Was ein wenig nach einer rhetorischen Aufgabenstellung und Entscheidung klingt, hat einen sehr ernsten Hintergrund. Denn sowohl Mittelmaß (und damit allzu oft auch mittelmäßiger Erfolg), als auch optimale Zusammenarbeit haben ihre Licht- und Schattenseiten.
Ein Blick in mehr Tiefe
Mit Erfolg verbinden wir aus Unternehmenssicht in erster Linie wirtschaftlichen Profit. Er ist und war das Lebenselixier. Kein Unternehmen kann sich lange im Markt halten, ohne ausreichend Gewinn zu erwirtschaften und einigen Unternehmen ist das Thema so wichtig, dass sie es zu einem Teil ihrer Vision erkoren haben. Um diesen Erfolg zu generieren, ist die Mehrzahl der Unternehmen lange den klassischen Ansätzen gefolgt, hat Abläufe und Strukturen in ihrer singulären Leistungsfähigkeit optimiert, hat versucht die losen Enden dann wieder strukturiert zusammenzubringen, um am Ende als kybernetisch kontrollier- und steuerbare Maschine zu funktionieren. Die Unternehmensmaschine als non-plus-ultra, an der ich vorne am Hebel ziehe und dann am Ende das passende Produkt herauskommt. Mechanistisch, linear und zugleich kompliziert, aber immerhin damit, wie gesagt steuerbar.
Der Preis den Unternehmen dafür bezahlen, ist Mittelmaß. Normierte, standardisierte Prozesse, feste Strukturen und klare Entscheidungsmuster erlauben planbaren Erfolg. Alles andere ist in diesem Kontext unkontrolliertes und unkontrollierbares Chaos. Jeder Ausbruch daraus ist Anarchie pur. Querdenken? Vergesst es!
Und so kennt ihr vielleicht diese Liste oder zumindest einige Punkte daraus, aus eigenem Erleben:
„1. Bestehen Sie darauf, alles über die formalen Strukturen zu tun. Erlauben Sie niemals Abkürzungen, um Entscheidungen zu beschleunigen.
2. Sprechen Sie so oft wie möglich und so ausführlich wie möglich über ihre Themen. Veranschaulichen Sie Ihre Punkte durch lange Anekdoten und Berichte über persönliche Erfahrungen.
3. Wenn möglich, verweisen Sie alle Angelegenheiten zur weiteren Untersuchung an die entsprechenden Ausschüsse. Versuchen Sie, die Ausschüsse so groß wie möglich zu machen. Sie sollten nie weniger als fünf Mitgliedern haben.
4. Bringen Sie so oft wie möglich irrelevante Themen zur Sprache.
5. Feilschen Sie über die genauen Formulierungen von Mitteilungen, Protokollen oder Bestimmungen.
6. Greifen Sie auf Angelegenheiten zurück, die in der letzten Sitzung beschlossen wurden und hinterfragen Sie deren Zweckmäßigkeit und Zielgerichtetheit.
7. Befürworten Sie größtmögliche Vorsicht. Seien Sie vernünftig und vermeiden Sie Eile, die dazu führen könnte Peinlichkeiten oder Missverständnissen auszulösen.
8. Machen Sie sich Sorgen um die formale Richtigkeit einer Entscheidung – werfen Sie die Frage auf, ob die in Betracht gezogenen Maßnahmen von der Gruppe überhaupt beschlossen werden dürfen oder ob sie im Widerspruch zur Politik einer höheren Hierarchiestufe stehen.
9. Machen Sie bei der Schulung neuer Mitarbeiter unvollständige oder irreführende Angaben.
10. Halten Sie Konferenzen ab, wenn es andere kritische Arbeit zu erledigen gibt.
11. Führen Sie mehrfache Genehmigungsstufen und -verfahren für einfache Dinge wie
Anweisungen, Gehälter und so weiter ein. Achten Sie darauf, dass mindestens drei Personen alles genehmigen müssen.
12. Wenden Sie alle Vorschriften bis zum letzten Buchstaben an.“
Was nach der Liste schlechter Gewohnheiten aus einem Reflexionsworkshop in einem arg gebeutelten mittelständischen Unternehmen oder Konzern aussieht und klingt, wie Peter Kruses 8 Regeln für totalen Stillstand anhört, ist ein Auszug aus dem „Simple Sabotage Field Manual“ des US Office for Strategic Services, dem Vorläufers des CIA, aus dem Jahr 1944. Richtig gelesen: Das sind 65 Jahre alte Anweisungen, um ein Unternehmen von innen heraus zu sabotieren. (Den vollständigen Text findet ihr hier: Der Teil zu Organisationen, Management und Mitarbeitern startet auf Seite 28. (https://www.cia.gov/news-information/featured-story-archive/2012-featured-story-archive/CleanedUOSSSimpleSabotage_sm.pdf) (Dazu mein Dank an Aaron Dignan, der mich in seinem neuen Buch „Brave New Work“ darauf gestoßen hat.)
Wobei: In den Anfangszeiten der Industrialisierung hatte eine Vielzahl solcher und ähnlicher Maßnahmen seine absolute Berechtigung! Schließlich mussten schlecht ausgebildete Menschen, die es nicht gewohnt waren nach tayloristischen Prinzipien in Produktionsketten „hintereinander“ zu arbeiten, angeleitet und überwacht werden. Die Vorteile, die die Optimierung solcher einfacher Arbeitsabläufe gegenüber der zuvor verbreiteten, vollkommen unstrukturierten Zusammenarbeit bot, waren für unserer Vorfahren der Anlass bürokratische Gewohnheiten in Unternehmen einzuführen. Das Ziel war sicherzustellen, dass die Dinge „richtig“, d.h. nach Plan funktionieren und es keine Abweichungen von der Norm und dem Standard gab.
Heute rettet nur das „außerplanmäßige“ Engagement einiger Mitarbeiter, die Schattenorganisation und kleine Dienstwege nutzen, um ihre Themen umzusetzen, diejenigen Unternehmen, in denen solche Gewohnheiten (in Teilen) noch alltäglich sind, vor der Kosten- und Ineffizienzfalle.
Der Hintergrund, der eine „Simple Sabotage“ in dieser Art erst ermöglichte, war das aufkommen und die wachsende Bedeutung von Wissensarbeit. Wissensarbeit benötigte schon damals andere Rahmenbedingungen als Industriearbeit am Band oder der Maschine. Es war die erste Boomzeit technologischer Entwicklung, in der die intensive und kreative Nutzung von Wissen und Information erfolgsrelevant wurde. Ab dem Moment, in dem kognitive Fähigkeiten und Flexibilität einen höheren Stellenwert als Körperkraft erhielt, hätten die damaligen Manager und Vordenker die alten Maßgaben überdenken müssen. Das allerdings taten sie nicht. Warum auch! Noch waren die Märkte ausreichend regional, steuerbar und „nur kompliziert“, s.d. vieles so weitergehen konnte wie bisher.
Gefangene alter Rahmenbedingungen
Wo versucht wird Wissensarbeit in seiner Ausgestaltung zu normieren, entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eingeschränktes und damit mittelmäßiges, halbherziges Engagement. Kreative, kluge, reflektierte Köpfe passen nicht in Normen. Sie brauchen Freiraum, um die Ideen vom Samenkorn zum (zarten) Pflänzchen werden zu lassen, dem man ansehen kann, wozu es (vielleicht) fähig ist. Der Keim eines Mammutbaums sieht dem einer Latschenkiefer auch (noch) recht ähnlich. Beide brauchen Freiraum, um ihr Potenzial zu entwickeln. Werden sie nach dem gleichen Schema entwickelt, werden aber ggf. beide eingehen.
Das sollte man sich immer wieder klar machen, wenn man über Prozesse und Vorgaben stolpert, die die Arbeit im Unternehmen erschweren, behindern oder bei denen nicht transparent wird welche Ressourcen sie binden und welche Kosten sie verursachen.
Ein paar kleine Impulse: Wenn ihr „ganz oben“ im Unternehmen arbeitet, dann stellt doch zu jedem Report, den ihr erhaltet die Fragen, wie viel Arbeitsaufwand darin steckt – wie viel Arbeitszeit und damit Geld – und welchen Wert er für das Unternehmen, für Entscheidungsfindung und Transparenz er tatsächlich besitzt.
Ein anderer Punkt, an dem ihr festmachen könnt, dass die Dinge nicht optimal laufen sind Kalender oder e-mail Postfächer, die mit Terminen und Nachrichten voll sind, die keinen direkten Mehrwert für eure Arbeit bedeuten. Ist das wirklich zielführend und effektiv?
Noch eine Frage ist etwa, wie häufig „kurzfristig“ über ungeplante Dinge und Budgets entschieden werden muss. Wie viele Ausnahmen sind bei euch die Regel?
Wie sieht es mit Reisekostenrichtlinien und den zugehörigen -abrechnungen aus? Passt das zu eurer tatsächlichen Anforderungen oder verkompliziert es die Suche, Buchung, Abrechnung? Wenn es mehr Zeit und Nerven kostet, als absolut notwendig, welchen Sinn hat es dann?
Wenn ihr den Blick etwas schärft und eure Aufmerksamkeit auf solche Stolpersteine richtet, findet ihr sicherlich eine Menge davon. Und, um das nochmal klarzustellen: Sie SCHADEN jeder für sich und vor allem in der Summe dem Erfolg des Unternehmens erheblich!
Doch, was kann heute alles „Erfolg“ sein? Erfolg ist vielfältig geworden. Manchen geht es um kurzfristigen, shareholdergetriebenen wirtschaftlicher Erfolg. Manchen um nachhaltigen Erfolg, im Sinne starker Nachhaltigkeit, also sozial, ökologisch UND ökonomisch. Manchen, um langfristig, gesellschaftlich relevanten Erfolg. Und es gibt noch viele andere Erfolge.
Was sicher ist: um überhaupt irgendeine Art von Erfolg zu haben, müssen Unternehmen heute deutlich besser komplexe, volatile, mehrdeutige und unsichere Umfelder aushalten wie früher. „VUCA-Resilienz“ ist angesagt. Sie müssen mit den Dynamiken der Märkte und Ressourcenverfügbarkeit umgehen können. Sie müssen den Kompetenzen der Wissenträger Raum geben, attraktiv für neue Talente sein und damit neuen Kulturen die Türen öffnen.
Damit das gelingt, muss das Management, die Rahmengeber für (optimale) Zusammenarbeit, diese Rahmenbedingungen, oftmals von der Pike auf, reflektieren und häufig auch neu definieren.
Ähnlich wie dem Umstieg von fossilen Energieträgern zu erneuerbaren, bedeutet dies eine Investition von Zeit, Ideen und, nicht zuletzt, Geld. Und es ist keine Frage: Diesen Weg neben dem Tagesgeschäft und Transformationen wie der Digitalisierung zu gehen ist eine echte, große Herausforderung. Er ist jedoch vor dem Hintergrund des technologischen Fortschritts und des damit verbundenen Klimawandels in der Gesellschaft (und der Umwelt) unumgänglich und sowohl (im Wortsinn) fundamentaler als jede andere Transformation als auch extrem lohnend!
Mehr noch: Auf optimale Zusammenarbeit ausgerichtete (neue) Rahmenbedingungen erleichtern auch die übrigen Transformationen. Sie bieten die Leitplanken und Richtung, die die großen Entscheidungen vereinfachen.
Wenn ich hier schreibe „von der Pike“ auf, dann macht das die Dimension deutlich. In vielen Unternehmen bedeutet die Reflexion der bestehenden Rahmenbedingungen, in viele altgewohnte und lange unveränderte Bereiche hineinzublicken. Hier ein Teaser der Themenliste: Vision, Strategie, Innovation, Wissensaggregation und Informationsfluß, Inzentiverung, der Aufbau von Verbundenheit und Vertrauen, die Reflexion der Zielsetzung und Zielgerichtetheit von Strukturen, Prozessen & Entscheidungsfindungsprozessen, die Allokation von Ressourcen, Risikomanagement, Recruiting, etc.
Dabei geht es darum zu klären, wie all diese Themenbereiche gestaltet sind, wenn sie TATSÄCHLICH optimale Zusammenarbeit unterstützen. Wobei dies ein Weg ist, der, mit wachsender Geschwindigkeit, Schritt für Schritt gegangen sein will.
Am Ende ist es eigentlich nur eine Leitfrage, die ihr euch immer wieder stellen könnt: Was hält uns in unserem Unternehmen davon ab, optimal (zusammen) zu arbeiten?
Eine Frage, die schon etwas tiefer geht ist: Wie können wir vielen viel bieten, ohne zu verbieten?
Die Gefahr ist, dass ihr, wenn ihr beginnt die Fragen zu diskutieren, auf Nebenschauplätze gezogen werdet. Was da an Antworten auf uns zukommt, ist unvorstellbar, unbekannt und macht in der Macht seiner Konsequenzen Angst. Daher beschränken sich viele gerne auf den Streit über die möglichen Ursachen, statt diesen solange zu vertagen, bis Klarheit darüber gewonnen wurde, wie wir mit den absehbaren Konsequenzen umgehen und weitere vermeiden können. Den Schuldigen zu suchen hat bei uns noch immer einen hohen Stellenwert!
Wie wäre es, wenn wir uns häufiger so verhalten, wie nach einem Unfall? Dabei steht die Rettung verletzter Personen und die Schadensminimierung im Vordergrund und niemand wartet auf den Ausgang des Gerichtsverfahrens zur Klärung der Schuldfrage, bevor der Rettungswagen geholt wird.
Auch Unternehmen lassen sich besser auf einen neuen Weg bringen, wenn sie sich, statt an der Vergangenheit festzuhalten, auf ihre Zukunft konzentrieren.
Und, um auf meine „Wette“ vom Anfang zurückzukommen: Für mich steht außer Frage, dass die Gestaltung der Rahmenbedingungen für optimale Zusammenarbeit einer der wichtigsten Aufgaben und Erfolgsgaranten der Zukunft ist, wenn nicht der wichtigste! Also, geht in den nächsten Tagen immer wieder mit offenen Augen durch das Unternehmen und fragt euch: Was hält uns davon ab, optimal zusammen zu arbeiten? Ich bin sicher ihr werdet über eure Erkenntnisse erstaunt sein!