Ein Thema treibt einige der einflußreicheren Management- und Organisations-Vor-, Nach- und Querdenker unserer Zeit immer wieder an. Es ist die Frage, wie eine Evolution von Unternehmen aussehen und wie sie aktiv und zielführend gestaltet werden kann. Es ist die Frage, welchen Weg Unternehmen gehen können, um sich zu erneuern, den Fokus zu verändern und die immer wieder neuen Chancen zu nutzen bevor sie (immer eher) zu alt werden, die Produkte nicht mehr interessieren und die Kunden fernbleiben.
Marc Wagner hatte im Januar seinen Ansatz für eine company rebuildung vorgestellt, dem ich ein paar Ideen für ein company renewal gegenübergestellt habe. Nun hat Hermann Arnold seine Flotte auf die Reise geschickt, um seine Erfahrungen und Erkenntnisse öffentlich(er) zu machen.
Flöße als MVP
Hermann Arnold hat das bekannte Bild der Tanker, die mit Schnellbooten versuchen neue Gebiete/Märkte zu erobern, kritisch hinterfragt und ihm das Bild der Evolution von Schiffen entgegengesetzt, die, sich aus Ideen, die als Floß auf einem Wildbach beginnen, bis hin zum Kreuzfahrtschiff mit vielen Kunden auf die Reise immer weiter entwickeln.
In dieser Metapher sind die Mitarbeiter auf allen Ebenen im wesentlichen frei in der Entscheidung auf welchem Schiff sie fahren. Insbesondere sind sie frei in der Entscheidung selbst mit einem Floß auf einem Gebirgsbach zu starten, um damit neue Produkte und Services auf den Weg zu bringen, sich vom Fahrwasser treiben zu lassen, die Resonanz der Kunden zu testen, sie einzuladen mitzufahren und so weiter. Die Kapitäne haben zugleich mit sehr unterschiedlichen Kompetenzanforderungen zu tun. Gilt es auf dem Floß zu improvisieren und mit Minimum Vaible Products (MVP) zu punkten, sind auf dem Hotelschiff und später dem Kreuzfahrer, hohe Qualität und Struktur gefragt.
Die Lifecycle CEOs
Ich habe in der letzten Woche auf dem Nordic Business Forum in Helsinki ein Bild gesehen, dass diesen Punkt aus dem Blickwinkel des Corporate Lifecycle betont. Aswath Damodaran hat dort den Lebenszyklus von Unternehmen in 6 Abschnitte geteilt: Start-Up, Growth, High Growth, Stable, Mature, Decline. Seine Botschaft ist, dass jeder dieser Abschnitte besondere Fähigkeiten von den CEOs einfordert. Zusammengefasst brauchen die Unternehmen in den ersten drei Phasen CEOs die sich aufs Storytelling und die Kreation erster handfester Produkte verstehen, in der 4. und 5. Phase sind dann Effizienzoptimierer gefragt und im letzten Abschnitt geht es nur noch darum das Unternehmen abzuwickeln.
Sketchnote des Votrags von Aswath Damodaran / © Nordic Business Forum 2018
Flöße als Zeichen gelebter Multidextrie
Ich glaube, diese Sichtweise reicht nicht. Nicht nur der CEO ist in jeder Phase anders gefordert. Die Mitarbeiter sind es ebenso und mit der Entwicklung des Unternehmens verändern sich Struktur, Prozesse und zugleich Werte und Kultur. Das Unternehmen mag in seinem Kern gleich bleiben, indem es als Basis der Ausgestaltung einer Idee fungiert (es bleibt, wie Hermann in seinem Beitrag betont das gleiche „Boot“), aber wie es das macht ist in jeder Phase anders ausgestaltet.
So schön und eingängig das Bild der sich wandelnden Schiffe ist, so wichtig ist es, es in Bezug zum Lebenszyklus zu setzen. Mir stellt sich die Frage: Was kann ein Unternehmen tun, um kontinuierlich Flöße ins Wildwasser zu bringen und so Lebenszyklus an Lebenszyklus reihen zu können? Wann und wo sollte man ansetzen? Welcher Mix an Betriebssystemen, Managementmodellen und Haltungen ergibt sich daraus? Wie kann man die Kreativität im Unternehmen immer wieder an die „richtigen“ Stellen bringen, immer neu begeistern? Wie kann man gleichzeitig die Kollegen, die sich um das stabile Altgeschäft kümmern, die die Basis für die Chance bilden, immer wieder neue Flöße auf den Weg zu bringen, bestmöglich in ihrem Tun unterstützen?
Und die für mich drängendste Frage ist, gerade weil sie noch immer ausschlaggebend für langfristigen Erfolg ist: Wie schaffen CEOs und Geschäftsführungsteams diese Multidextrie, diese Vielhändigkeit und damit die notwendige Vielfalt in Haltungen und Verhalten, zu meistern?
Flottenbau auf dem Weg zum langlebigen Unternehmen
Die Herausforderung für die CEOs und Managementteams in den späten, stabilen Phasen eines Unternehmens ist, ein Umfeld zu schaffen, dass (oftmals) ihrer eigenen Auffassung, ihrer Risikobereitschaft und ihrem Managementstil widerspricht.
Ein Seitenblick auf die Eigenschaften langfristig erfolgreicher kann helfen den Weg zu ebnen und den meist risikoaversen Unternehmenslenkern Hilfestellung bei der Entscheidung zu geben. Martin Reeves hat tiefer in dieses Thema hineingeschaut und seine Erkenntnisse in einem TED-Talk geteilt.
Langlebige Unternehmen, die sich den Veränderungen der Umwelt angepasst haben und sich auf dem Weg immer wieder ein wenig neu erfinden mussten, weisen starke Übereinstimmungen bei folgenden Eigenschaften auf: Sie haben redundanten Unternehmensteile, sind modular aufgebaut, besitzen eine hoher Diversität in ihrem Leistungsangebot, sind und waren bereit zu adaptieren, was ihnen hilfreich erscheint, haben immer wieder versucht in die Zukunft zu denken und vorausschauend zu agieren und sie sind stark vernetzt, intern wie extern.
Darin stecken große Parallelen zum Weg des Floßes zum Kreuzfahrtschiff, wenn es gelingt eine Flotte zu bauen, die all diese Schiffs- und damit Haltungstypen bei den Mitarbeitern und Chefs umfasst und ermöglicht.
Doch wie gelangt man, egal in welcher Art Unternehmen dahin, es zu wagen, zum ersten Mal ein Floß ins Wasser zu schieben? Was brauchen diejenigen, die über diese (Neu)Ausrichtung entscheiden und die damit, nach alter Lesart, ja für ein unglaubliches Chaos im Unternehmen sorgen (würden)? Was brauchen diejenigen, die nach neuer Lesart Vielfalt zuzulassen und damit Diversität, Redundanz und Modularität aufbauen (möchten)?
Prätraumatisch das Big Picture erkennen
Nach meiner Erkenntnis sind Selbstbewusstheit (nicht -sein) gepaart mit einer Offenheit jenseits des eigenen Sicherheitsbedürfnisses und der tief verankerten Risikoaversion hier die entscheidenden Punkte. Kurz eine sehr, sehr große Portion Mut, zusammen mit der Idee, dass die Vielfalt der (in Zukunft) zu Wasser gelassenen Flöße es erlaubt, auf den wenigen, die den Weg schaffen, immer wieder neu aufbauen zu können. Es braucht eine aus der Vor- und Weitsicht geboren Risikobereitschaft, um langfristig Stabilität uns Sicherheit aufzubauen. Ohne dieses bewusst eingegangene Risiko braucht das Unternehmen über kurz oder lang (und die Tendenz geht klar hin zu immer kürzer) den Abwracker und Liquidator.
Ein erster wichtiger Schritt ist dabei sicherlich einen Schritt zurückzutreten, um hinauszublicken und neben der Seekarte mit den Untiefen, auch wieder die Landkarte mit den Wildbächen in den Blick zu nehmen. Mit der Betrachtung des Big Picture, mit dem Blick auf Trends, und Möglichkeiten, mit Bewusstheit zu Ressourcen und Fähigkeiten ergibt sich leichter ein Zugang zu neuem Mut – selbst wenn er prätraumatisch, lange vor dem Schock – versucht den Untergang abzuwenden. Doch nach dem ersten Schritt sollten weitere folgen. Und hier steckt für mich das eigentliche Problem.
Es ist Zeit
Es sind wieder die kleinen Schritte, die zu gehen sind, raus aus der Komfortzone. Und es ist vor allem Zeit, die dafür gefunden (und auf diesem Weg sinnvoll(er) investiert) werden sollte. Zeit die oft keiner hat, weil man im Tagesgeschäft hängt, mit all den Tätigkeiten und Versuchungen die ständig die volle Aufmerksamkeit (er)fordern.
Andererseits ist keine Zeit, weil die Umwelt zu schnell tickt und die äußere Veränderungsdynamik keine Zeit mehr lässt. Keine Zeit zu reflektieren, zum tief durchdenken, nicht für die kleinen Themen und schon gar nicht für die Großen. Immer ist irgendwo etwas los, brennt irgendwo die Hütte und muss irgendwo dringend schnell etwas entschieden werden.
Und, für viele CEOs und Managementteams es ist Zeit, die nicht bezahlt wird. Nur ganz wenige der CEOs und Geschäftsführer in stabilen, in ihrem Lebenszyklus weit entwickelten Unternehmen werden aktiv und bewusst dafür bezahlt, Risiken einzugehen. Es wird schlichtweg nicht gewollt und wird schon gar nicht incentiviert. Die Zielsetzung ist oft viel mehr der Ausbau und Erhalt des bestehenden, statt kontinuierlich Risiken, wenn auch nur in Form vieler kleiner Flößen, auf das Unternehmen zu laden. Diese lange sehr probate Überlebensstrategie lässt heute stattdessen die Probleme nur wachsen.
Zeit ist die wichtigste (An)Forderung, um nach dem ersten kurzen schnellen Schritt die Nächsten folgen zu lassen.
Zukunft ist Chefsache
Die Gefahr ist groß die Zukunft zu delegieren. Zu verführerisch ist es, das Risiko bei denen abzuladen, die doch im Unternehmensalltag ganz natürlich für Forschung und Entwicklung, für neue Produkte und Innovation zuständig sind. Schließlich ist die Zukunft ihr Kerngeschäft.
In den meisten Unternehmen sind die F&Es die R&Ds die inkrementellen Veränderer. Sie kümmern sich damit aber eben nicht um die große Zukunft, um die Flöße und die ersten Bootsplanken. Sie sind es, die den Außenpool auf dem Oberdeck entwerfen und die Schiffsschraube optimieren.
Wie wäre es, um mehr Kontinuität zu sichern, ganz oben, in der C-Suite, neue Rollen zu etablieren? Vielen Unternehmen würden „Chief Storytelling Supporter“, ein „Chief Growth Advisor“ und ein „Chief Efficiency Observer“ guttun, die immer wieder darauf achten, dass ihre Themen im Unternehmen ausreichend präsent sind und immer dieser Dialoge dazu anstoßen.
Zukunft ist und bleibt Chefsache
Die Zukunft in Form von stetiger Neugestaltung, immer wieder angestoßener Erneuerung von Kultur, Werten, Strukturen und als Mit- und Rauswachsen von Mitarbeitern ist zu wichtig, um im kleinen zu versacken. Es ist Chefsache, die es sehr, sehr ernstzunehmen gilt. Denn im Lebenszyklus jedes Unternehmens kommt sonst der Punkt an dem der Abwickler schon da ist und so niemand mehr Raum und Zeit hat, neue Geschichten zu erzählt und niemand die Chance hatte die vorletzte Geschichte in ein lukratives Angebot zu verwandelt. Doch genau das, die kontinuierliche Neuentdeckung ihres eigenen Seins, brauchen Unternehmen, die den immer kürzeren Lebenszyklen substanziell etwas entgegensetzen möchten.