10 Mythen und 11 Fakten zu Agilität in Organisationen

McKinsey ist eine der großen Beratungen, die sich inzwischen auch auf die „neuen“, großen und damit auch hier attraktiven Transformationsthemen stürzen. Ein Unterfangen, das ich ehrlich gesagt kritisch beäuge, da die Themen, Agilität, genauso wie new work und auch einige Innovationsansätze, nicht nur (leicht) erlernbare Methodenkompetenz verlangen, sondern auch eine tief verankerte Haltung und Verhalten, die es gilt schon im eigenen im Tagesgeschäft vorzuleben. Dass „die großen“ hier in kurzer Zeit ihre oft klassisch ausgebildeten Mitarbeiter, ihr Angebot und vor allem ihre innere Struktur anpassen können, nunja…. Immerhin braucht ein agiler Transformationsprozess, auch nach deren eigener Aussage, mehrere Jahre.
Noch kritischer bin ich allerdings geworden, nachdem ich, wenn auch nur kurz in die Entwicklung eingebunden, miterleben musste, wie zwar die Projektbudgets fast vollständig abgegriffen, das „agile Projekt“ aber nach klassischen Methoden, allerdings, vorsichtig ausgedrückt, mit mehr negativem, als positivem Einfluss auf die Organisation „umgesetzt“ wurde.
Dass dann im Anschluss nach kleinen, haltungsstarken Beratungen wie meiner gerufen wird, freut mich zwar einerseits, andererseits bedeutet dies auch, dass die Aufarbeitung von viel unnötigerweise (!) verbranntem Boden mit minimal verbleibendem Budget erfolgen soll. Eine lose-lose Situation für alle Hinterbliebenen.
Aber ich habe hier nicht geschrieben, um zu klagen, sondern um (wieder einmal mehr) aufzurütteln und Unternehmen diesen Aderlass zu ersparen.

10 Mythen über Agilität in Unternehmen

Bei aller Kritik am Vorgehen und der Umsetzung hat McKinsey es in den letzten Monaten geschafft Kommunikationskompetenz in diesem Themenbereich aufzubauen. Den Podcast habe ich in meinem Newsletter bereits empfohlen, einen Text möchte ich hier einbringen.
In „10 common myth about enterprise agility“ beschreiben Wouter Aghina, Christopher Handscomb, Krish Krishnakanthan und Shail Thaker 10 klassische Fehlinterpretationen zu Agilität in Organisationen. Sie schreiben in der Einleitung „Bei der Agilität von Unternehmen geht es um die unterschiedlichen Qualitäten, die es Unternehmen ermöglichen, schnell auf Veränderungen in internen und externen Umgebungen zu reagieren, ohne an Dynamik oder Visionen zu verlieren.
Es ist eine neue Art zu arbeiten und eine neue Denkweise, aber es bedeutet nicht, dass es keine Pläne, keine Governance und keine Dokumentation gibt. Missverständnisse über die Agilität von Unternehmen können im gesamten Unternehmen verbreitet sein und Barrieren für die schnelle Reaktion auf störende globale Marktbedingungen schaffen, die Agilität bietet.
Die 10 von Ihnen beschriebenen Mythen sind (wobei ich, die durch deepl.com unterstütze Übersetzung hier teilweise ergänzt, aber auch gekürzt habe):

  1. Mythos: Agilität ist ein Hype. | Realität: Agilität ist ein bewährtes Konzept. Seine Fähigkeit, Werte zu erschließen, wurde in verschiedenen Branchen unter Druck getestet.
  2. Mythos: Agilität ist etwas nur für die IT oder Produktentwicklung. | Realität: Agile Transformation sollte mit einer unternehmensweiten Perspektive beginnen. Der Wert agiler Modelle wird in einigen Bereichen der Organisation größer sein als in anderen. Überlegen Sie genau, welche Teile am meisten profitieren werden, denn es erfordert erheblichen Aufwand, ein agiles Modell aufzubauen und anzuwenden.
  3. Mythos: Agilität passt für alle, überall. | Realität: Es sollte nicht blind angewendet werden. Unternehmen und Teams sollten die zu behebenden Probleme identifizieren und analysieren und dann beurteilen, ob Agilität die richtige Antwort ist.
  4. Mythos: Agilität sieht überall in der gesamten Organisation gleich aus. | Realität: Verschiedene Teile der Organisation profitieren in unterschiedlicher Weise von Agilität. Die Ermittlung der Wertströme und wie jeder von der Agilität profitieren kann – ist ein wertvoller Schritt in jeder Transformation.
  5. Mythos: Agilität ist einfach nur skaliertes Scrum. | Realität: Agilität ist nicht dasselbe wie Scrum, das nur eines der dynamischen agilen Modelle ist, welches die Zusammenarbeit im Team und die flexible Neubewertung von Plänen betont.
  6. Mythos: Die Skalierung von Agilität erfolgt durch das Hinzufügen von agileren Teams und den Start von Piloten und Experimenten. | Realität: Die Skalierbarkeit erfordert mehr als nur zusätzliche Pilotprojekte. Unternehmen müssen zusätzlich ihre Kernprozesse reflektieren und neu vernetzen, neue Fähigkeiten und Führungsstile entwickeln und ein stabiles Rückgrat für die Unterstützung dynamischer Praktiken aufbauen.
  7. Mythos: Agilität ist chaotisch – sie opfert Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit für eine dynamischere Organisation. | Realität: Organisationsweite Agilität verbindet Stabilität und Dynamik. Die dynamischen Praktiken der Agilität können nur skaliert werden, wenn sie von einem stabilen Rückgrat unterstützt werden, das Chaos in einer sich ständig verändernden Organisation verhindert.
  8. Mythos: Agilität ist vor allem eine Frage der Produktivität. | Realität: Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit sind die wichtigsten Vorteile. Während höhere Geschwindigkeit, Flexibilität und ein besseres Engagement der Mitarbeiter in der Regel den Output steigern, ist der wahre Wert der Agilität die Schaffung einer Position der Stärke und nicht die Behebung von Produktivitätsproblemen. Agilität hilft zusätzlich dabei Talente anzuziehen und die Resilienz und Stärke der Organisation zu verbessern.
  9. Mythos: Eine “Big Bang”-Transformation, die alles auf einmal verändert, ist riskant. | Realität: Die Risiken und Vorzüge von “Big Bang” und schrittweiser Vorgehensweise hängen von der Situation ab. Einige Situationen, wie z.B. regulierte oder komplexe Umgebungen, erfordern einen iterativen Änderungsmodus, da eine tiefgreifende Veränderung ohne vorherige Tests ein zu großes Risiko darstellt. In anderen Situationen können große Eingriffe von oben nach unten, die die gesamte Organisation umformen, die Gefahr bergen die Schnittstellen zwischen agilen und nicht agilen Operationen zu überfordern.
  10. Mythos: Agile Transformationen können in sechs Monaten durchgeführt werden. | Realität: Sie dauern 1-3 Jahre. Die ersten Vorteile zeigen sich schnell in Bereichen, in denen agile Fundamente und Piloten eingesetzt werden. Aber die Skalierung auf volle unternehmensweite Agilität dauert mehrere Jahre und agile Praktiken entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter.

Soviel zu dem Beitrag der Kollegen von McKinsey, dem ich in weiten Teilen zustimmen kann.

11 Fakten zu Agilität

Ich möchte ihn allerdings um einige Fakten ergänzen und damit auch neues Licht auf Agilität im organisationalen Kontext werfen.
Fakt 1: Es ist sinnvoll Agilität jetzt anzugehen. | Unabhängig welche der großen Transformationsthemen ein Unternehmen angeht oder angehen muss. Agilität ist immer zentraler Bestandteil der Entwicklung. Agilität ist für alle Organisationen, die mit mehr Dynamik und Komplexität umgehen wollen oder müssen ein sehr aktueller und unumgänglicher Entwicklungsbereich.
Fakt 2: Agilität braucht Stabilität und eine klare Zielsetzung. | In Mythos 7 wurde Stabilität bereits genannt. Dazu braucht Agilität aber auch eine klare, gemeinsam getragene und von allen gleichermaßen verstandene Zielsetzung. Andernfalls fehlt den (entstehenden) agilen Teams eine der wesentlichsten Grundlagen, um im Sinne des Unternehmens zu entscheiden.
Fakt 3: Wertschöpfung und Wertbeitrag müssen allen klar sein. | Im Zusammenhang mit Mythos 3 wird betont, wie wichtig das Verständnis für die Wertströme ist. Aus meiner Sicht reicht das nicht aus. Zusätzlich zu den Prozessen des Wertstroms sollten die teambezogenen (und individuellen) Wertbeiträge betrachtet und transparent gemacht werden, um die erfolgte (und nicht-erfolgte) Wertschätzung sichtbar zu machen. Allerdings ist der Wertbeitrag machmal versteckt oder er zeigt sich in ungewohnter Weise. Manchmal sind es Figuren, ähnlich wie die von Whoopi Goldberg in Star Trek gespielte „Guinan“, die keinen direkten Wertbeitrag liefern, aber soviel zur Selbstreflexion und Ideenfindung beitragen, dass sie für die Organisation unverzichtbar sind.
Fakt 4: Agilität startet ganz oben. | Agilität muss als Entwicklungsziel von oben, d.h. aus dem Management heraus ins Unternehmen getragen werden. In Unternehmen, in denen der Idee, z.B. auf den mittleren und oberen Führungsebenen, großer Widerstand entgegenschlägt, versuchen Mitarbeiter manchmal „von unten“ die bestehenden Schattenorganisationen zu nutzen, um agilere Arbeitsweisen zu initiieren. Diese Versuche leiden unter der fehlenden Unterstützung des Managements, s.d. die auftretenden Probleme, insbesondere mit anderen Einheiten, die noch nicht agil arbeiten, nicht adressiert und gelöst werden (können). Ohne klares Commitment und echte Unterstützung in Form von Haltung und Verhalten aus der obersten Führungsebene, sind diese Ansätze wenig fruchtbar. (Zum nebeneinander zweier „Betriebssysteme“ hatte ich vor zwei Jahren etwas geschrieben.)
Ohnehin ist Agilität ein Entwicklungsweg, der sich, auch mit voller Unterstützung aller, über Jahre hinzieht. So lange dauert es, bis neue Interaktionsmuster, Entscheidungsprozesse, Strukturen von allen verstanden und gelebt werden (siehe Mythos 10). Je weniger Unterstützung von oben, desto länger dauert es. Kein Unternehmen gewinnt einen Wettbewerbsvorteil, indem es für diesen Prozess länger braucht.
Fakt 5: Agilität kann ins Chaos führen. | Der Aufbau agilerer Strukturen (be)trifft immer das gesamte Unternehmen. Wer ohne klare Zielsetzung und mit der Vermutung startet, dass kleine Experimente, falls sie scheitern, ohne Wirkung auf das Fundament bleiben, handelt fahrlässig. Jeder Funke von Agilität weckt die lernbereiten Geister im Unternehmen, die das „fail fast“ ernst nehmen, und mit umso mehr Energie den nächsten Versuch starten.
Wer startet ohne den Status Quo der Organisation bewusst und umfassend zu reflektieren, wer loslegt ohne zu Wissen, welche Potenziale vorhanden sind, wo die Ursachen für Störungen liegen und wie deren Beseitigung zu priorisieren ist, öffnet den Raum für ein – aus dem Lernwillen der Organisation geborenen – Chaos.
Es hilft nicht den Ablauf zu planen, jedoch ist es absolut notwendig sich umfassend der Aufgabe bewusst zu werden und sich entsprechend vorzubereiten. Die Basis und Rahmenbedingungen für Agilität aufzubauen gleicht einer Hochgebirgsexpedition. Auch hier beginnt man mit der Zielsetzung und den Werten, nachdem das Team zusammen arbeiten soll. Niemand weiß jedoch, wie sich die Dinge entwickeln. Das Bewusstsein über die vorhandenen Talente und Möglichkeiten erlaubt es dennoch, die Herausforderung mit Spannung und zugleich mit der notwendigen Ruhe anzugehen.
Fakt 6: Agilität verändert alles und macht alles vertrauter. | Der Aufbau agiler Strukturen führt dazu, dass die am Unternehmen Beteiligten ihr kognitiven und sozialen Fähigkeiten besser einbringen. Dies bedeutet eine fundamentale Veränderung gegenüber klassischen und gerade an dieser Stelle oft auch (teilweise) einschränkenden Strukturen. Damit verändern sich Arbeitsstrukturen, Kommunikation, die Resonanz auf das Unternehmen, die Interaktion, sowie Entscheidungswege und Prozesse. Vieles, was ich als „Betriebslogik“ bezeichne, ist nachher anders als vorher. Es ist aber auch vertrauter, weil zwischenmenschlich positiver und irgendwie „normaler“.
Fakt 7: Man verliert immer zweifach. | Wie bei jedem Transformationsprozess reagieren die Menschen ganz unterschiedlich auf den Wandel. Für manche (vielleicht auch „für viele“) ist er lange ersehnt, andere reagieren ablehnend. Wie bei allen „großen“ Themen verteilt sich die Akzeptanz ungleichmäßig. 10-15% sind Protagonisten der Veränderung. Sind die 15% und damit der Tipping Point erreicht, gelingt es leichter die 35-40% „open minds“ einzubeziehen und später die 35-40% Close Minds, die der Entwicklung eher skeptische gegenübertreten, zu überzeugen. Dennoch bleiben 10-15% Antagonisten, die lange Widerstand leisten. Wie auch sonst, beim klassischen Change, lohnt es hier auf die open minds zu fokussieren und den Antagonisten die Wahl zu lassen sich selbst zu überzeugen oder zu gehen.
Wenn Sie als Unternehmen die Wahl haben, mit den Protagonisten die Dinge voranzutreiben oder mit den Antagonisten die Entwicklungen zurückzudrehen, ist dies immer auch die Entscheidung gegen die anderen. Wie auch immer Sie entscheiden, es geht um die Zukunft des Unternehmens und der Menschen die dort arbeiten (wollen). Das ist die Perspektive, aus der hier entschieden werden muss. Das gilt auch dann, wenn sie als Investor Einfluss auf Unternehmensführungen nehmen können, die den Wandel abwarten und aussitzen wollen. (Siehe Fakt 1).
Zum zweiten verliert die Organisation auf dem Weg – wie in jedem Wandlungsprozess – an Leistungsfähigkeit. Andererseits werden Unternehmen, die den Weg nicht gehen, hinter die Wettbewerber zurückfallen, die agile Arbeitsweisen als ihren Weg zu bester Arbeitsleistung erkannt haben. („Agilität ist ein Wettbewerbsvorteil.“) Die Frage ist also nicht ob, sondern wann man den Verlust von Menschen und Leistungsfähigkeit in Kauf nimmt, um nach dem Wandel mehr gewonnen zu haben. Es reicht das Unternehmen auf eine sichere Basis zu stellen. Die Welt kann man (dann leichter) später retten.
Fakt 8: Agilität braucht einen klaren Rahmen. | Agiles Arbeiten braucht einen klaren, aber weit gefassten Rahmen, damit jeder selbst einschätzen und entscheiden kann, was im Sinne des Unternehmens ist und was nicht. Dieser Rahmen besteht aus zwei Komponenten, den vom Markt und durch die Gesetzgebung gesteckten Rahmenbedingungen und die von der Organisation selbst gesetzten Leitplanken. Diese dienen als Orientierung, damit die gesamte Organisation nicht nur am gleichen Seil, sondern auch in die gleiche Richtung zieht. Zugleich geben sie Raum Dinge neu zu durchdenken und neues auszuprobieren.
Fakt 9: Agile Organisationen sind wettbewerbsfähiger. | Agile Organisationen sind aufgrund ihrer stärker ausgebildeten dynamischen Fähigkeiten besser in der Lage auf Veränderungen im Markt zu reagieren. Sie haben (zumeist) eine positiv wahrgenommene Kultur, die zum Mitmachen einlädt und so Talente und Kunden anzieht. Die Arbeitsqualität steigt, die Leistung, Innovationsfähigkeit und das Ergebnis ebenso. Agile und zudem fluide Organisationen können kurzfristiger auf dynamische und komplexe Herausforderungen reagieren.
Fakt 10: Agilität braucht eine andere Führung. | Das gesamte Führungs- und Managementmodell, also die Art wie geführt wird sowie die unterliegenden Strukturen und Prozesse, funktionieren in agilen Organisationen anders als in klassischen Strukturen. In agilen Organisationen liegt der Fokus deutlich stärker auf der Bereitung des Bodens für einen starken, gut funktionierenden Sozialverbund, in dem intensive, und manchmal auch konträre Dialoge geführt werden können. Die Führung konzentriert sich auf die Schaffung einer gemeinsamen Zielsetzung und die Festlegung der besagten Rahmenbedingungen und Leitplanken, und auf die Initiierung und Moderation der Dialoge zu diesen Themen, sowie die Sicherstellung von Frei- und Arbeitsräumen auf individueller und Teamebene.
Fakt 11: Das ungenutzte Potenzial ist riesig. | Bislang haben nur wenige Unternehmen Agilität als Managementgrundsatz implementiert. Nur in wenigen Unternehmen wird selbstverantwortliches Handeln in dem Maß gefördert, dass die Unternehmen für die genannten Vorteile öffnen würde. Kernthemen sind der Aufbau von Selbst- und gegenseitigem Vertrauen, von Freiräumen zur Ausgestaltung der Arbeitsfelder der Teams, Bewusstheit für den eigenen Beitrag und das Zusammenspiel der Kräfte und damit ein klarer Fokus auf die Zusammenarbeit mit Sinn und guten Beziehungen. Dies alles sind „soft skills“, die sich oft nur indirekt in Kennzahlen erfassen lassen. Der Aufbau einer agilen Organisation erfordert also nicht nur einen anderen An- und Umgang mit Führung und Management, er erfordert auch die persönliche Reflexion auf Top-Führungsebene.
Aus der Erfahrung mit den AGILITYINSIGHTS Design Checks schätzen wir das so bislang ungenutzte Potenzial auf ca. 30% der Gesamtleistung der Unternehmen. Für viele vielleicht doch ein Ansporn, sich mit dem Themenbereich intensiver u befassen.
Vielleicht kannten Sie alle Mythen und Fakten schon, dann genießen Sie vielleicht bereits die Arbeit in einem agil geführten Unternehmen. Vielleicht regen Sie manche der gemachten Aussagen zur Reflexion an. Auch dann sind Sie auf einem guten Weg.
Wenn ich in Ihnen Widerstand ausgelöst habe, dann umso besser, denn dann ist der erste Schritt getan, um das Thema zu durchdenken. Wie auch immer, ich hoffe, der Beitrag war trotz seiner Länge für Sie wertvoll.
Wenn Sie sich auf dem Weg befinden, dann wünsche ich Ihnen schneller Erfolg beim Finden des für Sie geeignetsten, kompetenten Begleiters und Unterstützers. Vielleicht wagen Sie dabei auch den Seitenblick jenseits der großen Namen, hin zu denen, die Agilität vorleben und manchmal vordenken. Bei allen Mythen und Fakten ist Agilität am Ende auch abhängig vom Beispiel, von dem gelernt werden kann. Schauen Sie also lieber zweimal hin, statt nachher ohne Restbudget in die Röhre zu blicken.

Managementverantwortung Agilität! oder „Was die Gardner Hype Cycle und der Mount Stupid mit einem Phasenmodell für Agilität zu tun haben“

Managementverantwortung Agilität! oder „Was die Gardner Hype Cycle und der Mount Stupid mit einem Phasenmodell für Agilität zu tun haben“

Gunter Dueck hat vor ein paar Tagen wieder tief hineingeblickt in uns Menschen. Dabei hat er nichts weiter getan, als die Analogien des Mount Stupid Bildes von Zach Weinersmith mit dem Gardner Hype Cycle aufzuzeigen. Beide Kurven befassen sich damit, wie wir mit Ideen und Veränderungen umgehen, sie annehmen (oder auch nicht) und durch welche Niederungen faktischer und emotionaler Erkenntnisse wir gehen (müssen), um neues in die Welt zu bringen.
 
Beide Kurven bieten sich daher genauso an, die Implementierungsphasen der großen aktuellen Transformationen zu beschreiben. Und sie eignen sich, um aufzuzeigen, welche Wege dabei nicht gegangen werden sollten.
 
Je mehr ich an, mit und „in“ diesen Transformationen arbeite, desto klarer wird, dass sie sich alle im Kern um die Nutzung und Aktivierung von Agilität, der kognitiven und sozialen Potenziale aller Mitarbeiter in einer Organisation drehen. Wie das zugehörige Bild aussieht, kann gerne hier nachgelesen werden.
 
Wie also sieht das Thema Agilität aus, wenn man es in einem Phasenmodell, unter Berücksichtigung der (aus meiner Sicht leider) allzu richtigen Erkenntnisse der Gardner Hype Cycle und des Mount Stupid (ggf. gemischt mit ein wenig Dunning-Kruger-Effekt(https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt) darstellt. Wobei, dies möchte ich bei dieser eher ungewöhnlichen Mischung von Konzepten vorausschicken, dies ein tatsächlich sehr, sehr ernstzunehmender Einführungsansatz ist, einer, der sich insbesondere von den immer erfolgloseren klassischen Change-Modellen wesentlich unterscheidet.
 

Die Abkürzungsfalle

Wenn in klassischen Change Projekten ein Projekt Management Office den „lead“ übernimmt und die Verantwortung für die weiteren Entwicklungen hier abgeladen wird, wenn Melonenampeln (innen rot, außen grün) auftauchen und die Projekt-Mittelsmänner und -frauen versuchen die vielen verschiedenen Notwendig- und Befindlichkeiten unter einen Hut zu bringen, dann liegt das Kind meist schon tief unten im Brunnen. (Ich war selbst lange genug in diesen Rollen unterwegs).
 
Im Rahmen der heute vielfach noch etablieren Entscheidungswege reden hier, zwischen Steering-Commitee und Project-Lead, oft nur noch mehr oder weniger interessierte Laien miteinander. Zu selten sitzen in den Boards Menschen, die das Thema in mehr als nur seinen Grundzügen tatsächlich verstanden haben und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen im positiven wie im negativen, tatsächlich und vollständig absehen können. Hier wir im Nebel gestochert, ohne Sicht, ohne echte Orientierung aber mit der Überzeugung, der kompetente (wenngleich einäugige) Entscheidungsträger unter den Blinden zu sein.
 
Organisationen, die so vorgehen, sind bereits in die Abkürzungsfalle getappt. Sie, bzw. ihr Management, hat haben entweder versäumt sich bezüglich der tatsächlich unternehmensweit wichtigsten Themen das relevante Wissen anzueignen, oder die Entscheidungsprozesse sind falsch strukturiert. Sie haben entweder zu sehr abgekürzt oder nicht richtig.
 
Sie haben den Weg des Kompetenzaufbaus abgekürzt, ohne zugleich die Entscheidungsprozesse umzubauen und Entscheidungen da treffen zu lassen, wo faktisch die notwendige Kompetenz vorhanden ist. Sie haben damit auch die Erfolgswahrscheinlichkeit stark gekürzt.
 

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Von der Ablehnung zum Engagement

Wie Harald Schirmer in „Chefs, wir müssen reden!“ schreibt, scheinen ein paar der neuen Themen zu wenig Akzeptanz und Priorität bei einigen Top-Managern zu besitzen – was ich leider bestätigen kann. Entsprechend geht es in der ersten Phase eines zur Abkürzungsfalle alternativen Vorgehens, um die Überwindung dieser Ablehnung und den Kampf um die knappste Managementressource überhaupt: Zeit. Es sind die Fragen danach, warum gerade dieses aktuelle Thema (insbesondere die großen Transformationen („Digitalisierung“, „new work“, „Innovation“) und ganz zentral Agilität) so wichtig für das Unternehmen und die Führung ist, dass die Investition von Zeit (und ggf. Geld) und der immer wieder drohende Macht- und Statusverlust (gerne) in Kauf genommen wird. Es ist der Weg der Erkenntnis, der angebahnt werden muss, um die Erfolgsquote dieser so massiven und notwendigen Veränderungen zu erhöhen. Ein Weg, der in hohem Maße auf die Aktivität in der Top-Führung baut. (Welchen Einfluss Agiles Management auf die Entwicklung der Unternehmen hat, haben wir im Rahmen unserer Studie zu diesem Thema gerade nachgewiesen. // Lukas Michel)
 
Es ist ein Weg, der sich über persönliche Gespräche mit vertrauten Menschen aus dem Umfeld schneller gehen lässt, als über Powerpoints, Zahlen und Best Practices (von Beratern). Darum brauchen neue Themen kompetente „Peers“, interne Botschafter, Hofnarren und begeisterte Protagonisten, die die ersten Hemmschwellen bei Top-Managern abbauen und sie für einen Anflug von „nur noch“ Skepsis öffnen.
 

Phase I
Wenn die Ablehnung in Skepsis übergeht, ist es an der Zeit, mit Experten das Thema in Tiefe zu durchleuchten. Im Fall von Agilität nenne ich diese „Agile Supervisor“. Es sind Menschen die zusätzlich zu den Kompetenzen eines Agilen Coaches ein deutlich ausgeprägtes Zusatzwissen im Kontext von Managementstrukturen und der Wirkung von Agilität auf die Gesamtorganisation haben. Im Idealfall sind auch dies Mitarbeiter der Unternehmen, ggf. mit externer Unterstützung.
 
 
Ihr Job ist, Wissen und Kompetenz beim Management so zu vermitteln und aufzubauen, dass diese die nächsten Schritte ganz bewusst und umfänglich entscheiden können. Dies ist um so wichtiger, da der Weg in Richtung Agilität auch ein Weg weg von einem steuerungsfokussiertem Managementdesign hin zu einem wirkungsfokussierten ist. Die bedeutet einen fundamentalen Paradigmenwechsel, der ohne bewusste Reflexion der Auswirkungen ins Chaos führt.
 
Wenn Skepsis in Offenheit mündet wird der Raum geschaffen, in dem das neue Wissen durch Erfahrung zur Kompetenz wachsen kann. Jetzt kann im Management begonnen werden, im Kleinen das agile mindset zu leben und auszuprobieren. Das Ziel ist, ein (gutes) Gefühl dafür zu entwickeln, was mit dieser Haltung geschaffen werden kann, und was nicht. Und es ist die Zeit für eine ganz bewusste und umfassende Reflexion des Status Quo, ohne Scheuklappen, ohne Beschönigung. Offen und ehrlich, gerade auch WEIL nicht alles Gold ist, was glänzt.
 
Hier kann der Gipfel des Engagements erreicht werden, bevor…. nunja, bevor der Niedergang beginnt. Denn mit dem Gipfel wird auch der Punkt erreicht, an dem in Folge der Reflexion klar wird, welche große Aufgabe und welcher verantwortungsvolle Weg vor der Organisation und dem Management steht.
 
Und bei großen Aufgaben vertrauen auch heute weiterhin viele in Rollenmodelle und Vorbilder – und das sind auch weiterhin die großen Führungskräfte.

Vision und Philosophie

In der nächsten Phase der Entwicklung beginnt die eigentliche Arbeit an der Basis. Agilität braucht ein organisationales Fundament, dass es aufzubauen gilt. Einige essenzielle und existenzielle Elemente müssen aktiv und bestenfalls in Abstimmung mit den Protagonisten gestaltet werden, um Mitarbeitern ein agileres Arbeitsumfeld zu schaffen. Zentral ist die gemeinsame Vision, die den Mitarbeitern erlaubt zukünftig Entscheidungen zu treffen, die im Geist dieser Vision begründet und vermittelt werden können. Ebenso gehört eine Betrachtung des Wertekanons und Überlegungen zu einer Zusammenarbeitsphilosophie dazu, die geteilt und sukzessive weiter entwickelt werden können. Kulturarbeit pur. Es gilt zu erfahren und auszuprobieren, welche Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge funktionieren und genutzt werden können, auch um die notwendigen vielfältigen Dialoge in Gang zu bringen und zu halten. Die Eckdaten für den Aufbau fluider Teams, von Talentakquise, dem Aufbau interner Netzwerke, den Interaktionsparametern und nicht zuletzt neuer, dem Thema angepasster Monitoringkennzahlen (ja auch das) gehören hierher. Dazu kommen dann noch hunderte kleinerer Themen und Probleme, die betrachtet, durchdacht und gelöst werden wollen.
Phase II
Die gegenseitigen Abhängigkeiten in der Wertschöpfung, dem Wertbeitrag und der Wertschätzung zwischen den verschiedenen Teams und Bereichen brauchen hier ebenso Klarheit, wie es den Mitarbeitern auf dieser Basis möglich sein muss, die Bedeutung des eigenen Beitrags daraus abzuleiten. Und auch für die diejenigen, die dabei feststellen, dass ihre alte Rolle im neuen Kontext keine Bedeutung mehr hat, wollen und müssen bedacht und Angebote in Form neuer Aufgaben und Rollen geschaffen werden. Es ist die Zeit, in der proaktiv in die Zukunft geschaut wird, in der die Trends als mögliche Entwicklungsrichtungen interpretiert und Schlüsse daraus gezogen werden.
 
Hier ist das Management auf die tatkräftige Unterstützung der Führungskräfte und engagierter Mitarbeiter angewiesen. Viel Agilitätswissen steckt ja bereits in den Unternehmen, es will oft nur Raum haben.

Skalierung bis zur maximal möglichen Partizipation

Erst jetzt, nach einer gefühlten Ewigkeit, ist es sinnvoll agile Experimente auf dem Shopfloor und in den Teams zu wagen. Erst jetzt ist genug Wissen über die Herausforderungen und Folgen der Existenz von agilen neben nicht agilen Teams in der Organisation vorhanden, um zielgerichtet damit umzugehen. Zu viele „Agile Projekte“ scheitern an den Dissonanzen und Abstoßungsreaktionen zwischen agilen Teams und den noch nicht agilen Einheiten und Führungskräften. Zu oft wird hier ausgehebelt und ad absurdum geführt, was zuvor mühevoll als kleines Pflänzchen hat wachsen sollen.
 
Hier ist das Refugium der Agilen Coaches, die jetzt mit den Mitgliedern der Organisation den Tenor agiler Zusammenarbeit diskutieren und die vielen organisationsindividuellen Lösungen finden können, die notwendig sind. Hier entsteht der agile Raum, dessen Rahmenbedingungen und Leitplanken zuvor definiert wurden und die jetzt regelmäßig in Retrospektiven reflektiert werden müssen. Hier ist und entsteht für alle wahrnehmbar Sicherheit und Stabilität, die Agilität in größerem fordert und fördert. Hier entsteht jetzt nach und nach das einzigartige Gebilde der agilen Organisation die auf einer starken organisationalen Agilität fusst.

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Natürlich ist das alles nicht einfach. Natürlich wäre es leichter den Projektplan etwas „Scrum-like“ zu machen, Kanban Boards einzuführen und nach und nach agile Teams aufzubauen. Aber es geht nicht nur darum, den Weg einfach zu machen. Es geht darum ihn am Ende, möglichst mit allen, und daher doch wieder von „oben“ initiiert, erfolgreich zu meistern.
 
Agilität ist nicht, wenn jeder alles kann; es ist, wenn jeder Raum hat seinen Teil beizutragen, wenn jeder weiss und will.