und Zweck schon lange keiner mehr so genau kennt. 

Aber es gibt noch viele weitere Themen: Schlecht zusammengestellte Teams, fehlende Absprachen und damit überlappende und doppelt erledigte Aufgaben. Aber auch die klassischen Managementsystemkonflikte gehören dazu. (Deren verheerende Auswirkungen hatte ich vor zwei Jahren in einer großen Studie untersucht und beschrieben. Hier kannst Du die Ergebnisse erhalten. )

Und dazu kommen dann noch sehr organisationsindividuelle Elemente, die von den Menschen, Grundsätzen, spezifischen Rahmenbedingungen und Annahmen abhängen. Ein wirklich weites Feld.  

Leitfragen könnten sein

  • Sind wir offen, das Thema überhaupt zu thematisieren?
  • Sind wir bereit, in die Auflösung der Probleme zu investieren, denn ganz ohne Aufwand verschwindet keines dieser Probleme?
  • Ist auch das Top-Entscheiderebene und der HR-Bereich bereit, die Themen anzugehen und grundlegende Annahmen, Paradigmen, Regeln, Strukturen und Prozesse zu reflektieren und ggf. zu verändern? Gerade HR kann hier für das gesamte Unternehmen seinen spezifischen Wert gezielt einbringen. 

Das kannst Du tun (Beispiele) 

  • Fang bei den Themen an, die Dich selbst am intensivsten betreffen, etwa
    • bei Meetings:
      • Wenn Du für das Meeting verantwortlich bist, erstelle immer eine Agenda und eine Teilnehmerliste, aus der hervorgeht, wann, wer welche Aufgabe und Rolle im Meeting hat
      • Bereite Entscheidungen so vor, dass die Hintergründe nicht mehr erläutert, sondern höchstens kritische Punkte noch diskutiert werden. Idealerweise ist der Entscheidungsprozess so gestaltet, dass es gar kein (großes) Treffen braucht und dennoch alles Wissen in die Entscheidungsfindung eingeflossen ist. 
      • Zeige die Kosten des Treffens auf und welche Konsequenzen Verzögerungen haben. 
      • Plane Pausen ein, damit die Köpfe wieder frei werden. Ermüdung kostet am Ende mehr Zeit als Erholung. Für mich hat sich eine 50+10 Struktur bewährt. 50 Min intensives Arbeiten, 10 Minuten Pause. 
      • Erstelle klare Regeln mit Konsequenzen bei z.B. Verspätungen, Verzögerungen, fehlenden oder falschen Teilnehmern, Monologen, etc.
      • Bleibe bei all dem dennoch locker und flexibel, damit auch wirklich alles gesagt und getan wird, was umgesetzt werden sollte. Die größte Verschwendung entsteht, wenn Dinge wiederholt werden müssen, ohne damit eine Verbesserung zu erzielen. 
    • bei Prozessen und Strukturen
      • Findet die Gruppe der am intensivsten Betroffenen und führt eine Retrospektive dazu durch, wie effizient und effektiv der Prozess / die Struktur in den Augen aller funktioniert und findet die Verbesserungen. 
      • Betrachtet den Wertschöpfungsbeitrag, den der Prozess und die Struktur bringt. Ist der Aufwand den Nutzen wert?
      • Ersetzt wage Annahmen zu Arbeitsqualität und zum Arbeitsumfang durch belastbares Wissen und Information.  
    • Bezüglich Tools und Ausstattungen sind die Nutzungszeiten technologiebedingt immer kürzer. Überlegt, wann ein Wechsel den meisten Nutzen bringt.
    • Manche Arbeitssituationen sind unnötigerweise laut und ablenkungsreich. Oft gibt es nur wenige Möglichkeiten, sich für konzentriertes Arbeiten zurückzuziehen. Versucht auszuloten, welche Alternativen es dazu gibt und thematisiert den Grad der Ablenkung und des damit immer wieder verlorenen Fokus.
      • Legt Zeiten fest, in denen Unterbrechungen tolerabel sind und andere, in denen ungestört gearbeitet werden soll. Das betrifft z.B. auch das Lesen und Beantworten von Nachrichten und e-mails, das spontane Auftauchen von Kolleg:innen am Schreibtisch oder Telefonate. 
      • Vereinbart im Kalender „Fokuszeit“-Termine mit Euch/Dir selbst. Sie helfen, den notwendigen Freiraum im Kalender zu schaffen, um möglichst ablenkungsfrei und konzentriert zu arbeiten. 
    • Überlegt, wie man „unvermeidliche“ Wartezeiten nutzen kann. Zum Beispiel durch Lesen von Fachbüchern oder -magazinen, anschauen von Lernvideos oder TED- bzw. Fachvorträgen oder einfach mal zur bewussten Erholung und einem Spaziergang oder einer Meditation. Macht klar, dass das in dieser Form nicht nur akzeptiert, sondern auch gewünscht ist!

Grundsätzlich sind die besten Mittel gegen systemische und (damit) tief in der Organisation verankerte  Zeitverschwendung ein hohes Maß an Bewusstsein für das Problem, die Möglichkeiten den eigenen Fokus zu finden, die Wahlfreiheit Dinge dann zu erledigen, wenn sie im eigenen Ablauf passen und dafür das maximale Vertrauen des Umfelds. Alles Dinge, die wir in unseren Screenings mit abfragen. 

Noch etwas sollte man bedenken. Es ist immer einfacher, Menschen durch neu definierte Regeln zur Veränderung zu bewegen, als durch einen Appell an ihre Veränderungsbereitschaft. Bietet die neue Regel, der neue Prozess oder die neue Struktur dann auch noch aus individueller Sicht Vorteile, etwa, weil sie Zeit und Aufwand spart, dann ist die Akzeptanz „plötzlich“ enorm hoch. Gerade der Aspekt des individuellen Vorteils sollte immer mitge- und -bedacht werden.  


Probleme, deren Ursachen in der Ausgestaltung des Systems, der Strukturen, Prozesse, Regeln etc. können auch NUR dort gelöst werden, also durch die Anpassung von Strukturen, Prozessen, Regeln, etc. Alles andere ist nur weitere Ressourcenverschwendung. Keine Sorge, wir Menschen sind systemintelligent genug, um damit umzugehen. Vorausgesetzt, die neuen Konzepte bieten auch ausreichend Vorteile für das Unternehmen, die Gruppe und AUCH jeden einzelnen. 

Ist das gegeben, ist der Rest „nur noch“ eine Lernaufgabe, bei der es darum geht, die Aufgaben richtig zu verstehen, um ihre Erledigung zu optimieren, manche Gewohnheiten kritisch zu hinterfragen, Ziele zu klären und den Grad der notwendigen Zielerreichung und Ergebnisqualität vorab zu klären. Wichtig ist immer wieder in Retrospektiven und Reviews strukturiert zu betrachten, welche Erfolge schon erzielt wurden und welche Probleme noch bestehen.

Systemische Zeitver(sch)wendung fällt beim Screening von Unternehmen immer wieder in großem Maße auf. Hilfreiche, teilweise auch kleine „do-it-yourself“ geeignete Tools für die Anwendung durch HR oder die Geschäftsführer dazu finden sich im Kontext des „Bureaucratic Mass Index“, der „Organisationalen Energie“, in meiner aktuellen Studie, dem workLIFE Barometer 2023 (#wlb2023) und auch die Resultate unserer Management Twins zeigen konkret und mit geringem Aufwand auf, wie und wo Handlungsbedarf besteht. 

In der Management-Innovationsberatung ist es ohnehin Alltag. Schick mir einfach eine mail und wir sprechen darüber, was am besten zu Deiner Situation und Deinem Unternehmen passt.

So – und nun hoffe ich vor allem, dass Du diesen Beitrag nicht als Zeitverschwendungen ansiehst – auch wenn er wieder mal lang geworden ist. Ich hoffe, er war dennoch Deine Zeit wert.

In diesem Zusammenhang: Hast Du 10 Minuten Zeit für mich?

Meine aktuelle Studie betrachtet das große Thema #workLIFE. Die Kernfrage ist, wie jetzt und in Zukunft Arbeits- und Privatleben so zusammenpassen, dass daraus mehr als nur arbeiten und LEBEN wird. 

Welche 42 Fragen ich Dir dazu stelle, liest Du am besten gleich hier: http://wlb2023.guidobosbach.com