Zugegeben, ich bin ein alter, klassischer, digital Nerd. Mein digitales Leben begann Mitte der 1980’er fast zeitgleich mit einem Brotkasten (C64) und einem Casio fx-7000GA (einem programmierbaren Taschenrechner mit Grafikplot-Funktion) gefolgt von einem ersten IBM PC mit 40 MB Festplatte und 286 Prozessor. Ums kurz zu halten, am Ende landete ich im internationalen Mobilfunkbereich eines der weltweit größten Telekommunikationsanbieters, um dort ganz aktiv daran mitzuarbeiten, das Internet aufs (damals noch) Handy zu bringen.
Doch bei all dieser Digitalverliebtheit schlägt mein Herz noch deutlich intensiver dafür, Zusammenarbeit besser zu gestalten, d.h. in Unternehmen den Mensch mit all seinen Potenzialen, Talenten und auch Emotionen stärker in den Fokus von Management zu rücken. Denn, soviel ist sogar wissenschaftlich erwiesen: eine bessere Führung, bewussteres Leadership, leistungsfähigere Entscheidungsprozesse, störungsbefreite Abläufe, kurz ein verbessertes Managementdesign, bringt mehr Erfolg – auch wirtschaftlich!
Dennoch fokussieren viele Unternehmen bei den anstehenden großen Transformationen vornehmlich auf Technologie und sehen (erst) anschließend die Notwendigkeit auch andere Themen nachzuziehen. Damit drängt sich mir eine unbequeme Wahrheit auf. Eine Wahrheit, die gerne verdrängt wird, weil sie an wortwörtlich entscheidender Stelle möglicherweise das Gefühl größerer Unsicherheit erzeugen könnte. Aber dazu später.
Komplexe Wolkenbilder statt komplizierter Cloud
Wenn man die aktuell vollzogenen Transformationsketten betrachtet, steht die Digitalisierung als kompliziertes und verhältnismäßig „einfach“ zu planende und steuerbare Implementierung von Technologie meist ganz oben auf der Liste. Erst danach, wenn die technologischen Voraussetzungen geschaffen sind, tauchen im Schlepptau Themen wie Agilität (als Haltung) und “new work” (als eine neue “Logik” der Zusammenarbeit) auf. Da es bei diesen Themen jedoch um menschliches Verhalten und Haltungen geht, sind sie komplex und die Umsetzung letztendlich weder plan- noch steuerbar.
Der konkrete Ausgang dieser Entwicklungen ist damit (zwar) vielleicht in Wolkenbildern zu finden, steht aber nicht in der Cloud.
Zugleich wird der große Nachholbedarf im Kontext digitaler Arbeit im Vergleich zu anderen führenden Wirtschaftsnationen trotz der guten Wirtschaftszahlen immer deutlicher. So deutlich, dass Digitalisierung inzwischen sogar in der Politik angekommen ist.
Die Digitale Transformation ist in vielen Unternehmen ein zum Erfolg verdammtes Projekt. Ebenso kann es sich kein Unternehmen leisten, bei der Implementierung agilerer Zusammenarbeit oder der Umsetzung von new work Ansätzen oder Kulturentwicklungen zu patzen. Alte Blue Chips und Leuchttürme wie die Deutsche Bank und VW sind zu den klassischen Negativbeispielen geworden.
Ein großes und wenig bewusstes Problem ist dabei, dass die digitale Transformation von Unternehmen, die Umsetzung digitaler Geschäfts-, Interaktions- und Kommunikationsmodelle, sich vornehmlich auf das „Was“, d.h. den Aufbau einer technologischen Plattform fokussiert und die Frage nach dem „Wie“, d.h. die Neugestaltung der Zusammenarbeit mitsamt eines oftmals notwendigen Umdenkens von Haltungen und Verhalten, mithin der Kultur, bestenfalls in einem nachgelagerten schritt aktiv angegangen wird – falls überhaupt.
Die Frage ist, ob sich Unternehmen damit wirklich einen Gefallen tun. Ich halte es für einen sehr teuren Fehler.
Culture and mindset first?
Fatal ist, dass oftmals auch den Top-Entscheidern nicht klar ist, welchen Tranformationszyklus man alternativ wählen könnte. Zu präsent und prägnant sind die Probleme, zu laut der Wirbel um dieses “digitale Zeugs“, zu wenig Zeit bleibt die Dinge in Ruhe zu durchdenken.
An welchen Stellen, in welchen Bereichen, mit dem so angestoßenen Wandel Arbeitsstrukturen verändert werden und werden müssen, wird oft erst zu spät bedacht – insbesondere, wenn es die eigenen Strukturen, Prozesse oder gar die eigene Haltung betrifft.
Die Digitalisierung zusammen mit ihren veränderten Kommunikationsmustern, einer anderen Gestaltung von Arbeitsräumen und z.B. agileren Entscheidungsprozessen greift, wie keine andere Entwicklung der letzten 50 Jahre, in die Arbeitsweise und das Selbstverständnis von Management ein!
Zugleich herrscht noch immer großes Vertrauen in die Unveränderlichkeit von „Management“, in die vermeintliche Tatsache, dass sich Managementgewohnheiten und -ansätze in ihrer Gestalt nicht verändert, nicht verändern muss. Eine Mär, die daraus gespeist wird, dass Management sich seit Menschengedenken tatsächlich kaum verändert hat.
Dabei zeigen alle Erfahrungen mit der Weiterentwicklung von Kultur- und Haltungsthemen, dass diese
a) vor den Managementbüros nicht halt machen und dass
b) gerade hier oftmals die Probleme bzgl. einer umfassenden Implementierung des “Change” entstehen.
Die kultur- und haltungsprägende Performance des Management-Top-Teams und die Folgen für das Unternehmen sind zu oft ein blinder Fleck.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu, den wir als Nebeneffekt im Kontext unserer gerade abgeschlossenen Studie zu “Agilem Management” (wieder einmal) bestätigt bekommen haben. Gerade unter Top-Managern, nahezu unabhängig von der Unternehmensgröße und Branche, gibt es einen ausgeprägten Confirmation Bias: Top-Manager und Entscheider sehen ihren eigenen Betrag als wesentlicher, und die Zukunft der Organisation sowie ihren eigenen Einfluss darauf um ca. 10 – 15% positiver an, als die übrigen alle Mitstreiter im Unternehmen.
Die Jobdescription von Top-Managern und Entscheidern
Gary Hamel fasst die Aufgabe von Management in 4 wesentlichen Komponenten zusammen. Nach ihm hat Management die Aufgabe
- Menschen zu ermöglichen ihren höchstmöglichen Wertbeitrag, als Individuen und/oder als Team für ein gemeinsames Ziel einzubringen.
- aus Sicht der Kunden maximalen (Mehr)Wert zu schaffen.
- das Unternehmen durch neue Produkte und Dienstleistungen zukunftsfähig zu erhalten.
- die ersten drei Punkte als organisationale Fähigkeiten zu verankern.
Ich definiere Management (in den Worten aber nicht unbedingt in der Ausgestaltung etwas einfacher) als: “Die Kunst wirksame Zusammenarbeit für maximalem Kundennutzen zu orchestrieren.“
Egal, wie man Management (als Rolle und Institution) im Detail charakterisiert, die äußeren Entwicklungen der letzten 30 Jahre erfordern ein (zukünftig wohl permanentes) Über- und Umdenken des Selbstverständnisses und der bestehenden Strukturen.
Die aktuell noch vielfach gelebten veralteten Managementmodelle führen zu einer immer geringeren Nutzung der vorhandenen Potenziale, seien dies Produktionsmittel oder (und hier gilt dies besonders) die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter.
Change in der VUCA-Welt beginnt beim Warum
Diese Kopplung ist aus meiner Sicht einer der wesentlichsten Faktoren, warum so viele Transformationsprojekte scheitern. Nach einer Studie aus 2016 schaffen knapp 80% aller Veränderungsprojekte nicht mal 75% der zuvor ausgelobten Ziele. Vielleicht ist dies aber aus “nur” eine Folge unseres Verständnisses von Change Management, das an vielen Stellen noch einer 30 Jahre alten Logik folgt, nach der Change in einen “nur” komplizierten, planbaren Ablauf gefasst werden kann. Heute in einer komplex, dynamischen VUCA Welt (VUCA = Volatile (Volatil), Uncertain (Unsicher), Complex (Komplex), Ambigous (Mehrdeutig)) führt diese übermäßig vereinfachende Logik zu einer extrem niedrigen Erfolgsquote, denn komplexe Aufgabenstellungen erfordern, ganz im Sinne von Ashby’s Law, eine andere Herangehensweise.
Die unbequeme Wahrheit: Transformation im Kern beginnen
Die unbequeme Wahrheit ist, dass wir Transformation – so einfach kompliziert, statt komplex sich dieser Weg darstellt – in der falschen Reihenfolge angehen.
Wer mit der Digitalisierung startet, baut im Laufe der Transformation zwangsläufig immer größeren Veränderungsdruck auf Haltungen und Kultur auf. Wer so vorgeht, bringt die Organisation und das Managementteam, die Entscheider, immer mehr in die Zwangslage Maßnahmen zu ergreifen, die diesen Druck lindern. Er bringt damit in hohem Maß kurzfristige Unruhe in die Organisation, statt ihr langfristig erfolgversprechendere Entwicklungswege aufzuzeigen.
Start with Why
Warum starten wir nicht häufiger mit dem Warum?!
Simon Sinek befasst sich schon lange damit, dass Motivation von innen heraus, zum Beispiel auch mit einem geeigneten Ansatz von Leadership besser funktioniert. Eines seiner Arbeitsergebnisse ist die Struktur des Golden Circle, die das “Warum” einer Aktivität ins Zentrum stellt und daraus das “Wie” und “Was” ableitet.
Was also, wenn man die Bearbeitung der großen Transformationsthemen in dieser Reihenfolge mit dem “Warum”, statt dem “Was” beginnt?
Das „Warum“ ist ohnehin tief im Kern jeder Organisation verankert. Das Management (als Rolle und Institution) ist das natürliche Kommunikationsmedium für dieses „Warum“. Seine Aufgabe ist es die gemeinsame Zielsetzung, die Strukturen und Abläufe, um dieses Warum herum und zum Wohle eines optimalen Kundennutzens zu gestalten. Aufgabe ist auch, Dialoge zu diesen Themen anzustoßen und zu moderieren, s.d. die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen werden, möglichst frei (agil) und zugleich im Sinne einen emergenten Wertbeitrag für das Unternehmen zu agieren. Das dazu die am besten passenden technologischen Hilfsmittel benötigt werden, ist dann nur noch die logische Konsequenz und deutlich leichter umsetzbar.
Dazu ein weiteres (Vorab)Ergebnis unserer Betrachtung von über 200 Unternehmen: Diejenigen Unternehmen und Managementteams, die die Fragen einer optimalen Zusammenarbeit für sich geklärt haben und die ihren Fokus auf Themen wie Sinngestaltung, Risiko- und Wertbeitragsdialog legen, sind deutlich erfolgreicher.
Vom Controller zum Gestalter
Notwendig ist dazu, die eigene Haltung und das Zusammenwirken von Management mit der Organisation zu analysieren und zu (selbst)reflektieren. Ein bewusstes Managementdesign, in der Gestaltung von Managementverständnis, -haltung, -intention und -leadership setzt zwar ebenso wie alle anderen Transformationsprozesse, auf der Bereitschaft der Betroffenen auf, diesen Wandel zu gehen. Der Kreis dieser im ersten Schritt Betroffenen ist aber, da er nur die Top-Führungskräfte umfasst, ungleich kleiner, als bei allen anderen Initiativen, und zudem sind diese Betroffenen tatsächlich immer auch an (buchstäblich) entscheidender Stelle eingebunden.
Eine Neospektive, eine Neubetrachtung des Managementdesigns setzt bei der Reflexion der eigenen Wirkung der Top-Manager und Entscheider an. Sie gibt Gelegenheit und Raum dies für sich selbst und miteinander zu klären, bevor es weitere Kreise zieht und die Organisation (be)trifft. Es ist ein Ansatz, der die Chancen von Wandel zunächst im entscheidenden kleinen Kreis erprobt, bevor er sich nach außen wendet. Es ist der Ansatz, der diejenigen zu zentralen Akteuren und Gestaltern ihrer eigenen Zukunft macht, die sonst oft nur steuernd und kontrollierend Change begleiten.
Mensch im Fokus
Die nachweislich erfolgversprechendste Form von Management (in Rolle, Haltung und als Institution) ist dabei eine die sich im Kontext Leadership als “Ermöglicher” und “Unterstützer” der Mitarbeiter versteht. Als ein weiteres Teilergebnis der gerade angeschossenen Studie zu Agilem Management zeigt, dass in denjenigen Unternehmen, in denen Management mit einem klaren Fokus auf die Menschen (in ihren unterschiedlichen Rollen als Kunden, Mitarbeiter und Geschäftspartner) agieren, ein höheres Maß an gegenseitigem Vertrauen, eine klarere Zielrichtung (Purpose) und eine deutlich höhere Leistungsbereitschaft und Leitungsfähigkeit herrscht. Solche Unternehmen sind deutlich erfolgreicher als Wettbewerber, die auf Steuerung und Kontrolle fokussieren.
Falls dies nun so klingt, als müsse es zwangsläufig vor Beginn der großen Transformationen abgeschlossen sein, so kann ich beruhigen. Natürlich hat es große Vorteile, sich frühzeitig in dieser Richtung selbst zu betrachten oder spiegeln zu lassen. Es funktioniert aber durchaus auch für Unternehmen und Managementteams, die die großen Transformationen schon begonnen haben. Es gibt diese Option, weil der Druck sich zwar sukzessive im Laufe der Projekte erhöht, aber eben auch erst am Ende massiv wird. Da bleibt oft genug Gelegenheit sich vorab geeignet zu positionieren.
Mein Rat für Managementteams ist (damit) klar: Begeben Sie sich in die Analyse, Fremd- und Selbstreflexion. Starten Sie den Wandel (auch) bei sich. Geben Sie Beispiel und seien Sie ein Leader, dem Ihre Mitarbeiter gerne folgen, weil sie die Bedeutung des gemeinsamen Tuns erkennen und sich darin wiederfinden. Das alles in kein Hexenwerk, sondern genauso erlernbar, wie BWL und Marketing.
Dass auch Beratungsgrößen wie McKinsey das Thema einer intakten „Corporate Health“ angenommen auf der Agenda haben zeigt, dass ich mit der Wahrnehmung der Bedeutung nicht allein stehe. Zudem gibt es zwar wenige, aber eine wachsende Zahl von Kollegen, die sich wie ich, mit dem Thema fokussiert und kompetent auseinandersetzen und Unterstützung bieten.
Mein Rat für alle anderen Mitarbeiter und Führungskräften in den Unternehmen, die die großen Transformationen angehen oder angegangen sind: Machen Sie sich und ihren Kollegen die Seiteneffekte und Auswirkungen auf Kultur, Haltung und die Zusammenarbeit im Unternehmen möglichst frühzeitig bewusst. Gehen Sie in den Dialog mit Kollegen und Führungskräften und wecken Sie, wenn möglich, ihr Management, bevor es unsanft geweckt wird. Denn ein unsanft gewecktes Management neigt manchmal zu zu schnellen Entscheidungen – und dabei verlieren oft zu viele. So aber können Sie fast nur gewinnen.
Für mich selbst kann ich sagen: Es ist ungeheuer spannend gerade heute aus der Perspektive meiner Kernthemen die Entwicklungen der Welt und der Unternehmen zu betrachten und zu begleiten. Es ergeben sich immer wieder spannende neue Aspekte und Herausforderungen. Und manchmal eben auch sehr lehrreiche Einsichten. Auch, wenn sie zunächst unbequem erscheinen.